Intel Core X 10000: Ein Produktstart, wie er in keinem Buche steht
Im Mai wurden sie bereits das erste Mal genannt, im Oktober dann breit der Öffentlichkeit vorgestellt und Ende November für Tests freigegeben, aber dennoch sind Intels neue HEDT-CPUs der Serie Core X 10000 (Test) nirgendwo zu sehen. Das ergibt unterm Strich den skurrilsten Prozessorstart seit Jahren.
Eigentlich von langer Hand geplant
Eigentlich war der Start von Cascade Lake-X von sehr langer Hand geplant, sodass das, was jetzt zu beobachten ist, gleich doppelt überrascht. Denn der Nachfolger von Skylake-X sollte ja bereits viel früher erscheinen. Zwar kamen die Server-Ableger Cascade Lake-SP erst im Frühjahr 2019 auf den Markt, wie so vieles zuletzt bei Intel zu spät, doch binnen Wochen darauf hatte Intel auch Cascade Lake-X offiziell gemacht. Kein Wunder, ist das Silizium im Grunde genommen doch das gleiche. Doch noch einmal vergingen Monate bis zur offiziellen Enthüllung und nochmals Wochen bis zum Fall des Test-Embargos, das offiziell mit Marktstart überein fiel. Doch vom Eintreffen der Produkte im Handel kann derzeit keine Rede sein.
Die unzähligen Verzögerungen haben Intel Core X 10000 letztlich in eine ausweglose Position gebracht. Hätte Intel einen Paperlaunch im August mit wenigen Samples zum bereits halbierten Preis für die Presse abgezogen, wäre der Aufschrei zwar groß (aber kurz) gewesen, doch ihnen wäre zumindest für einige Wochen der Platz ziemlich weit oben mit einem interessanten Paket gelungen. Jetzt, Ende November, fiel das alles ins Wasser. Nicht nur ist die Konkurrenz nun schneller und günstiger auf dem Mainstream-Sockel und zeigt mit Threadripper 3000, was HEDT Ende 2019 wirklich bedeutet. Darüber hinaus bleibt es bei Intel beim Paperlaunch. Intel hat also auf ganzer Linie verloren: Core X 10000 ist in der Breite nicht konkurrenzfähig und für Interessenten in der Nische nicht verfügbar.
Und das dürfte vorerst auch so bleiben. Von ComputerBase befragte Händler winken auf Nachfrage nach Cascade Lake-X ab, verweisen auf viele Wochen Wartezeit, vor 2020 wird das laut einigen Aussagen nichts mehr. Dabei hatte ein Systemintegrator ComputerBase noch vor Wochen ein Muster in Aussicht gestellt, das er binnen Tagen erwartete – bis der Liefertermin durch Intel gestrichen wurde und Funkstille eintrat. Auch in anderen Ländern ist die Lage extrem übersichtlich, Newegg in den USA will immerhin den kleinsten Prozessor mit zehn Kernen für 660 US-Dollar (vor Steuern) liefern können.
Dabei gäbe es auch für Core X 10000 durchaus eine gewisse Nachfrage, nicht nur durch den neuen Preis. Intel ist in diesem Segment seit Jahren gesetzt, Software und Methoden sind auf Intel ausgelegt. Hat Intel am Ende gar kein Interesse daran, dieser Kundschaft Core X zum neuen Preis zu verkaufen?
Intels Lieferprobleme bei 14-nm-Chips dürften hier einmal mehr mit reinspielen. Sie machen jeden Die zum knappen Gut. Warum also die großen CPU-Dies jetzt für „günstige“ 1.000 US-Dollar als Core X verkaufen, wenn man für 18 Kerne als Xeon beispielsweise auch bis zu 3.800 US-Dollar Listenpreis verlangen kann?
Schon Skylake-X hatte sich zuletzt extrem rar gemacht, eine künstliche Verknappung exakt dieser CPUs ist deshalb nicht undenkbar. Und Intels CEO ist bekanntlich der ehemalige Finanzchef, er hat wiederholt ganz sachlich Entscheidungen rein wirtschaftlich getroffen. Core X könnte nun auch darunter fallen, weil Intel verstanden hat, dass es in diesem Segment derzeit nichts zu holen gibt. Technisch ist Core X unterlegen, der öffentlichkeitswirksame gesenkte Preis macht die Serie auch finanziell unattraktiv. Und AMD kann bisher nur einen kleinen Nutzen aus der Lage ziehen.
AMD profitiert bisher nur bedingt
Denn auch AMD hat des Öfteren und derzeit insbesondere seine liebe Mühe, Prozessoren zum anvisierten Starttermin in den Handel zu bringen. Zuletzt schrammte der Hersteller mit homöopathischen Dosen an ausgelieferten Chips ganz knapp am Paperlaunch vorbei. So geschehen im Sommer mit dem Ryzen 9 3900X und auch in dieser Woche mit dem Ryzen 9 3950X (Test), der nur/immerhin von einigen Kunden, die früh zugegriffen beziehungsweise bestellt hatten, erfolgreich erworben werden konnte.
Noch näher dran am Paperlaunch ist Threadripper 3000. Das 32-Kern-Flaggschiff 3970X für den Handel konnte man laut Berichten an einer Hand abzählen, der 3960X hingegen ist ab 1.520 Euro in kleinen Mengen lagernd verfügbar.
Vor diesem Hintergrund mutet es zwar weiterhin seltsam an, warum Intel mit Tests zum Core X 10000 im Spätsommer und damit noch vor Threadripper 3000 nicht mehr Kapital aus einem Paperlaunch gezogen hat, nicht aber, warum der Konzern derzeit wenig bis kaum Energie darauf verschwendet, die Serie zum deutlich gesenkten Preis in den Handel zu bringen.