S-Klasse mit MBUX 2 im Test: Fahrerassistenzsysteme im Praxistest
3/5Anders als MBUX 2 werden die zahlreichen Fahrerassistenzsysteme noch nicht von Nvidia gesteuert. Das wiederum soll erst ab 2024 mit dem Einsatz von Drive AGX Orin und dann auch im Zusammenspiel mit dem eigenen Betriebssystem MB.OS umgesetzt werden. Auf welche Lieferanten Mercedes-Benz bei der aktuellen S-Klasse für die Assistenzsysteme setzt, wollte der Konzern auf Nachfrage nicht verraten.
Dem Fahrer und den Passagieren kann es jedoch erst einmal egal sein, welche Hard- und Software hinter den Kulissen werkelt, sofern die Systeme zuverlässig ihren Dienst verrichten. Und das lässt sich bei der neuen S-Klasse als Gesamtpaket betrachtet klar bejahen, auch wenn das Auto nicht immer jede Situation in allen Aspekten auswerten und entsprechend reagieren kann. Ohnehin entspricht auch die neue S-Klasse weiterhin dem SAE-Level 2 und stellt somit lediglich assistierende Systeme zur Verfügung, bietet aber nicht das teilautomatisierte oder gar automatisierte Fahren an. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres ist der erste Schritt in diese Richtung mit dem Drive Pilot geplant, der in Stausituationen bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h dauerhaft die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen kann, währenddessen sich der Fahrer mit anderen Dingen wie dem Surfen im Netz beschäftigen kann. Im kommenden Jahr ist der Drive Pilot auch für den EQS geplant.
Die Sensorik im Überblick
Die S-Klasse bewegt sich stattdessen weiterhin im Rahmen dessen, was auf deutschen Straßen erlaubt ist. Insofern kommt es zwar dennoch zum Wow-Effekt, aber einem etwas kleineren, denn eine aktuelle E- oder C-Klasse, aber auch viele Modelle der Konkurrenz beherrschen im Grunde genommen die gleichen unterstützenden Funktionen, nur eben stellenweise etwas anders umgesetzt oder um einzelne Features ergänzt. Für die Erfassung von Fahrsituationen sind in der S-Klasse bekannte Technologien verantwortlich, zu denen insgesamt zwölf Ultraschallsensoren (sechs vorne und sechs hinten) mit einem Öffnungswinkel von 120 Grad, eine 360-Grad-Kamera, die ihr Bild aus vier Einzelkameras mit 180-Grad-Öffnungswinkel generiert, jeweils zwei Multimode-Radare vorne und hinten (Öffnungswinkel 130 Grad), ein Fernbereichsradar vorne mit 9 bis 90 Grad Öffnungswinkel sowie eine Stereo-Multi-Purpose-Kamera oben in der Windschutzscheibe mit 70 Grad Öffnungswinkel zählen.
Distronic in Perfektion umgesetzt
Die Sensorik ist für viele Situationen des Alltags zuständig, neben dem eigentlichen Fahren ebenso für das Parken und Rangieren oder beim Aussteigen, wenn vor anderen Autos oder auch Radfahrern gewarnt wird. In diesen Punkt fügt sich ebenfalls gut umgesetzt die aktive Ambientebeleuchtung (940,10 Euro) ein, da sie Warnungen entsprechend visuell aufbereitet. Eines der wichtigsten Ausstattungsmerkmale während der Fahrt ist der aktive Abstands-Assistent Distronic, der auch bei den kleineren Motorisierungen wie dem S 350 d zum serienmäßigen Fahrassistenz-Paket gehört. Die Distronic steht wie bei anderen Baureihen im Geschwindigkeitsbereich von 20 bis 210 km/h zur Verfügung und arbeitet im Zusammenspiel mit dem Verkehrszeichen-Assistenten, der Verkehrszeichen über die Multifunktionskamera erfasst, diese mit den Informationen der Navigationskarte abgleicht und daraufhin die Geschwindigkeit des Fahrzeugs entsprechend anpasst.
Die serienmäßige Distronic beherrscht mit ihrem Arbeitsbereich von 20 bis 210 km/h nicht mehr, als auch in anderen Baureihen von Mercedes-Benz möglich ist. Wird das Fahrzeug also vollständig bis zur elektronisch limitierten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h ausgereizt, fehlt bei diesen letzten 40 km/h die entsprechende Unterstützung. Zwar ist die Aktivierung erst ab 20 km/h möglich, die Distronic hält bei erkannten vorausfahrenden Fahrzeugen aber den eingestellten Abstand gegebenenfalls bis zum Stillstand. Wie dicht zum Vordermann aufgefahren wird, lässt sich in mehreren Stufen am Lenkrad einstellen, entspricht aber selbst auf der niedrigsten Stufe stets einem sicheren Mindestabstand in Abhängigkeit zum Tempo. Das Auto wird in Abhängigkeit zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie zur eingestellten (oder auf Schildern erkannten) Geschwindigkeit beschleunigt oder verzögert.
