C:\B_retro\Ausgabe_18\: Nintendo Virtual Boy
tl;dr: Oculus Rift und Valve Index sind noch nicht mehr als ein kühner Traum, da bringt Nintendo 1995 mit dem Virtual Boy die virtuelle Realität – kurz VR – ins heimische Wohnzimmer. Die Spielkonsole sollte auf Grund kaum vorhandener 3D-Effekte und lediglich 22 zweifarbiger Spiele einer der größten Flops von Nintendo werden.
Jeden Sonntag wirft C:\B_retro\ einen unterhaltsamen Blick zurück auf drei Jahrzehnte voller bewegter Geschichten und die Entwicklung der Computerszene: Was geschah in den letzten 30 Jahren zwischen 1980 und 2010 in der Informationstechnik? Geschichten von Mythen, Meilensteinen und Meisterwerken: C:\B_retro\.
C:\B_retro\Ausgabe_18\
Nintendo Virtual Boy
In der Regel wirft C:\B_retro\ einen Blick auf legendäre Hard- und Software, so auch im Falle der japanischen Spiele- und Konsolenschmiede aus dem entfernten Kyōto, Nintendo.
In Ausgabe 11 hat sich C:\B_retro\ angeschaut, wie sich der Game Boy zum Millionenerfolg entwickeln konnte, der das mobile Gaming für immer veränderte. Ausgabe 15 verneigt sich mit dem Super Nintendo vor einer der erfolgreichsten Spielkonsolen der 4. Generation.
Nun aber zum Virtual Boy, einer in vielerlei Hinsicht wegweisenden Konsole, die einfach im falschen Jahrtausend das Licht der Welt erblickte. Nach dem folgenden Werbespot, der durch den YouTube-Kanal RPGs For Raccoons für die Nachwelt archiviert wurde, wussten Computerspieler 1995 genau, was sie erwarten würde: Etwas Großes kündigte sich an, zumindest von den Abmessungen.
C:\B_retro\Nintendo_Virtual_Boy\
Geschichte
„Eine riesige Taucherbrille, welche Spieler per Stativ auf den Tisch vor sich stellen und dazu bitte 22 zweifarbige Spiele, die das VR-Spielkonzept am besten nicht unterstützen.“ So oder so ähnlich muss es in dem abzuarbeitenden Lastenheft des Entwicklerteams des Nintendo Virtual Boys gestanden haben, betrachtete man das Resultat der Entwicklungsarbeiten zur damaligen Zeit. Doch um sich ein Bild zu machen, bedarf es einer näheren Betrachtung.
Auch für die Entwicklung des Virtual Boys war der legendäre japanische Spieleentwickler und Vater des Game Boys Gunpei Yokoi beauftragt worden, der die Spieleindustrie seinerzeit durch das stumpfe Aufrüsten der Spezifikationen und mehr und mehr Rechenleistung auf ihr sicheres Ende entgegensteuern sah. Er entschloss sich, eine mobile Spielkonsole zu entwickeln, die weniger durch die verbaute Hardware und die daraus resultierende Leistung, sondern durch ein ganz neues Spielprinzip überzeugen sollte.
Auch wenn der Nintendo Virtual Boy ein absoluter Flop werden sollte, ist das Denken von Gunpei Yokoi auch einer der Gründe dafür, dass Nintendo Jahre später mit DS, Wii und Switch (Test) das Wettrüsten aufgab und so ganz neue Zielgruppen für sich erschloss.
Der Virtual Boy wurde unter dem Codenamen VR32 entwickelt und sollte Nintendos erste 32-Bit-Plattform darstellen. Mit je einem Display und 224 roten LEDs auf schwarzem Grund pro Auge sollte der Virtual Boy über eine monochrome Bildausgabe mit drei Rottönen verfügen. Experimente mit Farbdisplays während der Entwicklung wurden aus Kostengründen schnell ad acta gelegt. Auch wenn das Monochromdisplay einen der größten Kritikpunkte darstellte, verteidigte Gunpei Yokoi diese Entscheidung bis zuletzt und sagte:
Farbige Grafiken erwecken den Eindruck, dass ein Spiel High-Tech ist. Doch bloß weil eine Konsole einen schönen Bildschirm hat, heißt es nicht, dass sie Spaß bereitet.
