S-Klasse mit MBUX 2 im Test: Infotainment und Assistenz vom neuen Stern
In der neuen S-Klasse (223) zündet Mercedes-Benz mit MBUX der 2. Generation ein Technikfeuerwerk sondergleichen. Schnelle Hardware von Nvidia, unzählige Bildschirme und intelligente Assistenzsysteme lassen den vom Kfz zuletzt erwarteten Technik-Rückstand vergessen. Der weitgehend guten Software fehlen aber noch Inhalte.
Mit einer neuen Generation „Sonderklasse“, kurz S-Klasse, will Mercedes-Benz nicht nur das komfortable Reisen eine Stufe höher stellen, sondern nutzt die neue Baureihe auch stets, um allerlei neue Technik in den Bereichen Infotainment und Assistenzsysteme in den Markt zu entlassen. Bei der neuen Baureihe 223, die Mercedes-Benz letzten Sommer zunächst mit Fokus auf MBUX der 2. Generation und zwei Monate später in Gänze vorgestellt hatte, wiederholt sich das Spiel. ComputerBase nimmt das zum Anlass, nach dem Test der 1. Generation MBUX in der A-Klasse auch hier nicht nur auf die Angaben des Herstellers zu vertrauen, sondern das Fahrzeug in spezifischen Bereichen genau unter die Lupe zu nehmen. Der Test legt den Fokus auf das neue MBUX der 2. Generation und die Assistenzsysteme, die SAE-Level 2 entsprechen.
Im Video geht ComputerBase ab 21:33 auch auf Leserfragen aus dem Forum ein.
Nvidia liefert die Infotainment-Hardware
Bei der „Mercedes-Benz User Experience“ kooperiert der Autohersteller seit jeher mit der Chipschmiede Nvidia, die leistungsfähige Prozessoren für das Infotainment-System zur Verfügung stellt. Kamen bei der A-Klasse vor drei Jahren noch Nvidia-SoCs unter den Bezeichnungen „Reilly PX“ und „Parker 128“ zum Einsatz, wie sie Bastler in ähnlicher Umsetzung auch auf dem Entwickler-Board Jetson TX2 mit Tegra X2 finden, bildet jetzt ein leistungsfähigeres Xavier-SoC das Rückgrat des Systems.
Im Detail bedeutet der Wechsel, dass die ehemals genutzten Komponenten – konkret eine Hexa-Core-CPU mit zwei Denver-2- und vier Cortex-A57-Kernen, Pascal-GPUs mit 128 oder 256 CUDA-Kernen und 8 GB RAM – weichen und einer Lösung mit sechs von Nvidia eigens entwickelten Carmel-Kernen im Bereich der CPU und der Volta- statt der Pascal-Architektur im Bereich der GPU Platz machen müssen. Mercedes-Benz nutzt eine Ausbaustufe mit drei „Texture Processing Clusters“ (TPC) und somit sechs Streaming-Multiprocessors (SM), sodass 384 CUDA-Cores zur Verfügung stehen. Der Maximalausbau des Xavier-SoCs kommt auf acht Carmel-Kerne und eine 4-TPC-GPU mit 512 CUDA-Cores und ist für den neuen EQS mit MBUX Hyperscreen vorgesehen.
Den LPDDR4-RAM hat Mercedes-Benz von 8 auf 16 GB verdoppelt und bindet diesen mit einer Speicherbandbreite von 41.790 MB/s an das Nvidia-SoC an. Die integrierte SSD bietet 320 GB, HDDs kommen überhaupt nicht mehr zum Einsatz.
Der Zulieferer bleibt im Hintergrund
Obwohl der Name Nvidia zur Vorstellung des neuen MBUX noch omnipräsent war, spielt der Zulieferer im fertigen Auto nur eine Rolle im Hintergrund als Antrieb des Systems. Wird das Infotainment-System gestartet, sucht man Hinweise à la „GeForce“ oder „The way it's meant to be played“ vergebens. Dass es sich um eine neue Generation MBUX handelt, verdeutlichen in erster Linie die unzähligen Bildschirme, die Mercedes-Benz teils serienmäßig, teils gegen hohe Aufpreise in dem Fahrzeug verbaut. Fünf an der Zahl waren es beim opulent ausgestatteten Testfahrzeug. Und sechs, wenn das Head-up-Display, das auch in einer Variante mit Augmented Reality angeboten wird, mitgezählt wird.
