Twitter: Mit „Birdwatch“ gegen Falschinformationen
Nachdem Twitter in den letzten Wochen eine Großzahl von Accounts gesperrt hatte, darunter auch der private Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, versucht der Anbieter weiter Falschinformationen Herr zu werden. „Birdwatch“ soll mit zunächst 1.000 Freiwilligen dazu beitragen – ehrenamtlich und damit unbezahlt.
Wie die meisten Social-Media-Unternehmen hat auch Twitter mit der Verbreitung von Fehlinformationen und Propaganda über seine Plattform zu kämpfen. Mit dem neuen Projekt soll eine Schutzfunktion errichtet werden, welche es Nutzern erlaubt, Tweets auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Das Vorhaben wird laut „The Verge“ zunächst mit rund 1.000 Nutzern in den USA an den Start gehen, soll aber im Laufe der Zeit weiter ausgebaut werden. Dies geht aus einem Blogeintrag von Twitters Leiter der Produktentwicklung; Keith Coleman, hervor. In diesem preist er das Projekt „Birdwatch“ („Vogelbeobachtung“) als einen „gemeinschaftsbasierten Ansatz gegen Fehlinformationen“ an.
Agieren gegen die Zeit
Die für das Projekt zugelassenen Nutzer erhalten weiterführende Rechte, mit denen sie Tweets, welche sie für irreführend halten, mit Notizen und Anmerkungen zu ihrer Richtigkeit versehen können. Durch diese Freiwilligen soll die Reaktionszeit auf Falschinformationen deutlich herabgesenkt werden, um so die Verbreitung von irreführenden oder falschen Informationen einzudämmen.
Einschätzungen zunächst nur intern sichtbar
In der jetzigen Pilotphase sollen entsprechende Vermerke jedoch zunächst nur auf einer separaten Birdwatch-Seite sichtbar sein, auf der Teilnehmer des Projekts von anderen hinzugefügten Notizen ebenfalls auf ihren Wahrheitsgehalt hin bewerten können. Der Bereich soll in der Aufbauzeit bewusst von Twitter getrennt gehalten werden, um dem Programm Zeit zur Entwicklung zu geben und an Akzeptanz zu gewinnen. Ebenso sollen die Notizen weder Einfluss auf die normale Nutzung noch auf die angezeigten Empfehlungen des Dienstes haben. Später sollen die Vermerke direkt in den Tweets für die globalen Twitter-Nutzer sichtbar gemacht werden, jedoch erst dann, „wenn ein Konsens aus einer breiten und vielfältigen Gruppe von Mitwirkenden besteht“.
Transparenz als Schlüssel zum Erfolg
Um dies zu erreichen, will Twitter Birdwatch so transparent wie möglich aufziehen. So sollen Coleman nach alle dem System hinzugefügten Daten öffentlich zugänglich sein sowie in TSV-Dateien heruntergeladen und mit jedem Tabellenkalkulationsprogramm geöffnet werden können. Jeder Code, welcher bei Birdwatch unter anderem in Reputations- und Konsenssysteme zur Verwendung kommt, wird öffentlich gemacht und der Community zur Einsicht angeboten. Mit diesem Vorgehen soll es sowohl normalen Nutzern wie auch Experten ermöglicht werden, das System genau unter Augenschein zu nehmen und dabei Möglichkeiten oder Schwachstellen zu identifizieren, welche die Weiterentwicklung vorantreiben.
Zu Beginn nur begrenzte Teilnehmerzahl
Zum Start des neuen Programms sind nur Nutzer aus den USA zugelassen, die wiederum für die Teilnahme ebenfalls Voraussetzungen erfüllen müssen:
- eine verifizierte Telefonnummer und E-Mail-Adresse
- einen vertrauenswürdigen, in den USA ansässigen Telefonanbieter
- aktivierte Zwei-Faktor-Authentifizierung
- keine aktuellen Hinweise auf Verstöße gegen die Twitter-Regeln
Mit den Maßnahmen sollen Bots oder gegnerische Akteure sowie die Übernahme eines Kontos und missbräuchliche Beiträge ausgeschlossen werden.
Experten sollen fachliche Grundlage sichern
Ein ähnlicher Ansatz gegen Falschinformationen wird bereits seit Langem von Wikipedia verfolgt, doch auch hier bleiben kritische Stimmen über die Qualität der Beurteilungen nicht aus. Twitters jetziges Vorgehen kann auch als Reaktion auf die in den letzten Wochen aufgekommene Kritik verstanden werden, dass ein privates Technologie-Unternehmen darüber entscheide, was Wahrheit oder Lüge sei. Um die dafür notwendige Neutralität zu schaffen, wird Twitter auch ein Mitglied des Labors für Radical Innovation for Social Change (RISC) der Universität Chicago bei Birdwatch aufnehmen. Ebenso soll es Feedback-Sitzungen mit Experten aus verschiedenen Bereichen geben, um die Qualität des Systems stetig zu verbessern.
Trotz der ambitionierten Maßnahmen muss sich Twitter dennoch den Vorwurf gefallen lassen, dass Problem für sich kostengünstig auf die Gemeinschaft abzuwälzen, statt dafür eigene Kontrolleure einzustellen.
Maßnahmen als Konsequenz
Twitter hatte in den letzten Wochen damit begonnen, eine Großzahl an Accounts von seiner Plattform wegen Verstößen gegen die Richtlinien zu löschen. Prominentestes Beispiel dürfte dabei der private Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sein, dessen Zugang vonseiten des Dienstes aufgrund der Vorkommnisse rund um das Kapitol am 6. Januar 2021 nach anfänglich temporärer Sperre am Ende permanent geschlossen wurde. Gleichzeitig wurden vor rund zwei Wochen mehr als 70.000, über welche hauptsächlich QAnon-Inhalte geteilt wurden, ebenfalls dauerhaft gesperrt. Twitter-CEO Jack Dorsey erkannte in einer kurz danach veröffentlichten Stellungnahme den Zwiespalt der Entscheidung, sah diese aber weiterhin als richtig an.