ActivisionBlizzard: Klage wegen Sexismus schlägt Wellen
ActivisionBlizzard steht unter Beschuss. Das geht aus einer Anzeige des California Department of Fair Employment and Housing hervor, das in der Sache zwei Jahre lang ermittelt hat. Demnach herrscht eine ungeheuerliche Unternehmenskultur, in der Frauen Gegenstand permanenter sexueller Belästigung und Diskriminierung sind.
Die vor Gericht erhobenen Vorwürfe des US-amerikanischen Bundesstaats Kalifornien sind erheblich. Weibliche Angestellte würden kaum für Führungspositionen berücksichtigt, schlechter bezahlt, langsamer befördert und schneller entlassen, notiert die Behörde in der Klageschrift. Ungleichbehandlung erstreckt sich auch auf die Anforderungen. Frauen, insbesondere nicht-weiße, würden stärker überwacht, hätten weniger Freiheiten und müssten erheblich mehr leisten als männliche Kollegen. Dass zahlreiche Beispiele beschrieben werden, untermauert dabei den Umfang des Problems.
Dazu kommt laut Klageschrift, dass weibliche Mitarbeiter „ständiger sexueller Belästigung“ ausgesetzt seien, die einer „Burschenschaftskultur“ entspringe und für die Täter folgenlos bleibe. Die Analogie mit der Arbeit für eine Burschenschaft haben weibliche Angestellte „fast durchgängig bestätigt“, schreibt die Behörde. Als Beispiel wird ein als üblich bezeichnetes Spiel beschrieben, bei dem männliche Mitarbeiter betrunken durch die einzelnen Abteile der Büroräume kriechen und sich dabei Kolleginnen gegenüber „unangemessen verhalten“. Dazu gehört es auch, sie zu begrapschen, Witze über Vergewaltigungen zu machen oder ihren Arbeitsplatz aufzusuchen und ihre Brüste zu kommentieren.
Die „Cosby-Suite“
Namentlich benannt wird Alex Afrasiabi, einen Senior Creative Director von World of Warcraft. Er habe auf einer Unternehmensfeier versucht, Kolleginnen in aller Öffentlichkeit zu küssen und seine Arme um sie zu legen, er habe von Kollegen von Frauen „weggezogen“ werden müssen. Weil Afrasiabi im Unternehmen für dieses Verhalten bekannt gewesen sei, habe sein Büro den Namen „Crosby Suite“ getragen.
Der Name spielt auf Bill Cosby an. Konsequenzen habe es nur in Form von Mitarbeitergesprächen gegeben, die keinerlei Auswirkungen auf das Verhalten gehabt hätten. Afrasiabi arbeitet mittlerweile nicht mehr für Blizzard, worüber das Unternehmen anders als beim Ausscheiden von Jeff Kaplan kaum Aufhebens gemacht hat. Spieler fordern mittlerweile, dass Charaktere in World of Warcraft mit Afrasiabis Namen wie in ähnlichen Fällen umbenannt werden, berichtet Kotaku.
Beschwerden ohne Wirkung
Beschwerden über die Praktiken und Probleme, die an die Personalabteilung und den aktuellen Präsidenten J. Allen Brack gerichtet wurden, führten auch allgemein zu keiner Veränderung des Status Quo. Die Angeklagten würden diesen Zustand fortgesetzt dulden. Die Personalabteilung werde zudem nicht vertraut, da unter anderem Beschwerden mit abschlägiger Haltung begegnet werde und diese nicht vertraulich behandelt würden. Ihre Urheber sehen sich, so die Klage, deshalb Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt.
Eine solche Kultur ist zumindest in der oberen Führungsebene geduldet worden, denn sie ist dort „mindestens bekannt“ gewesen, wenn sie dort nicht sogar ebenfalls aktiv betrieben wurde.