Gunpei Yokoi, Chefentwickler
Nachdem erste Gerüchte über Nintendos Handheld-Konsole „VR32“ die Headlines der Fachmagazine zierten, stellte Nintendo den Virtual Boy im November 1994 auf der hauseigenen Messe Nintendo Space World der japanischen Öffentlichkeit vor. Im Januar 1995 erfolgte auf der Consumer Electronics Show auch die Vorstellung in den USA.
Die Resonanz der Fachwelt fiel ziemlich eindeutig aus, das damals relevante Magazin Next Generation brachte es passend auf Punkt:
Entweder ist Nintendo komplett verrückt geworden oder hält die Zukunft der Videospiele für plump, rot und wahrscheinlich Kopfschmerzen hervorrufend.
Next Generation
Schlussendlich sollte der Nintendo Virtual Boy ein Misserfolg in Japan – nur 140.000 von 250.000 der kalkulierten Geräte wurden verkauft – und in den USA werden. Für das Scheitern nannten Kritiker, Magazine und Experten oft die folgenden möglichen Ursachen:
Längeres Spielen konnte Kopfschmerzen verursachen. Der diesbezügliche Warnhinweis auf der Verpackung könnte Käufer abgeschreckt haben. Zusätzlich gab es zahlreiche Diskussionen von Eltern, die eine Beeinträchtigung der Sehstärke ihrer Kinder durch den Virtual Boy befürchteten.
Viele hatten ein tragbares System erwartet und sahen ihre Erwartungen an das Gerät nicht erfüllt. Im Vergleich zu üblichen Heimkonsolen empfanden viele die Haltung beim Spielen als unbequem.
Die Auswahl an Software-Titeln war gering und nur einige davon machten sinnvollen Gebrauch von den 3D-Fähigkeiten des Geräts. Spielehersteller zögerten mit der Entwicklung neuer Spiele, da das neuartige Konzept der Konsole unerprobt war.
Vor der Veröffentlichung wurde ein Zweispielermodus angekündigt, also eine Möglichkeit, zwei Virtual Boys miteinander zu verbinden. Dieser wurde jedoch nie implementiert.
Business Insider
Auch das magere und zudem langweilige Portfolio an Spielen wurde von Nintendo-Online.de ebenfalls als Faktor für den Misserfolg der Konsole aufgeführt.
Hinzu kommt, dass das Spiele-Line-up für beide Messen eher dürftig war. Während der „Mario Bros.“-Abklatsch „Mario Clash“ und die Box-Simulation „Telero Boxer“ immerhin einen sinnvollen 3D-Effekt bieten und letzteres sogar aus der Ego-Perspektive gespielt wird, war „Galactic Pinball“ einfach zu generisch für eine neuartige Konsole wie den Virtual Boy. Doch ausgerechnet die Flipper-Simulation avancierte zu so etwas wie dem Vorzeigeprojekt für den Virtual Boy.
Nintendo-Online.de
Spezifikationen
Und was hatte der Nintendo Virtual Boy damals für innere Werte? So sah der Virtual Boy aus, wenn er vor einem auf dem Tisch stand und das steckte drin:
Die Hardware des Nintendo Virtual Boys – dessen Hauptprozessor vom Intel i960 inspiriert war – stellte sich wie folgt dar:
- 32-Bit NEC V810 RISC-Prozessor mit 20 MHz
- 1.024 kB DRAM
- 512 kB PSRAM
- 1.024 Byte Cache
- Dual LED-Display mit 384 × 224 Pixel
- 50,2 Hz Bildwiederholrate
- 4 Farben in 32 Intensitätsstufen
- 16-Bit Stereo Sound
- 760 g ohne Batterien
- Controller mit 6 Knöpfe und 2 analogen Steuerkreuzen
Spiele
Nicht wenige Zeitzeugen fragten sich damals, was dieses bunte Potpourri an Hardware in diesem einzigartigen Konzept zu leisten im Stande sei. Den Beweis traten die lediglich 22 produzierten Titel für den Nintendo Virtual Boy an. Die folgenden Spiele wurden von 1995 bis 1996 produziert und fanden auf einer 128 kB großen Cartridge vom Typ Toshiba TC538299AFT oder TC5316200AFT Platz.
