Vorratsdatenspeicherung: Anlassloses Sammeln ist auch in Belgien rechtswidrig
Vor sieben Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das damals höchst umstrittene EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung als rechtswidrig eingestuft. Seitdem versuchen immer wieder EU-Staaten, eine konforme Lösung zu finden. Ein neuer Versuch ist nun in Belgien gescheitert.
Ende voriger Woche hat das belgische Verfassungsgericht erneut die Nichtvereinbarkeit des bereits zweiten Versuches zur einjährigen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten als rechtswidrig eingestuft. In dem Verfahren, für welches die schriftliche Urteilsbegründung nun vorliegt (PDF), kamen die zuständigen Richter zu dem Schluss, dass auch das neue Gesetzesvorhaben von 2016 genauso wie sein Vorgänger nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Bereits 2015 hatte das Gericht den ersten Entwurf moniert, da die Vorschriften einerseits unverhältnismäßig und auf der anderen Seite die Schutzfunktionen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Nutzung nicht ausreichend gewesen seien. Auch wenn das belgische Parlament daraufhin einige Änderungen eingeführt habe, weiterhin aber an der Speicherung festhielt, bleibe das Gesetzesvorhaben auch in seiner aktuellen Form nicht mit europäischem Recht in Einklang zu bringen. Somit hoben die Richter alle mit dem Gesetz verbundenen Bestimmungen auf.
Ausnahme, keine Regel
Daneben hoben die Richter in dem Urteil eines zudem deutlich hervor: „Die Pflicht zur Speicherung von Daten über die elektronische Kommunikation muss die Ausnahme sein und nicht die Regel“. Dazu müsse das neue Gesetz strengen Regelungen und Vorgaben in Bezug auf die jeweilige Anwendung unterliegen, gleichermaßen gilt es aber, Mindestanforderungen zu schaffen, um einen Missbrauch zu verhindern. Beides sahen die Richter aber nicht gegeben. Auch konnten sie keine Mechanismen erkennen, mit denen sich der Eingriff in die Grundrechte der EU-Bürger „auf das absolut Notwendige beschränkt“. Dabei müssten stets objektive Kriterien vorliegen, „die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen“.
Auch kleinere Straftaten betroffen
Erneut gegen die neue Ausführung geklagt hatten Belgiens Liga der Menschenrechte und die deutsch- und französischsprachige Anwaltskammer Avocats.be. Immer wieder vorgetragener Kritikpunkt der Kläger war, dass das Gesetz auch eine Überwachung für Straftaten zuließe, welche im Höchstfall lediglich mit einer einjährigen Haftstrafe belegt werden würden. Darüber hinaus sollen Geheimnisträger wie Ärzte, Abgeordnete, Journalisten oder Rechtsanwälte nicht von der Überwachung ausgeschlossen worden sein – womit Interessen von Patienten oder Mandanten verletzt werden könnten.
Keine Regel ohne Ausnahme
Dass dabei unter strengen Auflagen auch Ausnahmen möglich sind, hatte im Oktober des letzten Jahres ebenfalls der Europäische Gerichtshof entschieden. Hierfür hatten nationale Gerichte aus Belgien, Frankreich und Großbritannien beim EuGH um eine Einschätzung der Sachlage gebeten. Geklagt hatten unter anderem Bürgerrechtsorganisationen wie die britische „Privacy International“ und die „La Quadrature du Net“.
Zwar blieben die Richter in ihrem Urteil bei der Begründung dabei, dass eine pauschale und verdachtsunabhängige Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten nicht mit der Grundrechte-Charta der EU vereinbar sei, fügten aber hinzu, dass eine solche Speicherung von Daten dann zulässig wäre, wenn sich ein EU-Mitglied einer ernsten Bedrohung der eigenen Sicherheit gegenübersehen würde. Dieser Eingriff müsse jedoch durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Institution zu jederzeit verbindlich überprüft werden können. Darüber hinaus müsse der Zeitraum der jeweiligen Maßnahmen auf den jeweiligen Anlass sowie auf die Dauer strikt begrenzt sein. Ist der Anlass nicht mehr gegeben, müsse auch die Überwachung sofort eingestellt werden.
Dennoch brachte das Urteil nur bedingt Klarheit. So beklagen verschiedene Organisationen, dass nach wie vor nicht geklärt sei, was unter dem Begriff „Bedrohung“ konkret zu verstehen sei.
Diverse Urteile in Europa
In Frankreich hat in der vergangenen Woche der Conseil d’État, welcher in Frankreich zugleich das oberste Verwaltungsgericht wie auch ein Beratungsgremium der Regierung in Rechtsfragen darstellt, die anlasslose Speicherung von Bürgerdaten ebenfalls als unrechtmäßig erklärt (PDF), aber auch hier Ausnahmen zugelassen – mit gleicher Begründung. In Deutschland liegt die Vorratsdatenspeicherung aktuell auf Eis, nachdem die Bundesnetzagentur nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung bis zum Urteil im Hauptverfahren ausgesetzt hatte.
Das belgische Justizministerium erklärte nach dem Urteil, dass es bereits an einer erneut korrigierten Version des entsprechenden Gesetzes arbeite.