Wie zögerlich oder forsch die Distronic agiert, hängt vom ausgewählten Fahrprogramm ab. Im Eco- und Comfort-Programm lässt sich das System etwas mehr Zeit als bei Sport oder Sport+. Darüber hinaus kann die Distronic auch beim Überholen automatisch die Geschwindigkeit anpassen. Fährt man hinter einem Auto unterhalb der eingestellten oder erkannten Geschwindigkeit und setzt man den Blinker zum Überholen, wird von der Distronic eine entsprechende Beschleunigung durchgeführt. Dabei werden auf Autobahnen einseitige (rechts überholen) und auf mehrspurigen Straßen mit getrennten Fahrbahnen Überholverbote berücksichtigt. Kommt das Fahrzeug zum Stehen, etwa im Stau oder in der Innenstadt, kann die Distronic innerhalb von 30 Sekunden wieder automatisch dem vorausfahrenden Fahrzeug folgen. Im Fahrer-Display wird die Verfügbarkeit zum Anfahren über ein blinkendes, grünes Fahrzeugsymbol signalisiert.
Das Fahrer-Display visualisiert die Sensorik
Obgleich die Distronic auch in der neuen S-Klasse bereits Bekanntem des Herstellers entspricht, ist es vor allem die neue Visualisierung im Fahrer-Display und im neuen AR-Head-up-Display, die den Unterschied zu früheren Baureihen von Mercedes-Benz ausmacht. Das neue Fahrer-Display bietet die sieben verschiedenen Ansichten „Dezent“, „Sportlich“, „Exklusiv“, „Klassisch“, „Navigation“, „Assistenz“ und „Service“. Als besonders hilfreich im Alltag hat sich dabei schnell die Ansicht „Assistenz“ herauskristallisiert, weil diese Ansicht dem Fahrer nicht nur am besten das Geschehen rund um das Fahrzeug visualisiert, sondern überhaupt erst in einer großen Anzeige sichtbar macht, was die Sensorik im direkten Umfeld des Fahrzeugs alles erkannt hat. Dass vor oder neben dem eigenen Fahrzeug mehrere andere Autos, Lkw oder Motorräder fahren, kann man zwar ebenso gut mit eigenen Augen sehen, ohne auf das Fahrer-Display zu gucken, die Visualisierung verdeutlicht dem Fahrer aber, dass dies auch für das Fahrzeug gilt.
Insbesondere im Modus „Assistenz“ kommt die autostereoskopische 3D-Ansicht gut zur Geltung, weil sich die Straßenansicht in das Display vertieft und Begrenzungslinien und optische Hinweise sinnvoll in diesem Raum platziert werden. Die 3D-Ansicht funktioniert zuverlässig, wird gestochen scharf dargestellt und führte im Test auch nicht zu Ermüdungserscheinungen der Augen. Von der Fahrerposition aus betrachtet kam es auch nie zu Situationen, in denen aufgrund eines falschen Blickwinkels ein Wechselspiel zwischen 2D und 3D erfolgte. Erst wer seitlich etwa vom Beifahrersitz aus auf das Display schaut, bekommt eine leicht verschwommene Ansicht präsentiert. Wer den 3D-Effekt trotz eindeutiger Vorteile nicht nutzen möchte, kann ihn über eine Schaltfläche oben links im Zentral-Display deaktivieren. Abgesehen von einer potenziellen Unverträglichkeit im Hinblick auf den 3D-Effekt hat die 2D-Ansicht aber nur einen Vorteil: Sie ist merklich heller als die 3D-Ansicht, wenngleich letztere ebenfalls hell genug ist.