Eine Bildschirm-Armada sondergleichen
Fahrer‑Display | Zentral‑Display | Fond‑Displays | Fond‑Tablet | |||
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Serie | 1.416,10 € | Serie | Serie in Deutschland | 3.558,10 € | 595,00 € | |
Diagonale | 12,3 Zoll | 11,9 Zoll | 12,8 Zoll | 11,6 Zoll | 7,0 Zoll | |
Auflösung | 2.400 × 900 | 1.624 × 1.728 | 1.888 × 1.728 | 1.920 × 1.080 | 1.280 × 800 | |
Touch | Nein | Ja | ||||
Sonstiges | 3D-Darstellung mit Tiefenwirkung, zwei integrierte Kameras für Gesichtserkennung | OLED-Panel mit haptischem Feedback | Anschluss für Kopfhörer | Laden über USB in Dockingstation, WLAN- und Bluetooth-fähig |
Stets serienmäßig verbaut ist das 12,8 Zoll große OLED-Display mit haptischem Feedback in der Mittelkonsole, das im Innenraum eine der größten Veränderungen einführt, nachdem die Bildschirme zuvor stets oben am Armaturenbrett befestigt waren. Die neue C-Klasse mit MBUX 2 nutzt demnächst den gleichen Aufbau. Ein kleineres Display mit 11,9 Zoll gibt es grundsätzlich zwar ebenfalls, doch für den deutschen Markt ist diese Ausführung nicht vorgesehen. Der große OLED-Bildschirm bietet scharfe 1.888 × 1.728 Pixel und punktet mit ausgezeichnetem Kontrast, weil OLED perfektes Schwarz darstellen kann. Mit Colorimeter bewaffnet, wollte die Redaktion wissen, wie hell ein für das Automotive-Segment freigegebenes OLED-Display im Alltag werden kann. Das Ergebnis: Je nach dargestelltem Inhalt kann die Helligkeit zwischen 600 und 800 cd/m² schwanken – das ist mehr als ausreichend für die meisten Alltagssituationen.
Lenkt der große Bildschirm ab?
Doch wie sinnvoll ist so ein riesiges Tablet in der Mittelkonsole überhaupt im Alltag? Immerhin 27 mechanische Schalter der vorherigen S-Klasse hat Mercedes-Benz aus dem Interieur des neuen Modells verbannt, die jetzt per Touch oder Sprachbedienung umgesetzt werden. Für die Touchbedienung ist die Position in der Mittelkonsole definitiv die bessere Wahl, als den Bildschirm weiter oben am Armaturenbrett zu befestigen. Das gesamte Display ist gleichsam gut für Fahrer und Beifahrer zu erreichen. Doch jeder Griff zum Bildschirm bedeutet auch eine Hand weniger am Lenkrad. Insofern hat der Aufbau durchaus das Potenzial, den Fahrer vom Fahrgeschehen abzulenken. Ein wenig Selbstkontrolle ist an dieser Stelle somit mehr als angebracht. Störende Reflexionen aufgrund der Glasabdeckung gab es überraschenderweise nur selten und meistens ist die Leuchtkraft ausreichend, um diesen entgegenzuwirken. Häufig genutzte Bedienelemente hat Mercedes-Benz in eine Leiste unterhalb des Bildschirms ausgelagert, außerdem nimmt die Steuerung der Klimaanlage stets einen Bereich unten im Zentral-Display ein.
Touch dominiert auch bei vielen Schaltern
Doch auch bei den mechanischen Bedienelementen wird schnell deutlich, dass der Touchbedienung eine nicht zu kleine Rolle zukommt. Über den Lautstärkeregler unterhalb des Zentral-Displays kann man zum Beispiel auch wischen und die Bedienelemente am Lenkrad verfügen ebenfalls über Zonen, die Wischgesten akzeptieren. Hier wünscht man sich nicht selten ein klassisches Rädchen mit haptischem Feedback. Tasten für das nächste oder vorherige Lied werden ebenso am Lenkrad vermisst. Die Steuerkreuze links und rechts, die dem Fahrer- und dem Zentral-Display zugeordnet sind, sind keine klassischen D-Pads, sondern werden nur „geswipt“, wohingegen das Drücken auf „OK“ anschließend die Eingabe bestätigt. Wischgesten werden auch in Bereichen wie Geschwindigkeit (Set-Tasten) oder für die Lautstärke gefordert, wenngleich hier ebenfalls eine Doppelbelegung vorhanden ist, die es dem Fahrer ermöglicht, die Distronic in 10-km/h-Schritten ein- oder kurzerhand die Musik stummzustellen. Die Grundregel für das Lenkrad lautet: Wo eine Vertiefung zu erkennen ist, lässt sich auch wischen. Alle anderen Symbole können nur gedrückt werden.
