Huawei Watch GT: Software sabotiert das Display und die grandiose Laufzeit
2/2Der Versuch zum eigenen Wearable-OS
Nicht nur beim SoC kehrt Huawei den vorherrschenden Gegebenheiten den Rücken, sondern setzt dies beim Betriebssystem fort. Bediente man sich bei vorherigen Uhren Android Wear respektive des neuen Wear OS by Google, versucht der Hersteller mit einem eigenen Betriebssystem Fuß zu fassen. Und die Betonung liegt derzeit noch auf Versuch.
Das Betriebssystem bietet derzeit noch zu wenig, als dass es mit dem von Google konkurrieren könnte. Zwar ist die Bedienung selbsterklärend und einfach gehalten, doch stoßen gleich mehrere Faktoren negativ auf – allen voran die fehlende Interaktion. Sowohl mit gekoppeltem iOS- als auch mit Android-Smartphone kann auf keine einzige eingehende Benachrichtigung reagiert werden. Selbst bei eingeschränkter Unterstützung bieten die meisten Smartwatches zumindest die Möglichkeit, Textbausteine oder Emojis zu versenden. Selbst das ist der Watch GT verwehrt. Auf Rückfrage erklärt Huawei, dass dies gewollt sei, da die Anzeige der entsprechenden Nachricht als reine Information dienen solle. Ist der sporadische Hinweis auf eine Nachricht etwa bei hybriden Wearables oder Fitness-Armbändern noch vertretbar, sind Huaweis Beweggünde hierzu absolut nicht nachvollziehbar.
Auch sonst ist das System nur spärlich ausgestattet. Neben dem bereits erwähnten fehlenden App Store und der fehlenden Musikwiedergabe werden Sportaktivitäten nicht automatisch erkannt und gestartet. Eine Always-on-Funktion, die etwa auch im abgesenkten Zustand eine gedimmte Uhrzeit ausgibt, ist nur manuell für eine Zeit von fünf Minuten aktivierbar. Wählbare Ziffernblätter gibt es nur eine Hand voll.
Mitsamt den genannten Abstrichen ist das Uhrenmenü schnell beschrieben. Mit einem Wisch nach links oder rechts gelangt der Nutzer zu Schnellübersichten der Aktivitäten, des Wetters und der Herzfrequenz. Oben gelagert befinden sich die Einstellungs-Widgets. Ein Wisch nach unten zeigt die erhaltenen Benachrichtigungen. Die seitlichen Knöpfe dienen zum einen dem Starten eines Workouts sowie der Menüwahl. Hier stehen die Grundfunktionen WorkoutStatus, Herzaktivität, Aktivität, Schlaf, Barometer, Kompass, Wetter, Nachrichten, Stoppuhr, Timer, Wecker, Taschenlampe, Telefonsuche und Einstellungen zur Auswahl.
Zumindest die Aktivitätsauswahl fällt umfangreicher aus. Insgesamt elf Aktivitäten stehen zur Auswahl, von denen insbesondere der Laufkurs hervorsticht. Dahinter verbirgt sich eine Laufanleitung, bei der der Nutzer in Abhängigkeit der angestrebten Pulsregion verschiedene Intensitäten des Laufens auswählen kann. Die übrigen Kategorien sind Laufen Outdoor, Laufen Indoor, Gehen Outdoor, Wandern, Cross Country Lauf, Radfahren Outdoor, Radfahren Indoor, Schwimmen Indoor, Schwimmen Outdoor und freies Training.
Sensoren und Smartphone-App
Bei den Vitalanalysen zeigt sich ein durchwachsenes Bild. Meistert die Huawei Watch GT die Schrittzählung nahezu mit einer Punktlandung, tritt die Herzfrequenzmessung auffällig in Erscheinung.
Von gezählten 1.000 Schritten registrierte die Watch GT insgesamt 1.002. Die minimale Abweichung von zwei Schritten kann dabei der Toleranz zugeschrieben und auf eine unbewusste Handbewegung zurückzuführen sein. Bei der Herzmessung kann die Uhr hingegen nur in einem der drei Durchläufe einen guten Wert abliefern. Den Ruhepuls gibt die Smartwatch hervorragend aus. Direkt während des Sports und auch in der Erholungsphase weichen die Werte jedoch stark von der Referenz, die mit dem Brustgurt Polar H7 ermittelt wurde, ab. Wurden beispielsweise reale 128 Herzschläge gemessen, wies die Watch GT einen Puls von 137 aus. Bereits die erste Huawei Watch (Test) aus dem Jahr 2015 hatte gerade bei der Pulsmessung Probleme.
