Bundesnachrichtendienst: Bis zu 1,2 Billionen Verbindungen pro Tag vom DE-CIX
Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das BND-Gesetz mit den Grundrechten übereinstimmt. Im Kern geht es also um die Frage, wie weitreichend die Überwachung des Bundesnachrichtendienstes sein darf. Aktuelle Dokumente enthüllten, dass der Geheimdienst bis zu 1,2 Billionen Verbindungen pro Tag erfasst.
Von den Dokumenten berichten sowohl der Bayrische Rundfunk (BR) als auch der Spiegel in der aktuellen Ausgabe. Demnach kann der BND theoretisch bis zu 1,2 Billionen Internet-Verbindungen pro Tag vom Frankfurter Internetknotenpunkt DE-CIX abzweigen. Das habe der DE-CIX-Betreiber im Oktober 2019 auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts berechnet. Allerdings handele es sich dabei nur um eine technische Angabe. Wie viele Verbindungen tatsächlich erfasst werden, ist allerdings geheim.
Der DE-CIX kritisiert diese Überwachungspraxis bereits seit geraumer Zeit. Die Betreiber-Firma klagt selbst gegen das Vorgehen des BND. Insgesamt vermittelte der DE-CIX im Oktober 2019 durchschnittlich 47,5 Billionen IP-Verkehrsverbindungen.
Filterung bleibt das Problem
Wie aus Zahlen des BND für das Bundesverfassungsgericht hervorgeht, nutzt der Geheimdienst insgesamt mehr als 100.000 Suchbegriffe (sogenannte Selektoren), um den Datenverkehr automatisiert zu durchforsten. Dazu zählen etwa IP-Adresse, Mail-Adressen oder Handynummern. Die Hälfte der Suchbegriffe soll von ausländischen Partnerdiensten stammen. Beim BND selbst sammeln sich nach Angaben des Dienstes rund 150.000 Kommunikationen pro Tag an. Die werden dann ausgewertet und sind die Grundlage für Meldungen. Rund 260 davon erstellt der BND pro Tag zu den Themen und Ländern, die der Geheimdienst laut dem geheimen Auftragsprofil überwacht.
Was aber problematisch bleibt, sind die Filterprogramme. Als Auslandsgeheimdienst darf der BND vor allem die Kommunikation von nicht-deutschen Staatsbürgern außerhalb von Deutschland überwachen. Daten von deutschen Staatsbürgern müssen also aussortiert werden. Das erfolgt etwa anhand von Indizien wie einer deutschen Mail-Adresse oder Telefonnummer. Immer klappt das aber nicht, nicht alle „geschützten Verkehre“ könnten „als solche erkannt“ werden, räumt der BND auch selbst in einem Dokument ein. Keine Filterung könne „jemals einen 100 Prozent Schutz bieten“.
Wenn BND-Mitarbeiter beim Auswerten auf entsprechende Inhalte stoßen, sollen diese aber „unverzüglich“ händisch gelöscht werden. Das komme rund 30 Mal im Monat vor. Rechtlich bleibt das aber eine der Grauzonen, über die das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Weitere Probleme bestehen bei den Inhalten, hochprivate Gespräche – etwa mit sexualbezogenem Inhalt – sind für den Geheimdienst ebenfalls tabu.
BND-Gesetz kam nach den Skandalen
Inwieweit solche – prinzipiell fehleranfälligen – Filterprogramme nun rechtmäßig sind, entscheidet nun das Bundesverfassungsgericht. Generell geht es bei dem Urteil um die Frage, inwieweit der BND im Ausland massenhaft überwachen darf und die so gewonnen Informationen an Partnerdiensten wie die NSA übermitteln darf. Die Verfassungsbeschwerde wurde Ende 2017 von einem Bündnis aus sechs Medienorganisationen eingereicht.
Die richtet sich gegen das BND-Gesetz, das die Bundesregierung im Jahr 2016 beschlossen hatte. Vorausgegangen waren die Skandale, die im Zuge der NSA-Enthüllungen sowie dem Untersuchungsausschuss im Bundestag bekannt wurden. So hatte der BND etwa Suchbegriffe der NSA in die eigenen Überwachungssysteme eingespeist, die sowohl auf Politiker als auch Firmen in Deutschland und Europa abzielten. Weitere Überwachungsziele waren zudem Journalisten von der BBC und der New York Times sowie NGOs wie das Internationale Rote Kreuz in Genf. Kritisiert wurden zudem noch die fragwürdigen Rechtskonstrukte, die der Geheimdienst nutzte, um die Überwachung zu legitimieren.
Als Konsequenz folgte das BND-Gesetz, dass eine neue Rechtsgrundlage schaffte und die Überwachung des BND sowohl in Deutschland als auch Europa beschränkte. Vertreter der Regierung bezeichneten das Gesetz als großen Wurf, Kritikern reichte es aber nicht aus. Es legitimiere lediglich das bis dato bekannte Vorgehen, lautete der Vorwurf.
Frage über Bürgerrechte in der digitalen Welt
Das Urteil wird mit Spannung erwartet. Es könne einen „wichtigen Baustein für die Frage“ liefern, was „Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte in der digitalen Welt bedeuten“, sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz im Spiegel. Beobachter rechnen damit, dass das Bundesverfassungsgericht das BND-Gesetz zumindest in Teilen revidiert und strenge Auflagen erlässt. Sicherheitspolitiker wie Armin Schuster (CDU) warnen hingegen vor weiteren „Daumenschrauben“, der BND habe bereits nur „weit restriktivere Möglichkeiten“ als etwa die Geheimdienste in den USA, Großbritannien oder Frankreich.