Bundestag: Steuer-ID als Bürgernummer beschlossen
Der Bundestag hat mit Stimmen der Regierungsparteien die Steuer-ID als übergreifendes „Ordnungsmerkmal“ auf den Weg gebracht. Diese soll in Zukunft als Personenkennzeichen für viele relevante Dienste gelten. Massive Kritik kam von den Oppositionsparteien sowie Datenschützern.
So wurde nach der letzten Debatte im Bundestag mit dem verabschiedeten Gesetzesentwurf beschlossen, dass die Steueridentifikationsnummer zukünftig als Bürgernummer in Verwaltungen und einer großen Anzahl von Registern zum Einsatz kommen werde. Darunter befinden sich auch Fahrzeug- und Melderegister. Der Entwurf wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf den Weg gebracht, die Oppositionsparteien im Bundestag lehnten die Nutzung der Steuer-ID zur generellen Identifikation hingegen geschlossen ab. Mit dem Entschluss werden zukünftig 51 von rund 200 Behördenregistern die Bürgernummer nutzen. Die Kosten für die Umstellung auf das neue Gesetz sollen sich laut Schätzungen auf rund 300 Millionen Euro belaufen, weitere 108 Millionen Euro sind als Umzugskosten in den ersten vier Jahren veranschlagt.
Zweifache Ehrung
Bereits Mitte 2019 sprachen sich die Innenminister von Bund und Ländern bei ihrem Frühjahrestreffen für ein „verfahrensübergreifendes Identitätsmanagement“ aus, welches verlässliche Angaben zur Identität von Personen bei Verwaltungsleistungen bieten sollte. Laut dem damaligen Plan sollten alle „Grunddaten zu einer Person“ an zentraler Stelle „gespeichert, in Abstimmung mit den Basisregistern auf Inkonsistenzen geprüft, verlässlich gepflegt, aktualisiert und bereitgestellt werden“. Für das Vorhaben wurde 2020 die gesamte Innenministerkonferenz mit einem Big Brother Award „geehrt“. Der Verein Digitalcourage warf dem Gremium „Geschichtsvergessenheit“ vor, da „derartige Personenkennziffern bereits in den zwei Diktaturen auf deutschem Boden“ zur Erfassung, zur Repression bis hin zur Vernichtung genutzt wurden und sie damit dem Geist des Grundgesetzes widersprechen.
Diese Auszeichnung kommt auch in anderer Hinsicht nicht von ungefähr: Bereits 2007 hatte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück den Preis für die Einführung der Steuer-ID erhalten – schon damals warnten Datenschützer vor den Gefahren einer lebenslang gültigen Nummer.
Dienstleistungen von Behörden sollen ausgeweitet werden
Vonseiten der Regierungsparteien wird das neue Gesetz als eine wichtige Voraussetzung zur Umsetzung des bereits 2016 beschlossenen Onlinezugangsgesetz (OZG) gesehen, mit welchem digitale Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen ausgeweitet und über ein virtuelles Portal abrufbar sein sollen. Wichtig sei hierfür, dass Daten und Nachweise auf elektronischem Weg übermittelt werden können. Dies soll jedoch, in Einklang mit EU-Vorgaben, nur einmal nötig sein. Dafür müssten jedoch Verwechslungen ausgeschlossen werden, was wiederum eine eindeutige Identifikation der jeweiligen Personen voraussetzen würde.
Kritik von Experten und Bundesrat
Bereits im Vorfeld der ersten Arbeiten am Gesetzesentwurf wurden kritische Stimmen laut. Digital- und Rechtsexperten, Forscher, Sachverständige, Datenschutzbeauftragte bis hin zum Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages – sie alle brachten massive verfassungsrechtliche Bedenken und Einwände vor. Der Bundesrat schloss sich der Kritik Ende des letzten Jahres an, in dem er Nutzbarkeit der neuen Identifikationsnummer als gefährdet ansah.
Informationelles Selbstbestimmungsrecht gewahrt
Wie so oft sahen die Verantwortlichen dies jedoch anders. Laut Bundesregierung blieb von Anfang an das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger unangetastet. Sorge sollte dafür tragen, dass die Daten nicht direkt von den Behörden untereinander ausgetauscht werden können, sondern über einen „Mittelsmann“ zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollte jeder Bürger die Möglichkeit erhalten, kontrollieren zu können, welche Behörde zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Grund auf welche seiner Daten zugegriffen hat.
