Lagoon ANC im Test: Beyerdynamic greift Bose und Sony an
tl;dr: Nach Herstellern wie Bose und Sony will jetzt auch Beyerdynamic auf dem Markt der häufig auf Reisen verwendeten ANC-Kopfhörer mitmischen. Seit Kurzem bietet das Unternehmen dafür den kabellosen Lagoon ANC an. Der unterdrückt nicht nur erfolgreich das Brummen im Flieger, sondern klingt dank Personalisierung auch sehr gut.
Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung sind vor allem auf Langstreckenflügen ein Segen, wenn per Knopfdruck das Brummen der Triebwerke auf ein Minimum reduziert werden kann. Das Arbeiten im Flugzeug ist damit beinahe frei von störenden Umgebungsgeräuschen möglich, außerdem lassen sich Musik, Filme und Serien mit intensiverem Klang konsumieren. Oder es herrscht einfach mal Ruhe.
Bose und Sony haben vorgelegt
Ein seit Jahren auf dem Markt der ANC-Kopfhörer aktiver und bislang am ehesten mit diesen Produkten in Verbindung gebrachter Hersteller ist Bose aus den USA. Dort schützten Noise-Cancelling-Kopfhörer bereits die Piloten des Space Shuttles, während Privatanwender in späteren Jahren mit verschiedenen Generationen der QuietComfort-Kopfhörer versorgt wurden, zuletzt mit dem QC35 II, bevor demnächst die ganz neuen Noise Cancelling Headphones 700 für 400 Euro auf den Markt kommen werden.
Über die letzten Jahre hat sich zudem Sony über gute ANC-Kopfhörer einen Namen in dem Segment gemacht. Das aktuelle Modell WH-1000XM3 gilt als einer der besten Noise-Cancelling-Kopfhörer am Markt und wird für aktuell 380 Euro angeboten.
Nach den US-Amerikanern und Japanern stößt nun das deutsche Unternehmen Beyerdynamic mit dem Lagoon ANC für ebenfalls 400 Euro auf den Markt der Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung. Dabei handelt es sich um einen geschlossenen Bluetooth-Kopfhörer, der in der Variante „Traveller“ in der Farbe Schwarz (Testgerät) sowie als „Explorer“ in den Farben Grau und Braun angeboten wird.
Etwas schwerer als die Konkurrenz
Rein von den technischen Daten her unterscheiden sich die beiden Lagoon-Modelle nicht voneinander. Der Lagoon ANC ist aus Kunststoff gefertigt und wiegt 283 Gramm. Das sind rund 30 Gramm mehr, als die aktuellen Modelle von Bose oder Sony wiegen. Das Gewicht machte sich auf zwei Langstreckenflügen von Deutschland in die USA und zurück jedoch nicht negativ bemerkbar. Ein zuvor über mehrere Jahre privat genutzter Bose QuietComfort 25 fühlt sich mit knapp unter 200 Gramm allerdings schon deutlich leichter als der Lagoon ANC an.
Die ohrumschließenden Polster des Beyerdynamic-Kopfhörers bestehen aus Memory-Schaum und werden vom Hersteller mit Protein-Kunstleder überzogen. Schwitzige Ohren gab es zumindest im klimatisierten Flieger nicht, bei den aktuell herrschenden Sommertemperaturen lässt sich das aber bei kaum einem geschlossenen Kopfhörer vermeiden. Vom Anpressdruck her, für den ein Federstahlbügel verantwortlich ist, sitzt der Lagoon ANC etwas enger als der alte QuietComfort 25 am Kopf, aber nicht zu stramm und in jedem Fall sicher bei Bewegungen, etwa beim Vorbeugen. Das Tragen von Brille und Kopfhörer stellte im Test auch bei längerer Nutzung kein Problem dar.
Touch außen, Licht innen
Außen an der rechten Hörmuschel nimmt der Lagoon ANC Touch-Befehle und Wischgesten entgegen. Wischen nach oben und unten verändert die Lautstärke, das Pausieren und Starten von Musik oder Filmen sind über doppeltes Antippen möglich. Ein Lied nach vorne oder zurück funktioniert wiederum über eine Wischgeste nach vorne oder hinten auf dem Touchpad. Wer nur vor- und zurückspulen möchte, führt die gleiche Geste aus, hält den Finger zum Ende hin aber mindestens eine Sekunde auf dem Touchpad. Assistenten von Apple und Google lassen sich über zweisekündiges Halten des Fingers auf die Mitte des Touchpads aufrufen. Und sobald ein Anruf eingeht, lässt sich dieser mit doppeltem Antippen der Touch-Fläche annehmen und auflegen respektive durch zweimaliges Antippen abweisen.
