C:\B_retro\Ausgabe_24\: Das Nintendo 64
tl;dr: Am 23. Juni 1996 präsentierte Nintendo mit dem Nintendo 64 (N64) eine der bis heute innovativsten Spielkonsolen überhaupt, die seinerzeit dennoch den Wettkampf mit der PlayStation von Sony deutlich verlor. Nichtsdestoweniger wurde die Konsole zur Legende und hat noch heute zahlreiche Freunde und Fans auf der ganzen Welt.
Jeden Sonntag wirft diese Serie einen unterhaltsamen Blick zurück auf drei Jahrzehnte voller bewegter Geschichten und interessante Entwicklungen der Computerszene.
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Das Nintendo 64
Nintendo, Produzent von Videospielen und Spielkonsolen aus Kyoto, sollte im Juni 1996 eine innovative Spielkonsole mit 64-Bit-Prozessor und dem zukunftsweisenden Bedienkonzept vorstellen, ohne das die kommenden Next-Gen-Konsolen womöglich einen anderen Weg eingeschlagen hätten.
In einer zehnteiligen Promotion auf VHS-Videokassette demonstrierte Nintendo seinerzeit die Vorzüge seiner neuen Wunderkonsole Nintendo 64. Eine dieser zehn VHS-Promotion hat der YouTube-Kanal Retropolitan für die Nachwelt archiviert und aufpoliert.
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Die Geschichte
Nachdem Nintendo mit dem NES (8-Bit) und dem Super Nintendo (16-Bit) sowie mit 62 respektive 50 Millionen verkauften Exemplaren die dritte und vierte Konsolengeneration erfolgreich bestreiten und sich gegen die Mitbewerber vom Typ eines Sega Mega Drive durchsetzen konnte, begann das Unternehmen noch 1993 die Entwicklungsarbeiten für eine Spielkonsole der fünften Konsolengeneration, welche den direkten Sprung auf eine 64-Bit-Architektur vollziehen sollte.
Gemeinsam mit den Grafikexperten des Unternehmens Silicon Graphics International (SGI), das noch heute eingetragener Inhaber der Grafik-API OpenGL ist, begann Nintendo unter dem Codenamen „Project Reality“ mit der Entwicklung des Nintendo 64.
Im Lastenheft des später in „Ultra 64“ umbenannten Projektes standen unter anderem zwei Vorgaben, die zwingend vom Entwicklerteam umzusetzen waren:
Zum einen sollte das spätere Nintendo 64 sowohl über einen Haupt- als auch Grafikprozessor mit einer 64-Bit-Architektur verfügen und das Nintendo 64 damit zur ersten 64-Bit-Spielkonsole der Welt machen, zum anderen sollte durch die Verwendung von Steckmodulen das Problem von Raubkopien umgangen werden.
Zum ersten Mal solle nicht die von Masayuki Uemura geleitete R&D2-Abteilung für die Realisierung einer neuen Nintendo Spielkonsole verantwortlich sein, die seit den „Color TV-Game“-Konsolen alle Nintendo-Heimkonsolen entwickelt hatte, sondern das von Genyo Takeda angeführte R&D3-Entwicklerteam, das später auch den GameCube, die Wii (Test) sowie die Wii U (Hands-on) hervorbrachte.
Im Jahre 1993 stand Nintendo durchaus unter Zugzwang, da sich auch das Mega Drive von Sega gut verkaufte und der einstiege Dominator mit dem SNES und mit 49,1 zu 30,2 Millionen verkauften Konsolen nur vergleichsweise knapp die Oberhand behalten konnte.
Nachdem Nintendo den Veröffentlichungstermin des Nintendo 64 mehrfach nach hinten verschieben musste, rechnete sich Sega für die eigene neue Konsole Sega Saturn ab 1994 größere Chancen auf dem Spiele- und Konsolenmarkt aus und mit der Sony PlayStation erschien am 3. Dezember 1994 die Spielkonsole, die die 5. Konsolengeneration mit über 100 Millionen verkauften Einheiten dominieren sollte.
