LG Wing im Test: Kamera, Leistung und Akkulaufzeiten
2/3In der Kamera-App bietet das LG Wing mit Unterstützung des zweiten Displays eine der interessantesten Funktionen: den Gimbal. Unter einem Gimbal ist eine kardanische Aufhängung zu verstehen, die die Kamera in besonderem Maße stabilisieren und so für sehr geschmeidige Videoaufnahmen frei von Verwacklungen sorgen soll.
Digitaler Gimbal für geschmeidige Videoaufnahmen
Im Wing gibt es natürlich keinen Platz für einen echten Gimbal, wobei dies grundsätzlich mit sehr kompakten Abmessungen in einem Smartphone möglich wäre, wie das Vivo X51 zeigt. LG hat die Funktion rein digital über einen 12-Megapixel-Sensor mit Ultraweitwinkelobjektiv (120 Grad, f/2.2) gelöst und die Auflösung für Videoaufnahmen in diesem Modus auf Full HD beschränkt. Das bedeutet, dass mit nur rund 2,1 Megapixeln für Full-HD-Videos besonders viel Spielraum für die digitale Stabilisierung besteht.
Joystick steuert das Sichtfeld
Weil das Sichtfeld im Sucher nur einem Bruchteil der Sensorauflösung entspricht, kann LG auch einen Gimbal-Joystick anbieten. Damit versucht der Hersteller, so etwas wie das DJI Osmo Mobile zu emulieren. Statt jedoch per Joystick tatsächlich einen in Hardware umgesetzten Gimbal zu steuern, wird vom Anwender das 2,1 Megapixel große Sichtfeld auf dem Sensor nach links und rechts oder oben und unten verschoben.
Abseits des Joysticks für kleinere, rein digital ausgeführte Kameraschwenks stehen drei Stabilisierungsmodi für Schwenks mit dem Smartphone zur Auswahl. Standardmäßig aktiviert ist der Ich-Perspektive-Modus (FPV), der eine besonders effektive digitale Stabilisierung auf allen Achsen bietet, wie das Testvideo gleich zu Beginn zeigt. Selbst das Springen von einer Bank hat beinahe keine Auswirkungen auf das Video.
Im Schwenkmodus (PF) werden Kameraschwenks auf der X-Achse stabilisiert. Bewegungen des Smartphones von rechts nach links und umgekehrt erscheinen besonders weich, während Bewegungen auf der Y-Achse vollständig aus dem Bild gerechnet werden. Im Schwenk-Kipp-Modus (F) wird das Bild digital so stabilisiert, dass alle Bewegungen abgesehen von Schwenks auf der X- und Y-Achse entfernt werden.
Top-Stabilisierung, aber mittelprächtige Bildqualität
Unabhängig vom gewählten Modus fallen die Aufnahmen vor allem durch ihre annähernd perfekte Stabilisierung ins Auge, die einen echten Gimbal beinahe überflüssig machen. Die größte Einschränkung ist allerdings die Bildqualität. Denn im Tausch für die digitale Stabilisierung und den Gimbal-Joystick wird viel Sensorfläche geopfert, sodass nur noch mageres Full HD mit 30 FPS zur Auswahl steht, das darüber hinaus durch das Ultraweitwinkelobjektiv Qualität einbüßt. Sobald die Lichtverhältnisse eingeschränkt sind, rauscht das Bild stark und verliert weiter an ohnehin nicht überzeugender Schärfe.
Normaler Videomodus liefert bessere Qualität
Für die maximale Bildqualität sollte der normale Videomodus der Kamera-App genutzt werden. Die normalen Funktionen der Kamera stehen immer dann zur Auswahl, wenn die App mit eingeklapptem Bildschirm gestartet wird. Während Videoaufnahmen mit Gimbal auf 1080p30 beschränkt sind, arbeitet der reguläre Videomodus mit bis zu 4K60 und liefert damit eine deutlich bessere Bildqualität. Diese erhält man allerdings nur im Tausch gegen eine dann schlechtere Stabilisierung, da mit 4K60 auf der Hauptkamera lediglich eine leichte digitale Stabilisierung durchgeführt wird und als Helfer auch keine Hardware-Lösungen wie ein optischer Bildstabilisator (OIS) geboten werden.
Hauptkamera mit Weit- und Ultraweitwinkel im Vergleich
Die Hauptkamera des LG Wing nutzt einen 64-Megapixel-Sensor, der standardmäßig mit 16 Megapixeln arbeitet und somit stets vier zu einem Pixel (1,6 statt 0,8 μm) zusammenlegt, um bei schlechten Lichtbedingungen mehr aus der Aufnahme zu holen. Wahlweise lässt sich manuell in einen Modus mit der vollen Sensorauflösung wechseln. Das Objektiv der Hauptkamera entspricht 26 mm nach Kleinbildäquivalent und arbeitet mit Blende f/1.8 samt einem Erfassungswinkel von 78 Grad. Hinter dem Ultraweitwinkelobjektiv mit f/1.9-Blende und 15 mm Brennweite nach Kleinbildäquivalent (117 Grad) sitzt ein Sensor mit 13 Megapixeln, der stets mit voller Auflösung arbeitet.
