Kia EV6 Fahrbericht: Viel Ausstattung für rund 35.000 Euro
Nicht jede Presseveranstaltung läuft selbst mit guter Organisation aller beteiligten Parteien stets so ab, wie es der Zeitplan vorsieht. Diesmal durchkreuzte eine Flugannullierung eine längere Ausfahrt mit dem Kia EV6. In nur 45 Minuten Fahrzeit gelang dem E-Auto dennoch ein solider Auftritt bei Cockpit und Assistenzsystemen.
Ein kurzes Vergnügen mit dem Kia EV6
Morgens in den Süden Spaniens nach Marbella, ein nagelneues E-Auto das erste Mal Probe fahren, sich abends mit Experten darüber unterhalten und am nächsten Morgen zurück nach Deutschland. Klingt eigentlich nach einem soliden Plan mit vielen Möglichkeiten der Berichterstattung, jedoch müssen dafür alle Zahnräder präzise ineinandergreifen. Doch wenn aus 60 Minuten Verspätung kurz vor dem Boarding eine Annullierung wird, löst sich selbst der beste Plan schnell in nichts als Luft auf.
So geschehen letzte Woche, als auf dem Plan stand, für mehrere Stunden den neuen Kia EV6 und damit erstmals die „Electric Global Modular Platform“ (E-GMP), die ebenso der Hyundai Ioniq 5 und der Genesis GV60 nutzen, Probe zu fahren.
Ein Video voller authentischer Ersteindrücke
Das Schlamassel des Zubringers vom BER nach Frankfurt, von wo aus es vormittags nach Málaga hätte gehen sollte, führte dazu, dass die Anreise mit der zweiten Maschine des Tages vollzogen werden musste, die es für Redakteur und Leser glücklicherweise überhaupt noch gab. Die gesamte Planung vor Ort wurde dadurch aber über den Haufen geworfen, übrig blieb lediglich eine 45-minütige Fahrt vom Flughafen Málaga zum Hotel. Aber in dieser Kürze und gleichzeitig Herausforderung kann ja durchaus auch die Würze eines Artikels liegen, denn jeder gewonnene Fahreindruck hat es so im ersten Take in das Video geschafft.
E-GMP mit 800-Volt-Laden und bis zu 585 PS
Die E-GMP zeichnet vor allem das 800-Volt-Schnellladen aus, das bei entsprechender Ladesäule in ca. 18 Minuten die Kapazität von 10 auf 80 Prozent bringt. Angeboten werden zwei Batteriekapazitäten mit 58 und 77,4 kWh, auf die Kia (wie beim gesamten Auto) sieben Jahre Garantie bis 150.000 km gibt. 58 kWh werden nur für dein Einstieg mit Heckantrieb und 125 kW (170 PS) angeboten, während die 77,4-kWh-Batterie beim stärkeren Heckantrieb (168 kW/229 PS), beim Allradantrieb (239 kW/325 PS) und beim Ende 2022 folgenden EV6 mit GT-Paket (430 kW/585 PS) zum Einsatz kommt. Die Reichweiten betragen in derselben Reihenfolge 394 km, 528 km, 506 km und ca. 400 km. Alle Details dazu liefern die technischen Daten samt Preisliste (PDF).
Einstieg ab 35.420 Euro nach Prämien
Der Einstieg in die Welt des EV6 erfolgt ab 44.990 Euro (brutto), wobei es für E-Fahrzeuge mit einem Nettolistenpreis von unter 40.000 Euro derzeit noch eine Innovationsprämie von 9.570 Euro gibt, davon 6.000 Euro stattliche Kaufprämie und ein Herstelleranteil von 3.570 Euro, sodass effektiv 35.420 Euro anfallen. Die stärkeren Varianten liegen vor Prämien bei 48.990 Euro, 52.890 Euro und 65.990 Euro (GT-Paket).
Viel Serienausstattung schon beim Basismodell
Das von ComputerBase gefahrene Modell mit Heckantrieb und 77,4-kWh-Batterie wurde von Kia zwar mit umfangreicher Sonderausstattung zur Verfügung gestellt, beim EV6 gibt es erfreulicherweise aber viel Ausstattung serienmäßig. Dazu zählen die beiden gewölbten Bildschirme mit 12,3 Zoll, sieben Jahre Navigationskarten-Updates, Bluetooth, DAB+, Apple CarPlay und Android Auto.
