Anthem: Bericht über Entwicklung ohne Konzept und mit Druck von EA

Fabian Vecellio del Monego
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Anthem: Bericht über Entwicklung ohne Konzept und mit Druck von EA
Bild: BioWare

Unter Spielern von Anthem sorgt derzeit ein Bericht über die komplizierte Entwicklung und die zahlreichen Probleme des Spiels für Diskussionsstoff. Demnach habe lange ein Leitfaden gefehlt, der knappe Inhalt des Spiels habe sich erst kurz vor Veröffentlichung geformt. Auch Entwickler BioWare äußert sich.

Desaströse Stimmung und kein Konzept

In einem ausführlichen Bericht schildert Kotaku, was beim von Problemen geplagten Anthem (Test) alles schief lief. Gestützt werden die Ausführungen nach eigener Aussage auf Gespräche mit insgesamt 19 anonymen ehemaligen Entwicklern, die im Laufe der letzten Jahre an Anthem gearbeitet haben. Nahezu einstimmig wird dabei BioWares maroder Zustand kritisiert: Sehr viele Entwickler hätten das Studio in den letzten Jahren verlassen, die Unterstützung seitens Publisher EA sei dürftig gewesen, Überstunden monatelang die Regel.

Nicht selten wird von Depressionen gesprochen, Zusammenbrüche am Arbeitsplatz seien zuletzt Gang und Gäbe gewesen. Häufig habe man sich in leeren Räume eingesperrt und „einfach nur geweint“. Die Ursachen dafür seien vielfältig. Schon beim vorherigen Projekt Mass Effect Andromeda (Test) waren die Rezensionen größtenteils negativ; entsprechend verärgert war Electronic Arts.

Von interner Demo zum Spiel in einem Jahr

Anthem sollte den Ruf des Studios richten, war aber lange Zeit ohne Ziel und Inhalt. Die Arbeit am ursprünglich Beyond genannten, dann aber auf Grund von Problemen beim Eintragen der Marke umbenannten Spiel begann bereits vor rund sieben Jahren. Bis zu Beginn des letzten Jahres existierten jedoch kaum Inhalte, von lediglich einer Mission im Januar 2018 ist die Rede. Die Anfangs als hoch beschriebene Moral der Mitarbeiter wich resignativer Ratlosigkeit.

Lange Zeit bestand die Entwicklung wohl nur daraus, mit einer fortwährend geänderten Führungsriege geänderte Visionen des Spiels in Demos umzusetzen, um sie anschließend EA zu präsentieren. Erst gegen 2017 sei dabei ein auf Zustimmung treffendes Ergebnis erzielt worden; die neu hinzugefügte Möglichkeit des Fliegens und eine polierte Grafik hätten den Ausschlag gegeben. Als die besagte Demo anschließend als Basis eines Gameplay-Trailers für die EA-Pressekonferenz der E3 2017 diente, sahen viele Entwickler erstmals, was Anthem final werden sollte.

What began was six weeks of pretty significant crunch to do a demo specifically for Patrick Söderlund.

After E3, that’s when it really felt like, ‘Okay, this is the game we’re making, but it still felt like it took a while to get the entire team up to speed. [...] The demo was not actually built properly – a lot of it was fake, like most E3 demos. There was a lot of stuff that was like, ‘Oh are we actually doing this? Do we have the tech for that, do we have the tools for that? To what end can you fly? How big should the world be?’

Anonymer Entwickler

Die tatsächliche Entwicklung eines Spiels scheiterte dann zunächst an der gesetzten Engine: Die von DICE entwickelte Frostbite-Engine sei schlichtweg unpassend gewesen. Das Resultat waren nicht nur die zahlreichen und langen Ladezeiten, sondern auch die teils massiven Bugs zur Freigabe des Spiels. Zudem wurde zum Verhängnis, dass viele in der Demo gezeigten Funktionen gar nicht auf die Umsetzbarkeit geprüft wurden – niemand wusste, ob die Engine entsprechende Konzepte überhaupt ermöglichte.