Nintendo war also unter Druck und zum Handeln gezwungen: Mit einer technisch überlegenen und auf 3D-Welten optimierten 64-Bit-Konsole sollte der Konter auf Sega und Sony erfolgen. Doch es dauerte noch bis zum 23. Juni 1996, bis Nintendo zum Gegenschlag ausholen und das Nintendo 64 vorstellen sollte. Spieler in Europa kamen gar erst am 1. März 1997 in den Genuss der revolutionären Konsole.
Die Probleme
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, wurde der frühere Staatspräsident der ehemaligen Sowjetunion Michail Gorbatschow 1990 fälschlicherweise von Spiegel TV zitiert, doch die Situation von Nintendo in den Jahren 1996 und 1997 rund um die Vorstellung des Nintendo 64 beschreibt dieser Satz umso passender.
Nicht nur dass die Sony PlayStation und der Sega Saturn – der später dennoch geschlagen werden konnte – einen zeitlichen Vorsprung von eineinhalb bis zwei Jahren auf das Nintendo 64 hatten und bereits seit 1994 am Markt um Käufer warben, auch die Entscheidung für den Einsatz eines Steckmoduls, der sogenannten Cartridge, als Speichermedium zu Gunsten eines besseren Kopierschutzes, hatte im Vergleich zu dem Konzept der Konkurrenten, welche auf die CD-ROM setzten, erhebliche Nachteile.
Während Sony und Sega mit der CD-ROM bis zu 700 MB Speicherplatz für ihre Spiele zur Verfügung hatten, mussten Nintendo und seine Spieleentwickler mit den bereits damals sehr knapp bemessenen 64 MB (512 Mbit) auskommen. Zudem waren Spiele für das Nintendo 64 nicht zuletzt auf Grund der Steckmodule vergleichsweise schwer zu programmieren, was dazu führte, dass das Nintendo 64 bei Fremdentwicklern nicht sonderlich hoch im Kurs stand.
Square Enix (damals noch Squaresoft) gab seinerzeit an, dass der Verzicht auf Speichermedien vom Typ CD-ROM einer der Gründe gewesen sind, weshalb es die weltweit erfolgreiche Rollenspielserie Final Fantasy nicht auf das Nintendo 64 geschafft hat und stattdessen auf der Sony PlayStation erschienen ist.
Durch die fehlenden Unterstützung großer Studios war Nintendo neben dem britischen Entwicklerstudio Rare (auch Rareware) selbst sein bester Produzent von AAA-Spielen.
Mit insgesamt 32,9 Millionen verkauften Einheiten blieb das Nintendo 64 weit hinter den eigenen hohen Erwartungen zurück. Die Konsole konnte sich zwar gegen den Sega Saturn durchsetzen, welcher sich nur 11,6 Millionen Mal verkaufen sollte, gegen Sony und deren PlayStation sah das Nintendo 64 aber kein Land. Die Sony PlayStation verkaufte sich mit 102,5 Millionen Einheiten mehr als dreimal so oft wie das Nintendo 64.
Nach der Vorstellung des noch unglücklicheren Nintendo Game Cube im Jahre 2001 wurde das Nintendo 64 noch bis 2003 produziert und durfte sich anschließend in den verdienten Ruhestand verabschieden. Zu ihrem Ruhm sollte die Konsole erst in späteren Jahren gelangen, was nicht zuletzt mit ihrem innovativen Bedienkonzept und dem zukunftsweisenden Controller zu begründen ist.
Die Hardware
Auch wenn das Nintendo 64 nicht der erhoffte große Erfolg für Nintendo wurde, so wussten die technischen Spezifikationen mit 64-Bit Haupt- und Grafikprozessor sowie deren seinerzeit hohen Taktfrequenzen durchaus zu überzeugen.
Neben einem flimmerfreieren Interlace-Modus, Z-Buffering sowie einer sehr guten Echtzeit-Kantenglättung beherrschte das Nintendo 64 zudem die Darstellung von Bewegungsunschärfe und ein trilineares Texture-Mapping mit Perspektivkorrektur.