Wie stark der zentrale Bildschirm und die neuen Schalter mit Doppelbelegung vom Fahrgeschehen ablenken, hängt zwar durchaus auch vom persönlichen Verhalten ab, etwa wie intensiv die Sprachbedienung genutzt wird. Aber der große Bildschirm ist schon ein Blickfang, der definitiv von der Fahrt ablenken kann. Kein Wunder also, dass Videos oder der (optionale) TV-Tuner nicht während der Fahrt aktiv sein dürfen. Erst unterhalb von 5 km/h schaltet sich das Bewegtbild wieder hinzu, bei höheren Geschwindigkeiten ist nur noch der Ton zu hören. Und bei Eingaben am Lenkrad bedarf es immer wieder eines Kontrollblicks auf das Fahrer-Display, weil es anders als bei einem Rädchen kein sofortiges Feedback gibt. Ob man die Geschwindigkeit über die Set-Tasten um 2, 3 oder 4 km/h erhöht respektive reduziert hat, weiß man immer erst genau, wenn dies noch einmal im Fahrer-Display überprüft wurde. Besser umgesetzt sind die 10-km/h-Schritte, weil dafür nur „+/-“ der Set-Tasten gedrückt werden muss und man über das Schalterklicken direkt Feedback erhält.
„Hey Mercedes“ kann viel, aber nicht alles
Alternativ lassen sich viele Bereiche der S-Klasse per Sprache bedienen. Als Hotword für den eigenen Sprachassistenten dient „Hey Mercedes“, außerdem lässt sich der Assistent über eine Taste am Lenkrad starten. Ist CarPlay oder Android Auto aktiv, gibt es erneut eine Doppelbelegung, die mit kurzem Drücken zu „Hey Mercedes“ und mit langem Drücken zu den Assistenten von Apple und Google führt. Einstellungen am Fahrzeug kann aber ausschließlich der Mercedes-Assistent vornehmen, etwa für das Öffnen von Fenstern und des hinteren Sichtschutzes oder aber des Schiebedachs oder für die Einstellungen der Sitze. Mehrere Mikrofone im Innenraum erkennen, aus welcher Richtung der Sprachbefehl kommt, und reagieren entsprechend. Sagt zum Beispiel der Beifahrer „Hey Mercedes, aktiviere die Sitzheizung“, ohne den Sitzplatz explizit zu nennen, wird die Sitzheizung dennoch nur für diese Person aktiviert. Möglich sind auch weniger präzise Befehle wie „Mir ist warm/kalt“, die Veränderungen bei Klimaanlage, Sitzheizung/Sitzklimatisierung und/oder Flächenheizung der Arm-Auflagen mit sich bringen. Alles kann „Hey Mercedes“ aber noch nicht beantworten oder durchführen. Auf die Frage, ob der Motor schon warm ist, war keine Antwort möglich und auch die Intensivreinigung der Windschutzscheibe ließ sich nicht per Sprachbefehl ausführen.
Neues Fahrer-Display mit 3D-Ansicht
Am sichersten ist es, den Blick während der Fahrt primär auf das Fahrer-Display und das Head-up-Display zu richten und die Bedienung über das Lenkrad oder per Sprache vorzunehmen. Hinter dem Lenkrad thront ein 12,3 Zoll großer Bildschirm mit 2.400 × 900 Pixeln, der gegen Aufpreis mit einer autostereoskopischen 3D-Darstellung aufwartet. Das weckt Erinnerungen an den Nintendo 3DS, der für seine 3D-Darstellung ebenfalls keine 3D-Brille benötigt, nur dass die Umsetzung in der neuen S-Klasse in puncto Qualität in keinster Weise mit dem kleinen Gaming-Handheld vergleichbar ist. Was zunächst ein wenig nach Gimmick klingen mag, wenn man den Begriff „3D-Fahrer-Display“ erstmals zu hören bekommt, hat Mercedes-Benz tatsächlich sehr gut umgesetzt. In mehrere Tiefenebenen unterteilt, werden die verschiedenen Anzeigen klar voneinander getrennt, sodass sich ein dreidimensionaler Raum vor dem Fahrer öffnet.