Android Auto und CarPlay nur mit Kabel
Das Infotainmentsystem konnte im Rahmen der kurzen Probefahrt nur rudimentär ausprobiert werden und überzeugte vor allem mit einer präzisen Navigation und einer aufschlussreichen Karte zum vorgegebenen Ziel. Kias Menüführung mit Software-Tasten für Zurück, Home und Kontext erinnert ein wenig an frühere Android-Smartphones, bevor zur Gestensteuerung gewechselt wurde. Android Auto und CarPlay kamen nicht zur Verwendung, weil das benötigte Kabel zur Fahrt nicht griffbereit war. Wie sich im Nachgang klären ließ, funktionieren beide Lösungen im EV6 tatsächlich ausschließlich kabelgebunden. Von der großen Qi-Ladeschale auf der Mittelkonsole muss unschön ein Kabel bis zu den USB-C- oder USB-A-Buchsen unterhalb dieser gelegt werden.
Interessante Bedienung für Klima und Navi
Bei der Bedienung vertraut Kia auf eine interessant gelöste Mischung aus Touch und Schaltern, denn das Bedienpanel unterhalb der zentralen Lüftungsdüsen ist zum einen für die Klimatisierung und zum anderen für das Infotainmentsystem zuständig. Klassische Dreh-Drück-Regler für Fahrer und Beifahrer jeweils außen am Panel übernehmen die Temperaturregelung, dazwischen sitzen Touch-Tasten für Dinge wie die beheizten Scheiben, Umluft oder die Sync-Funktion. Drückt man aber die Taste mit Navigationspfeil, entsteht ein Bedienpanel für das Infotainmentsystem. Die Dreh-Drück-Regler sind dann für die Lautstärke, das Scrollen durch Menüs oder das Zoomen in Karten zuständig. Die anderen Tasten wandeln sich zu Schnellzugriffen auf Karten, Radio, eigene Medien und Einstellungen – wirklich interessant und clever gelöst von Kia.
Reichlich Assistenzsysteme gibt es ohne Aufpreis
Zur umfangreichen Serienausstattung gehören auch viele Assistenzsysteme, die Kia allesamt hinter arg kryptischen Abkürzungen versteckt. Serienmäßig sind der Autobahnassistent („Highway Driving Assist“, HDA), der Frontkollisionswarner („Forward Collision Avoidance Assist“, FCA – Fahrzeuge, Fußgänger, Fahrradfahrer), ein zweiter Frontkollisonswarner („Forward Collision Avoidance Assist“, FCA-JX – Abbiegefunktion), die adaptive Geschwindigkeitsregelanlage mit Stop-and-Go-Funktion („Smart Cruise Contro“l, SCC with Stop & Go) die navigationsbasierte Geschwindigkeitsregelanlage („Navigation based Smart Cruise Control“, NSCC), der Spurhalteassistent („Lane Keeping Assist“, LKA) inkl. Müdigkeitswarner („Driver Attention Warning“, DAW) und der Stauassistent („Lane Follow Assist“, LFA). Zusammengefasst bedeutet das, dass Gas und Bremse auch unter Berücksichtigung des aktuellen Tempolimits in vielen Situationen an das Fahrzeug übergeben werden können. Es geht gegen Aufpreis aber noch mehr.
Highway Driving Assist II im Paket für 2.700 Euro
Optional ist der Autobahnassistent II („Highway Driving Assist“, HDA II), der im Air-Paket für 2.700 Euro erhältlich ist, das auch den aktiven Totwinkelassistent mit Lenk- und Bremseingriff („Blind Spot Collision Avoidance Assist“, BCA) inkl. Querverkehrwarner hinten, die Notbremsfunktion („Rear Cross-Traffic Collision-Avoidance Assist“, RCCA) und den Ausstiegsassistenten („Safe Exit Assist“, SEA) umfasst. Auch der Frontkollisionswarner („Forward Collision Avoidance Assist“ – Abbiegefunktion und Querverkehr, FCA-JX/CROSS) und V2L (Vehicle-to-Load, Laden von externen Geräten wie E-Bikes mit max. 3,6 kW) sind darin enthalten. Das Air-Paket ist nur serienmäßig bei Fahrzeugen mit der GT-Linie, die 6.000 Euro kostet, und beim größten EV6 mit GT-Paket.
HDA II lenkt gemäß Level 2 mit
Der HDA II sorgt dafür, dass auch das Lenken unterstützt wird. Das Fahrzeug wird also nicht nur in der Spur gehalten, sondern folgt aktiv dem Kurvenradius, sofern die Hände am Lenkrad bleiben. Im kurzen Test verrichtete der Assistent seinen Dienst wie beworben im Rahmen des gesetzlich Erlaubten, sodass bei freihändigem Fahren nach 10 Sekunden eine erste optische Warnung rechts im Fahrerdisplay erscheint, bevor weitere Eskalationsstufen folgen. Das ist ein typisches Verhalten, wie es auch andere Level-2-Systeme aufweisen. Hilfreich während der Fahrt war, dass der EV6 auf Basis der Navigationskarten vor Kurven die Geschwindigkeit frühzeitig reduziert und anschließend wieder auf die eingestellte Geschwindigkeit beschleunigt. Auch das ist zwar keine Revolution, aber nicht selbstverständlich in dieser Preisklasse.