Die Innenseiten der Hörmuscheln können in verschiedenen Farben aufleuchten, wobei es sich dabei nicht um verspieltes RGB-Leuchten wie etwa bei Razer handelt, sondern um Indikatoren des aktuellen Betriebszustandes. Beyerdynamic spricht von einem Light-Guide-System (LGS), das dabei helfen soll, verschiedene Zustände des Kopfhörers zu erkennen.
Sind die Kopfhörer eingeschaltet und liegen zum Beispiel auf dem Tisch, wechseln sie innerhalb von zehn Sekunden automatisch in den Standby-Modus. Wer die Kopfhörer dann wieder anhebt, bekommt über rotes Leuchten der rechten sowie weißes Leuchten der linken Hörmuschel signalisiert, dass der Kopfhörer wieder einsatzbereit ist. Im Pairing-Modus leuchten abwechselnd beide Muscheln blau, bei erfolgreichem Pairing gleichzeitig blau mit Fade-Effekt.
Betrieb mit Bluetooth oder Klinke
Der Lagoon ANC ist grundsätzlich als kabelloser Bluetooth-Kopfhörer ausgelegt, der die Codecs „aptX Low Latency“, aptX, AAC und SBC beherrscht, nicht jedoch das bessere aptX HD. aptX kommt dabei primär bei Android-Smartphones mit Qualcomm-Chip zum Einsatz, während Exynos-Geräte etwa von Samsung standardmäßig SBC verwenden. Bei iOS-Geräten wird ausschließlich AAC unterstützt.
Laufzeit wie von Beyerdynamic versprochen
Der Kopfhörer muss aber nicht kabellos betrieben werden, sondern bietet als Fallback den Betrieb über ein 3,5-mm-Klinkenkabel, das zum Lieferumfang zählt. Das ist dann sinnvoll, wenn der von Beyerdynamic mit bis zu 24,5 Stunden (mit ANC) respektive bis zu 45 Stunden (ohne ANC) spezifizierte Akku einmal leer ist oder wenn es aus technischen Gründen nicht möglich ist, den Kopfhörer via Bluetooth zu betreiben, etwa beim „Inflight Entertainment“ (IFE) im Flieger. Dass die Laufzeitangabe mit ANC zutreffend ist, zeigte die Restkapazität von 60 Prozent nach einem zehnstündigen Langstreckenflug. Für den Heimflug musste der Kopfhörer nicht erneut geladen werden. Die Laufzeit ohne Bluetooth soll mit aktiviertem ANC bei 31,5 Stunden liegen.
Zubehör im Überblick
Das für den Betrieb ohne Bluetooth benötigte Kabel liegt dem Lagoon ANC ebenso bei wie ein Kabel von USB Typ C auf USB Typ A zum Laden des Kopfhörers. Der Akku kommt auf 1.100 mAh und ist innerhalb von etwa drei Stunden vollständig geladen. Was dem Kopfhörer allerdings fehlt, ist ein Flugzeug-Adapter, um bei manchen Airlines die doppelte Mono-Klinkenbuchse verwenden zu können. Bose legte diese zumindest dem QuietComfort 25 noch bei. Dem Lagoon ANC fehlt dieses Zubehör, wenngleich es während der USA-Reise diesmal nicht benötigt wurde, obwohl mit einem A380 der Lufthansa geflogen wurde. Auch wenn es sich dabei um ein vergleichsweise modernes Flugzeug handelt, musste in der Vergangenheit auf den Adapter zurückgegriffen werden.
Auch beim Etui zeigt Beyerdynamic, dass das Unternehmen neu im Segment der Reisekopfhörer ist. Eigentlich lassen sich die Kopfhörer auf äußerst kompakte Abmessungen zusammenfalten, so aber nicht in der Tasche unterbringen, sondern nur eingedreht. Das Etui ist Beyerdynamic jedoch in dem Sinne gut gelungen, dass es den Kopfhörer zuverlässig vor äußeren Einwirkungen schützt, etwa im Rucksack oder in der Reisetasche. Was fehlt, ist ein kleines Staufach für das Zubehör, das nur mit einem Gummiband befestigt im Etui untergebracht werden kann. Auch der Kopfhörer selbst sitzt zunächst etwas zu locker in der Hülle, weil er nur auf maximaler Größe mit vollständig ausgezogenen Hörmuscheln auf die Ausbuchtungen gelegt werden kann.