AR-Head-up-Display zeigt, was das Auto sieht
Die Distronic und weitere Assistenzsysteme sind auch im neuen AR-Head-up-Display präsent. Dieses spannt in optisch wahrgenommenen 10 m Entfernung vor dem Fahrzeug einen 77 Zoll entsprechenden Monitor auf, der unter anderem auch Informationen der Distronic bereithält. Konkret wird hinter einem auf derselben Spur erkannten Fahrzeug auf Höhe seiner Heckschürze eine dynamische Linie angezeigt, deren Tiefe im AR-Head-up-Display mit der Position des vorausfahrenden Fahrzeugs variiert und auch bei einem Spurwechsel des erkannten Autos mit diesem auf die andere Spur wandert. Was trivial klingen mag, da man den Wagen ja auch selbst sehen kann, ist aber ein äußerst hilfreicher Indikator, um das, was das Auto und nicht der Fahrer sieht, zu visualisieren. Wenn bei 210 km/h in mehreren hundert Metern Entfernung das vorausfahrende Auto mit einer Linie markiert wird, gibt das dem Fahrer mehr als nur ein Gefühl von Sicherheit, dass auch die Distronic auf dieses Fahrzeug vorbereitet ist.
Anmerkung zum Video: Die Farbverfälschungen sind in der Praxis nicht zu sehen.
Im AR-Head-up-Display erscheinen zudem wichtige Hinweise im rechten und linken Bereich der Anzeige, wenn sich Fahrzeuge im direkten Umfeld leicht nach vorne versetzt neben dem Fahrzeug befinden, um zum Beispiel ein zu frühes Einscheren auf dieselbe Fahrbahn zu unterbinden oder zumindest darauf hinzuweisen. Und auch beim ungewollten Verlassen der Fahrbahn zeigt das AR-HUD eine den Fahrbahnmarkierungen folgende rote Linie an. Ein dezentes Vibrieren im Lenkrad und ein leichtes Zurückholen in die Spur unterstützen den Fahrer, sofern dieser nicht das System übersteuert. Grundsätzlich bleibt es dem Fahrer jederzeit möglich, die Assistenzsysteme durch einen manuellen Eingriff zu übersteuern. Wer also unbedingt ohne Blinker und mit viel zu dichtem Auffahren die Spur wechseln will, kann das mit entsprechenden Warnmeldungen und potenziellen Unfallfolgen weiterhin tun.
Wird das integrierte Navigationssystem von Mercedes-Benz genutzt, erscheinen im AR-HUD zusätzlich animierte Abbiegepfeile, die dynamisch in Größe und Position variieren und so stets den richtigen Weg weisen, wenn zum Beispiel auf der Autobahn eine spezielle Spur gewählt werden oder innerstädtisch an einer Kreuzung abgebogen werden soll. Das bei anderen Mercedes-Modellen nur auf dem Zentral-Display dargestellte AR-Feature steht damit erstmals auch im HUD zur Verfügung. Die Darstellung auf dem mittleren Bildschirm gibt es bei der S-Klasse aber weiterhin.
Schade, dass nicht auch die Ampel-Ansicht im HUD oder zumindest im Fahrer-Display angezeigt wird. Dieses äußerst praktische Feature ist zwar kein klassisches Assistenzsystem, es fängt jedoch über die Kameras im ungünstigen Winkel stehende Ampelsignale ein, wenn man mal wieder als Erster an der Haltelinie angekommen ist. Verrenkungen für den Blick auf die Ampel gehören damit der Vergangenheit an.
Das Auto wechselt assistiert die Spur
Spurwechsel lassen sich in der neuen S-Klasse auch assistiert durchführen. Das ist dann einer der Bereiche, der neben dem aktiven Lenk-Assistenten schon ein Gefühl von autonomem Fahren aufkommen lässt, wenngleich das aktuell Gebotene nüchtern betrachtet noch nichts damit zu tun hat. Voraussetzungen für die Nutzung des aktiven Spurwechsel-Assistenten sind der weiter unten im Text erklärte Lenk-Assistent, der das Auto in der Fahrstreifenmitte hält, und eine aktive Distronic. Außerdem muss die Sensorik seit dem letzten Fahrzeugstart einmal ein anderes Auto mit ausreichendem Abstand hinter dem eigenen Fahrzeug erkannt haben. Grundsätzlich funktioniert der Spurwechsel-Assistent nur auf der Autobahn oder einer autobahnähnlichen Straße.
Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Fahrer über kurzes Antippen des Blinkerhebels einen assistierten Spurwechsel einleiten. Dabei wird zunächst von der Sensorik überprüft, ob die gewünschte Fahrbahn neben, vor und hinter dem Fahrzeug frei ist und ob der Fahrer die Hände am Lenkrad hält. Lenkmoment muss nicht selbst aufgebracht werden, das Lenkrad muss jedoch in zumindest einer Hand gehalten werden. Das Auto leitet daraufhin ganz von alleine einen Spurwechsel ein, positioniert sich in der Fahrstreifenmitte der neuen Spur und deaktiviert den Blinker wieder. Optisches Feedback für diesen Vorgang gibt es über einen in die entsprechende Richtung animierten grünen Pfeil im Fahrer- und AR-Head-up-Display. Kann der Vorgang aus welchen Gründen auch immer nicht durchgeführt werden, wechselt der Pfeil zu Rot und der Wagen wird wieder auf die ursprüngliche Fahrbahn geführt.