- 3D Tetris (USA)
- Galactic Pinball (JPN, USA)
- Golf (JPN, USA)
- Insmouse No Yakata (JPN)
- Jack Bros. (JPN, USA)
- Mario Clash (JPN, USA)
- Mario's Tennis (JPN, USA)
- Nester's Funky Bowling (USA)
- Panic Bomber (JPN, USA)
- Red Alarm (JPN, USA)
- SD Gundam Dimension War (JPN)
- Space Invaders Virtual Collection (JPN)
- Space Squash (JPN)
- Teleroboxer (JPN, USA)
- V-Tetris (JPN)
- Vertical Force (JPN, USA)
- Virtual Bowling (JPN)
- Virtual Boy Wario Land (JPN, USA)
- Virtual Fishing (JPN)
- Virtual Lab (JPN)
- Virtual League Baseball (JPN, USA)
- Waterworld (USA)
Wie es sich auf dem Nintendo Virtual Boy spielte, zeigt der YouTube-Kanal NintendoComplete in seinen klassischen „Let's Plays“ – damals auch Playthroughs – zum Roboter-Boxspiel Teleroboxer, der Simulation Mario's Tennis und dem Actionspiel Red Alarm.
Mit weltweit 600.000 bis 700.000 verkauften Einheiten wurde die Konsole seinerzeit zu einem der größten Flops in der Unternehmensgeschichte von Nintendo und gilt heute dennoch als Vorreiter und Ideengeber einiger der erfolgreichsten Konsolen aller Zeiten. Heute ist der Handheld leider größtenteils in Vergessenheit geraten.
Ankündigung: Community-Gewinnspiel
Retro-Preise aus der Community zu gewinnen
Wie bereits in Ausgabe 17 angekündigt, veranstaltet die Retro-Community rund um den beliebten Retro-Hardware-Bilder-Thread am nächsten Sonntag, den 1. März 2020, ein Gewinnspiel mit echten Retro-Preisen.
Es handelt sich hierbei um ein reines Community-Gewinnspiel von der Community für die Community, welches in erster Linie von den Community-Mitgliedern wie „andi_sco“, „kryzs“ und „HerrAbisZ“ initiiert wurde.
An dieser Stelle werden die Preise – die ausschließlich aus der Community stammen – offiziell vorgestellt. Die ComputerBase GmbH stellt ausschließlich das Format C:\B_retro\ als eine Art kleines „Schaufenster“ zur Verfügung.
Platz 1: Intel Pentium Pro 200 im Show Case
Gestiftet von Community-Mitglied: „kryzs“
Platz 2: Microsoft Windows 2000 Professional mit SP2 auf Original-CD
Gestiftet von Community-Mitglied: „kryzs“
Platz 3: Nvidia GeForce FX 5200 (NV34) PCI mit 128 MB VRAM
Gestiftet von Community-Mitglied: „HerrAbisZ“
In Ausgabe 19 am kommenden Sonntag, den 1. März 2020, folgen die Gewinnspielregeln und die drei Multiple-Choice-Fragen aus dem Bereich Retro, bevor am 8. März 2020 an gleicher Stelle die Gewinner des Retro-Gewinnspiels bekanntgegeben werden.
C:\B_retro\Review\
An dieser Stelle finden sich die bisherigen Themen der vorangegangenen Ausgaben von C:\B_retro\ in chronologischer Reihenfolge.
- C:\B_retro\Ausgabe_1\: Intel i486, Sound Blaster 1.0 und Cebit 1999
- C:\B_retro\Ausgabe_2\: Windows 1.0, Pentium II und GeForce 8800 GTX
- C:\B_retro\Ausgabe_3\: Commodore 64, 3dfx Voodoo Graphics und Voodoo²
- C:\B_retro\Ausgabe_4\: Die Amiga Story
- C:\B_retro\Ausgabe_5\: Der legendäre AMD Athlon (K7)
- C:\B_retro\Ausgabe_6\: Die legendären Mainboards von Abit
- C:\B_retro}Ausgabe_7\: Die Anfänge von World of Warcraft
- C:\B_retro\Ausgabe_8\: Historische Multi-GPU-Grafikkarten
- C:\B_retro\Ausgabe_9\: Legendäre GPUs v2.0
- C:\B_retro\Ausgabe_10\: Der legendäre Atari 2600
- C:\B_retro\Ausgabe_11\: Der Nintendo Game Boy
- C:\B_retro\Ausgabe_12\: Der erste Intel Pentium
- C:\B_retro\Ausgabe_13\: Microsoft Windows 95
- C:\B_retro\Ausgabe_14\: Microsoft Windows XP
- C:\B_retro\Ausgabe_15\: Der Super Nintendo
- C:\B_retro\Ausgabe_16\: Die Geschichte der Diskette als Datenträger
- C:\B_retro\Ausgabe_17\: Hardware für Half-Life und Half-Life 2
C:\B_retro\Feedback\
Was haltet ihr von C:\B_retro\ und welche Themen wünscht ihr euch in der nächsten Ausgabe? Die Redaktion freut sich über konstruktive Kritik, Lob, aber auch Vorschläge, um die neue Serie zukünftig noch stärker an den Wünschen der Leserschaft ausrichten zu können. Mit diesem Lesestoff im Gepäck wünscht die Redaktion einen erholsamen Sonntag.