Blizzard sieht (k)ein Problem
Die Stellungnahmen von ActivisionBlizzard zeichnen ein widersprüchliches Bild. In einer ersten Reaktion gegenüber The Verge nannte der Konzern das Verhalten der Behörde „verantwortungslos“ und „unprofessionell“ und warf dem Staat vor, dass seine „unverantwortlichen Bürokraten“ Unternehmen vertreiben würden. Man habe in den vergangenen Jahren kooperiert und bereits erhebliche Veränderungen eingeleitet.
In einer internen Mail an Mitarbeiter schlägt J. Allen Brack hingegen andere Töne an. Die Anschuldigungen und „Schmerzen ehemaliger und aktueller Mitarbeiter“ werden darin als „extrem verstörend“ bezeichnet. Brack bezieht darin eindeutig Position und kündigt Gespräche an, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Diese Mail steht nicht nur in Kontrast zur offiziellen Stellungnahme, sondern auch zu einer weiteren Mail von Fran Townsend, die seit März als Chief Compliance Officer bei Blizzard und als Teil des ABK Emplyee Women's Network arbeitet. Blizzard wird darin als ein Unternehmen dargestellt, das „Gleichheit und Fairness wirklich wertschätzt“. Die Beschreibung legt nahe, dass es kein Problem mit Diskriminierung oder Belästigung gibt. Der Klage wirft Townsend vor, ein „verzerrtes und falsches Bild“ zu zeichnen.
Angestellte reagierten auf die Mail „wütend“, schreibt Jason Schreier, der die Nachricht veröffentlicht hat. Ähnliche Reaktionen trägt Eurogamer aus sozialen Medien zusammen, die in Teilen die Vorwürfe der Anklage bestätigten. Der langjährige Blizzard-CEO Mike Morhaime zieht die Anklage ebenfalls nicht in Zweifel. In einer langen Stellungnahme entschuldigt er sich dafür, versagt zu haben: Es sei ihm offensichtlich nicht gelungen, eine für alle Menschen gleichermaßen geschützte und einladende Umgebung zu schaffen.
Ein Branchenproblem
Auch wenn der Umfang der Vorwürfe und die dahinter stehende Unternehmenskultur extrem wirken: Mit dem Grundproblem steht Blizzard nicht alleine dar. Sexismus und Diskriminierung sind in der Branche bekannt. Vor gut einem Jahr wurde Ubisoft mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert, auch dort war das Phänomen verbreitet. Losgeworden ist das Unternehmen das Thema nicht. In den vergangenen Tagen erschienen Berichte über die Zustände des Ubisoft-Studios in Singapur, die nahe legen, dass sich dort kaum etwas geändert hat.
Über soziale Netzwerke haben sich in den vergangenen Tagen ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter von Blizzard zu Wort gemeldet. Sowohl weibliche als auch männliche Angestellte bestätigen darin die in der Klage geschilderten Vorfälle und die Haltung der Personalabteilung. Lediglich eine ehemalige Angestellte schreibt, dass sie positive Erfahrungen bei Blizzard gesammelt habe, bezieht dies aber ausdrücklich auf ihr ehemaliges Team. Eine Übersicht über die Beiträge haben Nutzer auf Reddit angelegt.
Der Umgang mit der Klage hat Mitarbeiter von Blizzard tatsächlich verärgert. Mehr als 2.000 Angestellte haben laut Informationen von Polygon einen offenen Brief unterzeichnet, der verschiedenen Portalen zugespielt wurde. Darin werden die Aussagen von Frau Townsend scharf kritisiert. Sie würden klarstellen, dass die Führungsetage „unsere Werte nicht an erste Stelle setzt“. Die Klage als „wertlos und unverantwortlich“ zu bezeichnen, „ist schlicht inakzeptabel“, heißt es weiter.
In den Formulierungen wird fein zwischen den Werten der Angestellten und denen des Managements unterschieden. Die Darlegungen werden mit Forderungen verknüpft: Townsend solle ihren Posten im ABK Employee Women’s Network niederlegen, offizielle Stellungnahmen von Blizzard sollen die Schwere der Anschuldigungen anerkennen und Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck bringen und das Führungsteam solle zusammen mit den Angestellten effektive Maßnahmen finden, um künftig ähnliche Fälle zu verhindern.