Die offiziellen Spezifikationen des Nintendo 64 lesen sich wie folgt:
- SGI NEC VR4300i RISC Hauptprozessor
- MIPS-Architektur mit 64-Bit-Erweiterung
- 93,75 MHz Taktfrequenz
- 250 MB/s Bus-Speed
- 24 kB L1-Cache
- 125 MIPS
- SGI RCP „Reality“ Co- und Grafikprozessor
- 150.000 Polygonen pro Sekunde
- Reality Drawing Processor (RDP)
- Reality Signal Processor (RSP)
- 62,5 MHz Taktfrequenz
- 500 MB/s Bus-Speed
- 4 MB Rambus DRAM Grafik– und Arbeitsspeicher
- Unified Memory Architecture (UMA) für CPU und GPU
- Erweiterbar auf bis zu 8 MB per Nintendo Expansion Pak
- 16-Bit ADPCM-Stereo mit 44,1 kHz und Dolby Surround
- Maße: 260 mm × 190 mm × 73 mm (B×T×H)
- Gewicht: 1.100 Gramm
- Preis: 399 DM
Das Zubehör
Das Nintendo 64 war sowohl über die Konsole selbst als auch über seinen N64-Controller in der Lage, eine Vielzahl an Zubehör aufzunehmen.
Neben dem 4 MB großen Nintendo Expansion Pak, welches den Grafik- und Arbeitsspeicher des Nintendo 64 auf bis zu 8 MB erweiterte und hochauflösende Texturen mit 640 × 480 Pixeln ermöglichte, wurden auch ein Controller Pak als Speichermedium und ein Rumble Pak für ein spürbares Vibrationsfeedback angeboten.
Spiele wie Pokémon: Hey You, Pikachu! konnten zudem die Voice Recognition Unit (VRU) nutzen und per Sprachbefehl gesteuert werden. Mit Hilfe des sogenannten Transfer Paks war es zudem möglich, Spiel- und Speicherdaten vom Game Boy auf das Nintendo 64 zu transferieren. Pokémon Stadium und Pokémon Stadium II nutzen diese Funktion.
Eine Sonderstellung unter den N64-Zubehörteilen nimmt das Nintendo 64 Dynamic Drive (auch N64DD) ein, welches das Nintendo 64 ab 1999 um ein Zusatzlaufwerk für 64 MB große, Zip-ähnlichen Disketten und einer Onlinefunktion für das RANDnetDD, dem damaligen Online-Service von Nintendo, erweiterte.
Der N64DD wurde ausschließlich in Japan angeboten und entwickelte sich mit 15.000 verkauften Exemplaren zu einem riesigen Misserfolg. Für die N64DD-Erweiterung erschienen nur neun Spiele und das RANDnetDD wurde 2001 abgeschaltet.
Die Spiele
Mit rund 12 Millionen verkauften Exemplare ist das 3D-Jump'n'Run Super Mario 64 das erfolgreichste Spiel für das Nintendo 64. Super Mario 64 entstand unter der Leitung von Shigeru Miyamoto und fungierte 1996 neben dem ebenfalls sehr erfolgreichen Pilotwings 64 als einer von zwei Starttiteln, die das Debüt des N64 flankierten. Die vielfach gelobte Musik des Spiels stammt einmal mehr aus der Feder von Kōji Kondō.
Nicht das erfolgreichste aber nach Meinung vieler N64-Spieler beste Spiel für das Nintendo 64 ist The Legend of Zelda: Ocarina of Time, das unter dem Arbeitstitel Zelda 64 entwickelt wurde und laut zahlreichen Einzelpublikationen und Bestenlisten als das bestes Videospiel aller Zeiten gehandelt wird.
Die höchste jemals von einem Spiel erzielte Wertung von 99 Punkten auf Metacritic darf hierfür durchaus als Indiz dienen. Noch heute sucht die Musik von Zelda: Ocarina of Time sowie deren direkter Einfluss auf das Spielgeschehen ihresgleichen.
Die Produktionskosten von N64-Spielen auf Steckmodulen war um ein Vielfaches höher als die vergleichbarer Titel auf CD-ROM für die PlayStation oder den Sega Saturn. Dieser Umstand machte sich auch bei den Verkaufspreisen der Spiele bemerkbar. So kostete beispielsweise eines der letzten Spiele für das Nintendo 64, das Action-Jump'n'Run Conker’s Bad Fur Day, bei seiner Veröffentlichung 180 DM.
Die technischen Besonderheiten und den ganz eigenen Charme des Nintedo 64 und seiner Spiele fängt der YouTube-Kanal TecTracks HD mit seinem Video aus der TecRetro-Serie besonders gelungen ein.
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