C:\B_retro\Links\
- Im Test vor 15 Jahren: Spiele profitierten nicht von Windows XP 64 Bit
- Im Test vor 15 Jahren: ATis Radeon X800 nahm die GeForce 6600 GT ins Visier
- Im Test vor 15 Jahren: Die Pentium 4 der 600-Serie boten Features satt
- Im Test vor 15 Jahren: Gigabyte brachte zwei GeForce 6600 GT auf ein PCB
- Im Test vor 15 Jahren: Ein WLAN-Audioplayer zum günstigen Preis
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- Im Test vor 15 Jahren: Auch DDR2 brachte erst einmal kaum Vorteile
- Im Test vor 15 Jahren: Ein klobiger PDA ohne MPEG-Unterstützung
- Im Test vor 15 Jahren: ATi Radeon X850 XT PE beließ alles beim Alten
- Im Test vor 15 Jahren: SLI-Premiere mit Nvidia GeForce 6600 und 6800
- Im Test vor 15 Jahren: Die GeForce 6800 GT mit DDR1 von Asus
- Im Test vor 15 Jahren: Der erste Lasernager hieß Logitech MX1000
- Im Test vor 15 Jahren: AGP ohne Nachteile für die GeForce 6600 GT
- Im Test vor 15 Jahren: Der Pentium M machte dem Pentium 4 die Hölle heiß
- Im Test vor 15 Jahren: DDR400 mit hoher Leistung zu noch höheren Preisen
- Im Test vor 15 Jahren: Ein ATi-Chipsatz für den AMD Athlon 64
- Im Test vor 15 Jahren: Intels Pentium 4 Extreme Edition mit schnellerem FSB
- Im Test vor 15 Jahren: Mainboards mit Sockel 775 von Abit hatten das Nachsehen
- Im Test vor 15 Jahren: Athlon 64 4000+ und FX-55 hatten die Nase vorn
- Im Test vor 15 Jahren: Ein Apple-Gehäuse für jedermann
- Im Test vor 15 Jahren: ATi Radeon X700 XT als Konter zur GeForce 6600 GT
Community-Notes
Hinweise und Ergänzungen aus unserer Community
Mit den „Community-Notes“ möchten wir ein wenig von dem an die Community zurückgeben, was unsere Community uns insbesondere, aber nicht nur, in den Kommentar-Threads zu den Artikeln aus den Kategorien Retro und C:\B_retro\ an hilfreichen Hinweisen, wertvollen Ergänzungen und winzigen Details gibt.
Ab sofort und ausschließlich unter den Ausgaben von C:\B_retro\ werden die besten Hinweise und Ergänzungen von Community-Mitgliedern zur jeweiligen Ausgabe mit einer Notiz inklusive Nennung des Hinweisgebers in den Community-Notes gewürdigt. In der Regel maximal die fünf relevantesten Hinweise mit aufgenommen.
Im Folgenden die Community-Notes der ComputerBase-Leser zur Ausgabe 18:
Das Konkurrenzprodukt R-Zone
Community-Mitglied „DerSchwatte“ war so freundlich und hat auf eines der wenigen Konkurrenzprodukte des Nintendo Virtual Boys hingewiesen, den R-Zone von Tiger Electronics, einem Tochterunternehmen des US-amerikanischen Spielwarenherstellers Hasbro.
ELSA Revelator sorgt für 3D-Effekte am PC
Zudem erinnert „andi_sco“ mit der ELSA Revelator an eine 3D-Shutter-Brille, welche Ende des letzten Jahrtausends 3D-Effekte auf heimische PCs brachte. Notwendig war dazu offiziell eine Grafikkarte mit einem Grafikchip vom Typ RIVA TNT, TNT2 oder TNT2 Ultra aus dem Hause Nvidia.
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