Totwinkelassistent mit Kameras zur Seite
Hilfreich gelöst hat Kia die Problematik des toten Winkels. Der BCA erkennt herannahende Fahrzeuge in den toten Winkeln und warnt den Fahrer bei Bedarf davor, die Spur zu wechseln. Versucht er es dennoch, erfolgt zur Vermeidung einer Kollision automatisch ein Lenk- und Bremseingriff. Doch erst der Totwinkelassistent mit Monitoranzeige („BlindSpot View Monitor“, BVM), der im Assist-Paket für 990 Euro respektive 1.790 Euro im Assist-Plus-Paket (GT-Linie) enthalten ist, das wiederum das Air- oder Comfort-Paket voraussetzt, sorgt für eine wirklich coole visuelle Aufbereitung der Informationen, indem beim Setzen des linken oder rechten Blinkers das Bild der entsprechenden Seitenkameras des Autos links oder rechts in das Fahrerdisplay projiziert wird. Die kreisrunde Anzeige erscheint für den gesamten Blinkvorgang und funktioniert unabhängig von der Geschwindigkeit.
Head-up-Display mit AR-Anzeige
Hightech versprüht auch das optionale Head-up-Display mit Augmented-Reality-Funktionen als Teil des Drive-Pakets (nur in Verbindung mit Air-Paket) für 1.690 Euro respektive 1.790 Euro im Assist-Plus-Paket für die GT-Linie. Bislang eher im Luxussegment anzutreffen, zuletzt etwa in der S-Klasse (Test), gibt es jetzt auch bei Kia eine AR-Anzeige, die Navigationspfeile in rund 7,5 m Entfernung vor das Auto auf die Straße projiziert. Darüber hinaus erhält der Fahrer visuelles Feedback der Sensorik, indem eine Linie auf Höhe des vorausfahrenden Autos projiziert wird. Ob nur der Fahrer oder auch schon das Fahrzeug einen anderen Verkehrsteilnehmer erkannt hat, ist so auf Anhieb sichtbar. Im Head-up-Display werden zudem noch einmal die wichtigsten Statusanzeigen der einzelnen Assistenzsysteme angezeigt, um zu signalisieren, ob sie aktiv sind. Die gleiche Leiste findet sich auch ganz oben im Fahrerdisplay.
Ersteindruck
Mit dem Kia EV6 konnte sich die Redaktion jetzt erstmals die E-GMP der Hyundai Motor Group ansehen und sich mit dem Infotainmentbaukasten sowie den Assistenzsystemen vertraut machen. In allen drei Punkten liefert der EV6 einen überzeugenden Ersteindruck ab, denn die Palette der Antriebe ist modern aufgebaut und weit gespreizt, das große Infotainmentsystem gibt es serienmäßig und die ebenfalls vielen serienmäßigen Assistenzsysteme verrichteten auf der kurzen Probefahrt zuverlässig ihren Dienst.
Die Liste der Sonderausstattungen fällt übersichtlich und hinsichtlich der Preisgestaltung nicht überzogen aus. Zwar gibt es gewisse Abhängigkeiten unter den einzelnen Paketen, die Verzahnung hält sich aber in Grenzen und lässt den Gesamtpreis nicht ins Uferlose steigen. Soll das Basismodell zum Beispiel um den HDA II, den Totwinkelassistenten mit Monitoranzeige, den Remote-Parkassistenten, die Rundumsichtkamera und das Head-up-Display mit AR ergänzt werden, um bei den Assistenzsystemen die Vollausstattung zu erhalten, setzt dies die Auswahl des Air-, Assist- und Drive-Pakets für in Summe 5.380 Euro voraus – nicht wenig Geld, aber noch in einem angemessenen Rahmen. Die Kosten des Basismodells steigen damit unter Berücksichtigung aller Prämien auf 40.800 Euro.
Nicht gegen Aufpreis zu haben ist hingegen kabelloses Android Auto und Apple CarPlay. Dass dieses Feature nicht angeboten wird, überraschte angesichts des modernen Auftritts des EV6. Vielleicht gelingt es Kia ja noch, für das Ende 2022 erwartete Topmodell mit GT-Paket eine entsprechende Lösung anzubieten. Die ersten Einheiten der kleineren Varianten werden bereits ausgeliefert, erklärt der Hersteller. Die ersten Käufer dürfen sich auf einen interessanten Neuankömmling unter den E-Autos freuen.
ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von Kia im Rahmen einer Veranstaltung des Herstellers in Marbella erhalten. Die Kosten für An-, Abreise und eine Hotelübernachtung wurden von Kia getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht.
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