Probleme mit der Engine und ausbleibende Unterstützung

Darüber hinaus habe man sich auf verlorenem Posten gefühlt: Zunächst seien 2016 einige erfahrene Frostbite-Entwickler zu FIFA abgezogen worden, weil die Serie wirtschaftliche Priorität besitzt; zudem scheiterten Unterstützungsanfragen an DICE selbst an den unterschiedlichen Zeitzonen. Die Engine sei zudem schlecht dokumentiert und teils ein Flickenteppich aus halbherzigen Erweiterungen. Der Aufschub des Marktstarts vom Herbst 2018 zu Februar 2019 sollte entlasten, sei aber mit erhöhtem Druck seitens EA einher gegangen.

Zwar wussten die Entwickler nun, was genau Anthem eigentlich werden sollte, aber trotz zum Standard gewordener Überstunden blieb zu wenig Zeit. Entsprechende Warnungen der Mitarbeiter habe der Publisher rigoros ignoriert. So sei es für einige Entwickler umso frustrierender gewesen, von Spielern auf schwerwiegende Fehler aufmerksam gemacht zu werden, die sie selbst vor Monaten gemeldet hatten.

BioWare verurteilt den Bericht als nicht hilfreich

BioWare selbst bezog auf die Veröffentlichung des Artikels hin umgehend Stellung. In einem Blogbeitrag stellt der Entwickler zunächst klar, dass Anthem mit viel Hingabe und Aufwand erstellt worden sei; dabei stände das Studio sowohl hinter dem Spiel als auch hinter sämtlichen Mitarbeitern. Zudem beteuert BioWare, die Gesundheit der eigenen Belegschaft sehr ernst zu nehmen und Überstunden wenn möglich zu vermeiden. Die Entwicklung von Spielen, insbesondere einer neuen Marke, sei immer eine große Herausforderung, an der BioWare wachsen wolle.

We’d like to take a moment to address an article published this morning about BioWare, and Anthem’s development. First and foremost, we wholeheartedly stand behind every current and former member of our team that worked on the game, including leadership. [...]

The health and well-being of our team members is something we take very seriously. [...] We put a lot of focus on better planning to avoid “crunch time,” and it was not a major topic of feedback in our internal postmortems. Making games, especially new IP, will always be one of the hardest entertainment challenges. [...]

BioWare

Den Bericht selbst ließ der Entwickler indes inhaltlich unkommentiert, merkt aber an, dass Kritik zwar akzeptiert werde, der entsprechende Artikel jedoch keinen konstruktiven Beitrag leiste: Es sei nicht sinnvoll, die Arbeit eines anderen derart negativ zu beurteilen; BioWare glaube nicht, dass solche Artikel die Industrie oder Spiele verbessern würden.

As a studio and a team, we accept all criticisms that will come our way for the games we make, especially from our players. [...] We don’t see the value in tearing down one another, or one another’s work. We don’t believe articles that do that are making our industry and craft better.

BioWare

Mitarbeiter und Spieler zeigen sich enttäuscht

Die Stellungnahme zog indes einen Kommentar des Autors des Berichts mit sich. Per Twitter verurteilt Jason Schreier die Aussagen als hohle Phrasen und berichtet, mittlerweile mit weiteren ehemaligen Mitarbeitern gesprochen zu haben. Letztere hätten nicht nur seinem Artikel beigepflichtet, sondern seien auch von der Antwort des Entwicklers enttäuscht.

Auf Reddit fallen die Reaktionen der Spieler gegenüber BioWares Stellungnahme widersprüchlich aus.

Neu sind viele Probleme hingegen nicht; viele Entwickler sehen sich vor der Veröffentlichung ihres Spiels mit Überstunden und übereilten Plänen des Publishers konfrontiert. Wenn dabei abzusehen ist, dass es sich um einen Fehlschlag handeln wird, leidet die Stimmung angesichts der mitunter desaströsen Folgen weiter.