Einen Pluspunkt kann sich die Watch GT dennoch sichern. Die eigenständige Ortung gelingt der Uhr äußerst gut. Andere Wearables haben hierbei zumeist Probleme beim Start der Ortung und zeigen wirre Startpunkte und Liniensprünge auf. Die Watch GT stellt hier einen klaren Rundenverlauf dar, wenngleich davon auszugehen ist, dass die unterlegte Straßenkarte ein wenig versetzt angezeigt wird.
App mit sehr guter Auswertung
Vollends überzeugen kann indes die Smartphone-App. Leicht verständlich und nicht überlastet, informiert sie den Nutzer schnell über alle wichtigen Parameter. Die Trainingsübersicht von absolvierten Sporteinheiten – sofern diese auch manuell gestartet wurden – ist besonders detailliert und geht neben Tempo, Schritten und Herzfrequenz auch auf die Kadenz und Höhensteigung ein.
Die täglichen Vitalwerte können in gut übersichtlichen Tabellen in Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresstaffelungen nachverfolgt werden.
Grandiose Laufzeit
Schwache Hardware und spartanische Funktionen haben auch ihr Gutes: sie sparen Energie. Die Huawei Watch GT spielt genau hier ihren größten Trumpf aus und glänzt mit einer durchschnittlichen Laufzeit von rund 354 Stunden. Ein sehr guter Wert, bedenkt man, dass die Wearable-Konkurrenz zumeist nur wenige Tage durchhält. Einzig die noch abgespecktere Xiaomi Amazfit Bip (Test) kann diesen Wert überbieten.
Huawei selbst spricht von einer herkömmlichen Laufzeit von zwei Wochen, die im Test somit mühelos erreicht wurden. Bei deaktivierten Vitalsensoren soll sie sogar auf bis zu 30 Tage steigen. Mit permanentem Tracking und Ortung sollen bis zu 22 Stunden Nutzung möglich sein.
Die Ladung der Huawei Watch GT erfolgt zwar nicht kontaktlos, doch eine Seltenheit gibt es trotzdem: Wenn auch nicht von Belang, setzt Huawei am Ladedock auf USB Typ C.
Fazit
Mit der Watch GT versucht Huawei, mit eigenem Betriebssystem und sparsamem SoC auf dem Smartwatch-Markt Fuß zu fassen. Die Watch GT hat dabei durchaus ihre Vorteile, die vor allem in der enormen Laufzeit und dem sehr guten Display – also der Hardware – liegen. In Sachen Software zeigen sich aktuell hingegen noch viel zu viele Kompromisse.
Zur vollwertigen Smartwatch fehlt dem System die Interaktion mit Benachrichtigungen. Als Sportuhr wäre das weniger tragisch, doch auch der Sportbereich ist derzeit noch nicht das Steckenpferd der Watch GT: Aktivitäten werden nicht automatisch erkannt oder beispielsweise an roten Ampeln pausiert. Ferner sind zwar Ortung und Schrittmessung als gut zu bezeichnen, die Pulsmessung zeigt hingegen nur durchwachsene Ergebnisse. Auch Zusatzfunktionen wie etwa mobiles Bezahlen, ein App Store und die Möglichkeit, Musik via Bluetooth von der Uhr abzuspielen, würden sowohl der Smartwatch selbst als auch der etwaigen Sportuhr gut stehen. Dass der sparsame aber auch relativ schwache SoC das noch leisten könnte, muss allerdings bezweifelt werden.
Auch äußerlich kann die Watch GT nicht vollends überzeugen. Zwar ist der Einsatz von Keramik für die Lünette löblich, doch stehen das geklebte Lederarmband und die Kunststoffunterseite hierzu in keinem Verhältnis, bedenkt man vor allem das (zumindest optisch) anvisierte Chronographen-Design.
Die Watch GT versprüht damit vor allem den Charme einer ersten Generation, die zwar schon viele gute Ansätze zeigt, in Summe aber noch nicht überzeugt. Für die zweite Generation muss sich Huawei dieser Kritikpunkte jetzt annehmen.
ComputerBase hat die Watch GT leihweise von Huawei zum Testen erhalten. Eine Einflussnahme des Herstellers auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht. Es gab kein NDA.
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