Dazu fordern die Unterzeichner, dass außergerichtliche Schiedesverfahren als Erstinstanz zur Problemlösung in Arbeitsverträgen nicht länger verpflichtend sind, neue Verfahren für die Einstellung und Beförderung von Mitarbeitern, Transparenz bei der Entlohnung und externe Prüfer, die sich unter anderem der Personalabteilung annehmen. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, plant die Gruppe ihre Arbeit am Donnerstag niederzulegen.
ActivisionBlizzard-CEO Bobby Kotick hat sich mittlerweile selbst zu Wort gemeldet. Kotick entschuldigt sich darin für die Unfähigkeit, angemessen auf die Situation zu reagieren, man habe nicht „das richtige Maß Empathie und Verständnis gezeigt“.
Der Konzern hat, schreibt Kotick, mit sofortiger Wirkung die Anwaltskanzlei WilmerHale damit beauftragt, alle Richtlinien und Verfahrensweisen einer Prüfung zu unterziehen um sicherzustellen, dass bei Blizzard kein Platz für Diskriminierung oder Belästigung sei. Opfer können sich darüber hinaus bei der Kanzlei melden, sie steht für solche Fälle als Ansprechpartner bereit und behandle alle Fälle vertraulich. Racheakte würden nicht toleriert, versichert Kotick.
Darüber hinaus werden fünf Schritte angekündigt. Alle Vorwürfe sollen mit Hilfe zusätzlichen Personals vollständig aufgeklärt werden. Es soll künftig zudem sichere, von Dritten moderierte Orte geben, in denen Angestellte Bereiche benennen können, in denen AcitivionBlizzard Verbesserungen vornehmen muss. Manager und Führungskräfte werden darüber hinaus evaluiert. Alle Angestellten, die die Aufklärung von Vorwürfen und das Verhängen „angemessener Konsequenzen“ behindert hätten, werden entlassen, so Blizzard. Zusätzliche Ressourcen für die Überwachung interner Direktiven würden sicherstellen, dass diese künftig befolgt würden.
Außerdem kündigt Kotick an, dass „unangemessene“ In-Game-Inhalte entfernt werden. Dies bezieht sich auf die Proteste gegen nach Afrasiabi benannte Charaktere in World of Warcraft. Die Hintergründe von Afrasiabis „Cosby Suite“ beleuchtet Kotaku. Der Raum wird als „alkoholgetränkter Treffpunkt“ beschrieben, dessen Name nicht nur ein Witz gewesen sei. Als Teil der Dekoration habe dort ein Bild von Bill Cosby gehangen, mit dem Angestellte posiert hätten – obwohl es schon Vorwüfe wegen sexueller Belästigung gegen Cosby gegeben habe. Bilder fügt die Seite bei, auf diesen seien auch Mitglieder der Personalabteilung zu sehen. Die sexuelle Konnotation des Namens könne dabei trotz anderslautender Erklärungsversuche aufgrund von Screenshots aus Chats und Facebook-Gruppen nicht in Zweifel gezogen werden.
Protestiert wird trotzdem
Den Angestellten reichte diese Äußerung nicht, um auf den geplanten Walk-Out zu verzichten. Keine der Forderungen würden in der Stellungnahme berücksichtigt, niemand habe mit den Angestellten selbst gesprochen, berichtet Gamasutra nach einem Gespräch mit Organisatoren vor Ort, auch wenn Blizzard zumindest die Reaktion der Mitarbeiter ernst nehme und die für den Protest genutzte Zeit nicht vom Lohn abziehe. Angst vor möglicher Vergeltung für die Teilnahme an dem Protest oder das Sprechen mit der Presse hätten die Angestellten aber trotzdem gehabt, berichtet die Seite, würden die Proteste aber fortsetzen wollen, um echten Wandel im Unternehmen herbeizuführen.