Klangpersonalisierung nach eigenem Hörvermögen
Der Lagoon ANC kann entweder einfach per Bluetooth mit dem gewünschten Zuspieler verbunden und sofort verwendet oder aber zunächst an das eigene Hörvermögen angepasst werden, was den Klang noch einmal deutlich verbessert. Über die MIY-App für Android und für iOS lässt sich in Verbindung mit den Kopfhörern ein Hörtest vornehmen, nach dessen Abschluss ein Profil angelegt wird, das an das eigene Hörvermögen angepasst ist. Beyerdynamic erklärt das folgendermaßen: „Jedes Gehör ist anders und verändert sich im Laufe des Lebens. Wie bei einem Mosaik gehen einzelne Bausteine des akustischen Klangbildes verloren oder verblassen. Die einzigartige MOSAYC Klang-Personalisierung by Mimi Defined kompensiert genau diese Entwicklung und passt sich exakt an dein Hörvermögen an. Mit der individuellen Klang-Personalisierung werden die fehlenden Steine des Mosaiks wieder aufgefüllt. So kannst du das gesamte Klangbild wieder in seiner vollen Farbpracht genießen.“
Praktischerweise wird das Profil nicht in der App, sondern auf dem Kopfhörer gespeichert, sodass die App nicht auf jedem Zuspieler installiert sein muss. In der App bekommen Anwender zudem eine Statistik angezeigt, mit welcher Dauer und Intensität das eigene Gehör noch über den Tag belastet werden sollte. Zudem ist es nur über die App möglich, das Touchpad auf der rechten Hörmuschel hinsichtlich der Empfindlichkeit anzupassen. Hier lässt sich festlegen, ob das Wischen mit leichtem bis hin zu starkem Druck ausgeführt werden muss.
Sehr guter Klang mit etwas zu wenig Tiefgang
Beim Thema Klang beginnt unweigerlich der stark subjektive Teil des Testberichts, denn nicht nur spielen hier unterschiedliche Vorlieben rein, aufgrund der Klangpersonalisierung hört sich der Lagoon ANC potenziell bei jedem Träger auch noch vollständig anders an. Der Kopfhörer wurde über die letzten Wochen für Musik in Verbindung mit dem Streaming-Anbieter Tidal und dort sowohl mit normalen als auch mit Titeln in Master-Qualität verwendet. Beim Videostreaming waren Amazon Prime Video, Netflix und YouTube die Quellen der Wahl.
Gerade bei Musik in Tidals Master-Qualität klingen die Lagoon ANC ausgezeichnet und deutlich besser als ein zuvor genutztes Paar Bose QuietComfort 25. Tidal bietet bei den kuratierten Inhalten spezielle Playlisten nur mit Liedern in Master-Qualität an und hier überzeugte vor allem die Classic-Rock-Liste in Kombination mit dem Lagoon ANC. Sattes Schlagzeug, starke Gitarren-Riffs und tolle Stimmen sorgen hier für eine sehr gute Klangkulisse.
Beim Wechsel rüber zu Hip-Hop gibt es Lob für die Höhen und Mitten, beim Bass fehlt jedoch das letzte Bisschen Tiefgang, das die QuietComfort 25 von Bose aber noch mehr vermissen lassen. Unter diesem Aspekt gibt es zwar im Direktvergleich eine Verbesserung, als reiner Hip-Hop-Kopfhörer ist der Lagoon ANC aber weniger geeignet. Dieses Genre sollen die Sony WH-1000XM3 besser beherrschen.
Besonders gut schneidet der Lagoon ANC dann wieder bei Soundtracks ab, wobei Tidal in diesem Segment keine besonders große Auswahl zur Verfügung stellt. Eigene CDs zu Klassikern wie der ersten Star-Wars-Trilogie oder Indiana Jones hören sich mit ihren großen Orchestern fantastisch auf dem Kopfhörer an, wenngleich offene High-End-Kopfhörer aus dem vierstelligen Preisbereich noch besser abschneiden dürften. Der Lagoon ANC stellt hier dennoch seine Fähigkeiten unter Beweis.
Active Noise Cancelling in zwei Stufen
Ein Reisekopfhörer muss aber nicht nur gut klingen, sondern auch, und das ist für manchen Käufer sogar noch wichtiger, eine gute aktive Geräuschunterdrückung bieten. In diesem Punkt bietet der Beyerdynamic-Kopfhörer zwei ANC-Stufen, die sich über einen kleinen Schalter am unteren Ende der rechten Hörmuschel einstellen lassen. Bei der ersten Stufe wird eine sanfte Unterdrückung der Außengeräusche aktiv, die aber nach wie vor viel von der Außenwelt durchklingen lässt. Das Noise-Cancelling wird auf dieser Stufe von einem leichten Rauschen begleitet, das sich erst mit Musik oder Filmen übertönen lässt. Wer den Kopfhörer für das Noise-Cancelling ohne Musik verwenden möchte, bekommt auf der ersten Stufe weiterhin Gespräche oder potenzielle Störquellen wie Straßenlärm mit. Auch im Flieger dämmt diese Stufe das Brummen der Triebwerke nur begrenzt ein und erscheint deswegen wenig sinnvoll.
