Terrorpropaganda: EU-Parlament beschließt 1-Stunden-Löschfrist
Betreiber von Online-Plattformen müssen in Zukunft „terroristische Inhalte“ auf Anordnung von Behörden aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union sowie ohne richterlichen Beschluss binnen einer Stunde löschen. Das hat das EU-Parlament beschlossen. Eine Frist für Einsprüche war am Dienstag verstrichen.
Bereits im Januar hatten sich die Vertreter des Parlaments, des Ministerrats und der Kommission im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres nach längeren Debatten auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser sah vor, dass Betreiber auf ihren Plattformen entsprechende Inhalte auf Anordnung innerhalb einer Stunde löschen müssen. Dafür bedarf es keines richterlichen Beschlusses. Ein pro-aktives Überwachen der Plattform sah der Entschluss dagegen nicht vor, auch automatische Überwachungswerkzeuge wie Uploadfilter gehören nicht zu der Vorgabe. Anders sieht es aus, wenn die Betreiber von entsprechenden Inhalten Kenntnis erhalten – zum Beispiel durch einen Hinweis von Nutzern der Plattform. In diesem Fall wären diese zu sofortigen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung verpflichtet. Dabei liegt die Entscheidung über die Art der Maßnahmen beim Betreiber selbst.
Keine Änderungen bei Art der Inhalte
Auch an der Art der jeweiligen Inhalte hat sich nichts geändert: Die neue Verordnung soll weiterhin für Beiträge gelten, welche zu terroristischen Taten auffordern oder zu diesen beitragen sowie dazu aufrufen, sich entsprechenden Organisationen anzuschließen. Auch Anleitungen für terroristische Aktivitäten wie dem Bau von Bomben oder Schusswaffen fallen unter die Frist. Ausnahmen gelten jedoch, wenn die Inhalte für erzieherische, journalistische sowie künstlerische Maßnahmen oder zu Forschungszwecken sowie Zwecken der Sensibilisierung zur Verhinderung oder Bekämpfung von Terrorismus genutzt werden. Dazu sollen auch Inhalte zählen, die polemische oder kontroverse Ansichten in einer öffentlichen Debatte über sensible politische Fragen zum Ausdruck bringen können.
Des Weiteren sollten Dienstanbieter verpflichtet werden, jährlich einen Transparenzbericht zu veröffentlichen. Dieser soll aufführen, welche Maßnahmen der Betreiber ergriffen hat, um die Verbreitung genannter Inhalte zu verhindern. Bei der kurz danach erfolgten Abstimmung votierten 54 Abgeordnete für die neue Verordnung, 13 dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich. Im März dieses Jahres stimmte der EU-Rat dem Kompromiss zu.
Auch für ausländische Betreiber geltend
Beibehalten wurden auch die Konsequenzen für Plattformen, die ihren Hauptsitz außerhalb des Geltungsraumes der Europäischen Union haben. Bei diesen soll das jeweilige EU-Land einen Löschantrag an das Land mit dem Hauptsitz des Betreibers senden, welcher innerhalb von 24 Stunden geprüft und entweder bestätigt oder abgelehnt werden kann. Sollte die Antwort negativ ausfallen, können Sanktionen von den Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes und der Größe des Unternehmens festgelegt werden.
Durch ausgebliebenen Einsprüche rechtskräftig
Die Frist für eventuelle Einsprüche ist nun am Dienstagabend verstrichen, womit der Kompromiss formal als angenommen gilt. Eine für heute geplante Abstimmung aller Abgeordneten ist somit nicht mehr nötig. Dagegen regt sich vor allem bei Bürgerrechtsbewegungen Widerstand: So äußerte die Initiative European Digital Rights (EDRi) per Twitter ihre Enttäuschung über den Wegfall der Abstimmung, durch die die Bürger der EU hätten erkennen können, welcher Abgeordnete sich wie bei dem Votum verhalten hat.
Mit dem Ablauf der Frist gilt die Verordnung als beschlossen. Somit kann diese am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten und zwölf Monate später sofort anwendbar sein. Da es sich hierbei um eine Verordnung handelt, muss diese nicht erst in nationales Recht eingearbeitet werden.
Endgültige Anwendung dennoch offen
Ob die Verordnung in ihrer jetzigen Form am Ende zur Anwendung kommen wird, ist dennoch offen. Bereits zur Abstimmung im Januar haben viele Bürgerrechtsgruppen und Digitalexperten heftige Kritik an dem Vorhaben geübt. So wurde die einstündige Frist von vielen als völlig unrealistisch eingeschätzt, zudem würde die Verordnung manchen Regierungen in Europa in die Hände spielen, um gegen ungewollte Kritik vorgehen zu können – auch im Ausland. Auch besteht nach ihrer Ansicht die Gefahr, dass bei Unsicherheiten völlig legale Inhalte bereits im Vorfeld gelöscht werden. Ein ähnliches nationales Vorhaben wurde in Frankreich im November des letzten Jahres vom dortigen Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Es gilt somit nicht als unwahrscheinlich, dass sich in naher Zukunft der Europäische Gerichtshof mit der neuen Verordnung beschäftigen wird.