Im Fotomodus setzt sich der bessere Qualitätseindruck der Hauptkamera gegenüber dem Videomodus der Gimbal-Kamera fort. Das Wing ist in dieser Disziplin zwar kein außergewöhnliches Smartphone, kommt aber gut mit Gegenlicht für souveräne HDR-Aufnahmen zurecht, liefert eine gute Schärfe und trifft meistens einen zuverlässigen automatischen Weißabgleich, der hin und wieder etwas zu warm erscheint. Ein zum Vergleich herangezogenes iPhone 12 Pro (Test), das gleich viel kostet, macht das insgesamt zuverlässig und liefert auch mehr Schärfe und mehr Details. Mit der Ultraweitwinkelkamera des Wing geschossene Aufnahmen halten nicht mit der Hauptkamera mit und verlieren sichtbar an Schärfe und neigen früher zu Rauschen im Bild. In Ordnung gehen diese Fotos dennoch und die Perspektive eines Ultraweitwinkelobjektivs ist häufig mehr wert als das letzte Stück Qualität.
Ausfahrbare Selfie-Kamera für Vlogger
Selfies knipst man beim Wing mit einer ausfahrbaren Kamera, was dafür sorgt, dass das Display ohne Notch oder andere Aussparung auskommt. Abgesehen von Sony ist das bei kaum mehr einem Hersteller zu finden. Die Selfie-Kamera bietet 32 Megapixel und lässt sich in Kombination mit der hinteren Gimbal-Kamera im Dual-Modus mit Bild-in-Bild-Funktion oder beiden Aufnahmen nebeneinander nutzen. Mit der Funktion spricht LG Vlogger an, deren Videotagebücher um den Erzählenden ergänzt werden sollen.
Die Hardware entspricht der oberen Mittelklasse
Von den technischen Spielereien rund um das zweite Display abgesehen, ist das LG Wing ein normales Smartphone der oberen Mittelklasse. Obwohl 1.099 Euro dafür aufgerufen werden, fließt das meiste Geld in den Drehmechanismus statt in den Prozessor. Mit Snapdragon 765G, 8 GB RAM und 128 GB erweiterbarem Speicher spielt das Wing klar eine Liga unter den Android-Flaggschiffen. Dass durchaus etwas mehr Leistung für das Modell angebracht gewesen wäre, merkt man an längeren Ladezeiten für den parallelen Start von zwei Apps auf beiden Bildschirmen und auch beim Wechsel der Ansicht, nachdem der Bildschirm weggedreht wurde. Dabei nimmt sich das Wing wiederholt rund zwei Sekunden Zeit, bevor die Ansicht angepasst wird.
Das Wing läuft noch mit Android 10
Von der Geschwindigkeit her entspricht das Wing über weite Bereiche dem ähnlich ausgestatteten Velvet (Test), das ebenfalls den Snapdragon 765G nutzt. Für die Anforderungen bei einem Dual-Screen-Smartphone wirkt der Chip aber etwas untermotorisiert. Die Benchmarks bestätigen, dass zwischen Qualcomms schnellstem Chip der 700er-Serie und dem Snapdragon 855 oder 865 eine deutliche Lücke klafft. Hinsichtlich der Software ist es schade, dass ein Mitte November auf den Markt gebrachtes Android-Smartphone mit einem Preis von 1.100 Euro noch auf das ältere Android 10 setzt, obwohl Android 11 bereits seit drei Monaten verfügbar ist. Die speziellen Software-Anpassungen für das Wing dürften für die Zukunft tendenziell eher späte Updates bedeuten, zumal LG in diesem Punkt ohnehin keine gute Erfolgsbilanz vorzuweisen hat.
Akkulaufzeiten mit 4.000 mAh
Angesichts der aufwendigen Konstruktion des Smartphones mit der Aufteilung in ein und zwei Drittel Bautiefe ist es bemerkenswert, dass immerhin noch ein Akku mit 4.000 mAh in das Gerät gepasst hat, der für leicht überdurchschnittliche Laufzeiten sorgt. Mit auf 200 cd/m² kalibriertem Hauptbildschirm hält der Proband knapp über 11 Stunden im PCMark 2.0 durch, in YouTube ging er sogar erst nach knapp 17 Stunden aus.
Laufzeiten mit Nutzung beider Bildschirme
ComputerBase hat auch untersucht, was passiert, wie sich das Wing verhält, wenn zwei Anwendungen auf beiden Bildschirmen ausgeführt werden. Für diesen Test wurde der Hauptbildschirm erneut auf 200 cd/m² kalibriert – das untere Display läuft in diesem Szenario mit 191 cd/m², da es sich nicht unabhängig vom großen Exemplar regeln lässt.
Akkulaufzeit | |
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YouTube (Hauptbildschirm) | 16:48 Stunden |
PCMark 2.0 (Hauptbildschirm) | 11:08 Stunden |
YouTube (Hauptbildschirm) + PCMark 2.0 (Zweit-Display) | 9:06 Stunden |
Wird auf dem großen Bildschirm ein YouTube-Video in Dauerschleife abgespielt und parallel dazu unten der PCMark 2.0, der das Surfen und Schreiben am Smartphone sowie die Bild- und Videobearbeitung simuliert, in Dauerschleife ausgeführt, kommt das Wing noch auf knapp über 9 Stunden Laufzeit. Der limitierende Faktor ist in diesem Fall der PCMark, zu dem im Direktvergleich mit nur einem Display rund 2 Stunden fehlen.