Eingrenzungen nach Kritik
Nach der massiven Kritik brachten sowohl CDU wie auch SPD weitere Veränderungen ein, welche die kritischen Stimmen jedoch nicht zum Schweigen bringen konnten. So sollte die neue Bürgernummer nur „zur Erbringung von Verwaltungsleistungen“ verarbeitet werden dürfen, eine nicht nach dem OZG vorgegebene und „auf Grund von Rechtsvorschriften oder mit Einwilligung der betroffenen Person sowie zum Zwecke eines registerbasierten Zensus“ ausfallende Nutzung wurde dagegen als unzulässig erklärt. Aus dem Vorhaben entfernt wurden zudem das Schuldnerverzeichnis, das Insolvenzregister, das Rechtsdienstleisterregister, das Liegenschaftskataster sowie Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern.
Durch Verordnungen sollen zudem die Anzahl der Sektoren und deren Abgrenzung bestimmt und somit die Bildung eines vollständigen Persönlichkeitsprofils begrenzt werden. Ob dies gelingen wird darf bezweifelt werden, denn alleine schon mit dem Bereich „Soziales“ werden Daten von der Jugendhilfe über die Krankenversicherung bis hin zur Rentenversicherung miteinander verbunden.
Pro...
Dementsprechend fielen auch die Erwiderungen auf die lautstarke Kritik aus: So merkte der CDU-Politiker Philipp Amthor an, dass für ihn die Standards aus dem Volkszählungsurteil von 1983 gegen eine Profilbildung aus der Zeit gefallen seien. Er sehe daher entspannt einem „Wiedersehen in Karlsruhe“ entgegen. Für seinen Parteikollegen Marc Henrichmann tritt vor allem die Weichenstellung für eine bürgerfreundliche und effektivere Verwaltung in den Vordergrund. Für Thomas Hitschler (SPD) war zudem das Nebeneinander von 220 Registern in Deutschland ausschlaggebend, welches zu zu vielen Datenerhebungen und damit verbunden auch Verwechslungen geführt hatte. Für ihn gebe es nun eine klare gesetzliche Begrenzung in Bezug auf die Zweckbestimmung.
... und kontra
Deutlich wurde dagegen die Opposition. Während die FDP-Politikerin Manuel Höferlin noch verhalten anmerkte, das auch die Steuer-ID einst auch nur für Steuerangelegenheiten eingeführt werden sollte und sich für die Nutzung bereichsspezifischer Identifier aussprach, platzte der Linken-Politikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau der Kragen: Sie habe es satt, dass spätestens seit 2001 von Mehrheiten im Bundestag „deutlich grundrechtswidrige Gesetze“ beschlossen würden, die dann das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in Karlsruhe wieder kassiert. Dennoch würde der Überwachungsrahmen immer weiter ausgedehnt werden, obwohl das höchste deutsche Gericht den Datenschutz und nicht den Datenzugriff auf Verfassungsrang gehoben habe.
Ähnlich sieht es Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), für den der Datenschutz vor allem die Menschenwürde schütze. Für ihn sei mit dem neuen Vorhaben wieder ein wichtiges Gesetz auf sandigen Boden gebaut, welches in Karlsruhe zu scheitern drohe. Würde das Gericht das neue Gesetz stoppen „haben wir ein Kosten- und Zeitproblem biblischen Ausmaßes“, so von Notz.
Bürgerrechtler der Humanistischen Union gehen sogar einen Schritt weiter und befürchten, dass der Mensch mit dem neuen Gesetz nun endgültig gläsern werden würde. Der Bund sieht die Gefahr gegeben, „dass der Staat jederzeit auf alle verfügbaren persönlichen Daten zugreift und sie miteinander verknüpft“. Genau das habe aber das Bundesverfassungsgericht mit dem Volkszählungsurteil zu verhindern versucht. „Dieses Gesetz ist ein direkter Anschlag auf unsere Grundrechte “, ereiferte sich AfD-Politiker Michael Espendiller. Für ihn würde der Mensch auf einen Datensatz reduziert.