Sicherheit geht vor Geschwindigkeit
Während die Distronic zwischen 20 und 210 km/h arbeitet, sind es beim Spurwechsel-Assistenten 80 bis 180 km/h. Das System funktioniert meistens zuverlässig, wenngleich nicht in demselben Tempo, das ein Mensch für den Vorgang anlegen würde. Das System ist auf maximale Sicherheit getrimmt, nicht auf besonders dynamische Fahrmanöver. Der Blinker bleibt zum Beispiel bis zum vollständigen Erreichen der anderen Spur aktiv und auch der Spurwechsel selbst ließe sich manuell schneller ausführen, aber vielleicht nicht mit derselben Sicherheit oder zumindest nicht mit dem Rundumblick der Sensorik.
Der Lenk-Assistent lenkt bewusst nur mit
Spurwechsel müssen stets manuell initiiert werden, auch weil genau das noch nicht automatisiert erlaubt ist. Gesetzlichen Limitierungen in ähnlicher Form unterliegt auch weiterhin der aktive Lenk-Assistent, der das Fahrzeug mit moderaten Lenkeingriffen bis zu einer Geschwindigkeit von 210 km/h in der Fahrstreifenmitte hält. Im Fahrer-Display signalisiert ein graues Lenkrad mit Händen, dass das System eingeschaltet, jedoch noch passiv ist. Grün steht für eingeschaltet und aktiv, während rotes Blinken zur Rückmeldung durch den Fahrer auffordert, den Übergang vom aktiven zum passiven Zustand signalisiert oder auf die Erkennung von Systemgrenzen seitens des Fahrzeugs hinweist.
Systemgrenzen können etwa sein, wenn eine Kurve mit zu kleinem Radius mit zu hoher Geschwindigkeit genommen wird. Das dafür notwendige Lenkmoment kann das System im abgesteckten rechtlichen Rahmen nicht aufbringen, denn schließlich handelt es sich lediglich um einen Assistenten und nicht um ein System, das das Auto durch jedwede Kurven lenkt und bei dem der Fahrer dabei auch noch dauerhaft die Hände vom Lenkrad nehmen kann. Der Lenk-Assistent kann ebenso wenig für den Fahrer abbiegen oder das Auto durch einen Kreisel bewegen. Zudem kann es zu Einschränkungen durch Wetter, Verschmutzung der Sensorik, unerwartete Hindernisse oder den Wegfall von Markierungen kommen. Handschuhe oder Lenkradbezüge sind ebenfalls ungeeignet.
Nach 15 Sekunden kommt die erste Warnung
Denn das kapazitive Lenkrad ist mit einer Berührungserkennung ausgestattet, die es – zumindest auf dem Papier – notwendig macht und vorschreibt, dass der Fahrer die Hände stets am Lenkrad hält. Dieses muss dabei nicht fest umgriffen, sondern nur leicht gehalten werden. In den Fingern merkt man dann, wie das Auto leicht von ganz alleine lenkt, um das Fahrzeug in der Spur zu halten und auch durch Kurven zu führen, sofern diese im Rahmen des Durchführbaren für das System liegen. Fast ein wenig wie von Geisterhand gelenkt und ein kleiner Vorgeschmack auf das automatisierte Fahren.
Praktisch erlaubt die Berührungserkennung aber durchaus, dass bis zu 15 Sekunden lang die Hände vom Lenkrad genommen werden können, bevor erstmals ein optischer Hinweis im Fahrer-Display erscheint. In immer weiter eskalierenden optischen und akustischen Warnstufen mahnt das Auto, wieder ans Lenkrad zu greifen. Passiert das nicht, wird im letzten Schritt ein Nothalt mit Warnblinker initiiert und das Fahrzeug sanft bis zum vollständigen Stillstand verzögert und automatisch in Fahrstufe „P“ versetzt. Einfach wieder Gas geben kann man danach erst einmal nicht, da zunächst wieder manuell Fahrstufe „D“ eingelegt werden muss, was eine Betätigung des Bremspedals voraussetzt.
Im nächsten Abschnitt geht der Test auf die zwei verfügbaren Park-Assistenten ein.