Wie hilfreich der 3D-Effekt im Alltag ist, hängt stark davon ab, welcher Anzeigenstil für das Fahrer-Display gewählt wurde. Wer die klassischen Rundinstrumente digital darstellt, hat vergleichsweise wenig von der neuen Anzeige, da sich hier nur die Zeiger vom Drehzahlband absetzen oder die Karte zwischen den Rundinstrumenten etwas tiefer im Raum positioniert und zudem dreidimensional aus der Vogelperspektive dargestellt wird. Voll zur Geltung kommt der Effekt erst bei Anzeigen wie der großen Navigationskarte auf dem gesamten Bildschirm oder noch besser mit der Anzeige „Assistenz“, die während des Tests hauptsächlich genutzt wurde, weil sie eindrucksvoll zeigt, wie hilfreich ein digitales Kombi-Instrument sein kann, wenn es nicht mehr nur dafür genutzt wird, analoge Instrumente jetzt lediglich digital darzustellen, aber sich aus dieser Digitalisierung ansonsten kein nennenswerter Vorteil ergibt.
Im Modus „Assistenz“ spannt das Fahrer-Display über die gesamte Breite eine über die Assistenzsysteme erfasste Ansicht der Straße und anderer Verkehrsteilnehmer auf. Auf welcher Spur sich welcher andere Pkw oder Lkw oder auch ein Motorrad befindet, ist damit auf Anhieb und selbst aus mehreren hundert Metern Entfernung sichtbar. Das System kann dabei bis zu drei Spuren darstellen, wobei es sich stets um eine Spur links und rechts des Fahrzeugs handelt. Je nachdem, auf welcher Spur man sich befindet, kann es also dazu kommen, dass nicht alle weiteren Spuren oder Verkehrsteilnehmer erfasst werden. Kurzzeitig vier- oder fünfspurige Autobahnen, wenn Auf- und Abfahrten hinzukommen, passen also nicht immer auf den Bildschirm. Doch insgesamt betrachtet ist die Anzeige sehr hilfreich und verschafft dem Fahrer eine bessere Übersicht. Dargestellt werden auch Hinweise der Assistenzsysteme und Markierungen, etwa wenn sich anbahnt, dass man kurz davor ist, aus Versehen rechts ein Fahrzeug zu überholen.
Zwei Bildschirme und ein Tablet im Fond
Auch im Fond lässt sich die S-Klasse gegen Aufpreis umfangreich mit Bildschirmen bestücken. Zwei an den vorderen Sitzen montierte Displays liefern auf 11,6 Zoll eine scharfe Full-HD-Auflösung und in die hintere Mittelkonsole lässt sich zusätzlich ein „Fond-Tablet“ integrieren, das mechanisch gesperrt in Position gehalten wird und sich per Knopfdruck lösen lässt, um es frei im Fond oder auch anderweitig (etwa zuhause) nutzen zu können. Das Tablet findet sich ebenso im neuen EQS, wo es in einem Video von MKBHD spöttisch als sieben Jahre altes „Uralt-Tablet“ identifiziert wurde.
In der Tat ist das Galaxy Tab 4 mit 7 Zoll und 1.280 × 800 Pixeln alles andere als taufrisch und will nicht zur ansonsten modernen, hochwertigen Ausstattung passen. Im Hinterkopf muss man dabei aber stets behalten, dass Mercedes-Benz nicht einfach beliebige Tablets im Fond montieren kann, da es Freigaben für das Automotive-Segment braucht und Anpassungen am Tablet einen hohen Tribut fordern, der sich am Alter des Geräts zeigt. Mercedes-Benz verbaut zum Beispiel einen anderen Akku für die Temperaturschwankungen im Fahrzeug und packt die Technik in ein robusteres Gehäuse, damit es nicht so leicht splittern kann und zudem zur Halterung im Fond kompatibel ist. Dennoch soll die Entscheidung nicht schöngeredet werden, denn ein aktuelles Galaxy Tab S oder iPad würde deutlich besser zur S-Klasse passen.
Im nächsten Abschnitt geht der Test auf das Anschließen eigener Geräte etwa für Apple CarPlay und Googles Android Auto sowie auf die Multimedia-Fähigkeiten von MBUX 2 ein.