Deutlich besser arbeitet die zweite Stufe, die über den gesamten Nutzungszeitraum als Standard bei aktivem ANC genutzt wurde. Hier unterdrückt der Lagoon ANC nicht nur etwas mehr, sondern deutlich besser Störgeräusche als auf der ersten Stufe. Zu unangenehmem Druck auf den Ohren, wie es manchmal bei ANC-Kopfhörern passieren kann, kommt es nicht, wenngleich unterschiedliches Empfinden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Auf zwei Langstreckenflügen von Frankfurt nach Miami und zurück schirmte der Lagoon ANC zuverlässig von der Außenwelt ab.
Dennoch schneidet selbst ein mittlerweile in die Jahre gekommener Bose QuietComfort 25 in der ANC-Disziplin noch etwas besser ab. Der kabellose QuietComfort 35 (II) soll den Lagoon ANC ebenfalls schlagen, wie Erfahrungsberichte auf YouTube zeigen. Auch dem Sony WH-1000XM3 wird eine bessere ANC-Performance attestiert. ComputerBase konnte die aktuellen Modelle von Bose und Sony zugegebenermaßen noch nicht ausprobieren. Wenn aber schon der QuietComfort 25 hier besser abschneidet, dürften Boses nagelneue Noise Cancelling Headphones 700, die mit einem noch besseren ANC als beim QuietComfort 35 II beworben werden, aktuell der Maßstab in Sachen Geräuschunterdrückung sein.
Fazit
Wie gut ist Beyerdynamics Einstieg in den Markt der kabellosen ANC-Kopfhörer abschließend bewertet? Hinsichtlich des Klangs spielen die Kopfhörer ganz oben mit, vor allem wenn die Quelle von hochwertiger Qualität ist. Hier schlägt Beyerdynamic klar die aktuellen QuietComfort-Modelle von Bose, die sich seit dem QC 25 kaum im Bereich Klang weiterentwickelt haben. Insbesondere die Klangpersonalisierung an das eigene Hörvermögen über die App ist Beyerdynamic sehr gut gelungen und holt mehr aus den Kopfhörern als im Auslieferungszustand. Wie die Lagoon ANC im Vergleich zu den neuen Noise Cancelling Headphones 700 abschneiden, lässt sich derzeit noch nicht sagen.
Optimierungsbedarf gibt es beim Etui, das ein wenig mehr durchdacht hätte ausfallen können, und bei den unterstützten Codecs, wo vor allem für Android-Nutzer aptX HD fehlt, das zum Beispiel von Sony unterstützt wird. Die Bose Noise Cancelling Headphones 700 unterstützen mit AAC und SBC erschreckend wenige Codecs.
Das ANC von Beyerdynamic ist nicht ganz so gut wie bei der Konkurrenz. Vor allem die erste Stufe erscheint im Test überflüssig, da sie zu schwach ist und kaum Umgebungsgeräusche filtert. Erst auf Stufe 2 punktet der Kopfhörer mit einer guten Abschirmung, wenngleich das Niveau von Bose noch nicht erreicht wird. Die Laufzeiten mit ANC auf Stufe 2 fallen gut aus, für zwei Langstreckenflüge an die Ost- oder selbst die Westküste der USA muss der Lagoon ANC nur ein Mal geladen werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass auch Beyerdynamic noch nicht die eierlegende ANC-Wollmilchsau erschaffen hat, mit dem Lagoon ANC aber ein gerade hinsichtlich Klang und Klangpersonalisierung gelungenen Kopfhörer abliefert. Mit einer Preisempfehlung von 400 Euro orientiert sich Beyerdynamic am hohen Preisniveau der Konkurrenzmodelle, die im freien Handel aber schon günstiger zu haben sind. Wer das beste ANC haben möchte, greift weiterhin zu Bose. Steht der Klang im Fokus, sollten Beyerdynamic und Sony in den Fokus rücken.
ComputerBase hat den Lagoon ANC leihweise von Beyerdynamic zum Testen erhalten. Eine Einflussnahme des Herstellers auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht. Es gab kein NDA.
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