Porsche Virtual Roads: Echte Straßen per Smartphone fürs Rennspiel digitalisieren
Berühmte Rennstrecken wie Spa, die Nordschleife oder Laguna Seca sind in vielen Rennspielen vertreten. Öffentliche Straßen wie den Lieblingsbergpass sucht man dort aber vergebens. Porsche und das Schweizer Start-up Way Ahead wollen diese Strecken mit dem Projekt Virtual Roads in kurzer Zeit per Smartphone ins Spiel bringen.
Rennstrecken für hochkarätige Spiele wie Assetto Corsa, Forza oder Gran Turismo werden üblicherweise in einem langwierigen Prozess zentimetergenau per Laser gescannt, digitalisiert und mit einem möglichst hohen Detailgrad in die digitale Welt transferiert. Doch was wäre, wenn die persönlichen Lieblingsstrecken einfach per Smartphone-Kamera digitalisiert und in ein Spiel gebracht werden könnten? Genau das wollen Porsche und das Schweizer Start-up Way Ahead langfristig gesehen erreichen.
Way Ahead entwickelt AR-Lösungen fürs Auto
Bei Way Ahead entwickelt man bislang Lösungen für Head-up-Displays und virtuelle Cockpits im Auto, um mit Hilfe von Augmented Reality zusätzliche Informationen zur aktuellen Strecke und Fahrsituation live in das Sichtfeld des Fahrers zu projizieren. Erweiterte Führungslinien oder Hinweise wie Navigationspfeile sind bislang im Repertoire des Unternehmens zu finden. Eine Verbindung zur Spielewelt gibt es durchaus schon bei Way Ahead, wie AR-gestütztes Entertainment im Fahrzeug in einer eigenen Demo zeigt, die live im Auto aufgenommen und nicht simuliert wurde. Sterne gilt es zum Beispiel à la Mario Kart auf der eigenen Spur einzusammeln und Elefanten am Straßenrand oder ein anrauschender X-Wing sind in AR ganz normale Erscheinungen.
Porsche ist seit über 20 Jahren in Spielen vertreten
Mit Porsche dürfte sich Way Ahead aber eine der größten Kooperationen jüngster Zeit an Land gezogen haben. Der Sportwagenhersteller aus Stuttgart-Zuffenhausen ist schon länger in den Bereichen E-Sport und Games aktiv und steuert die eigenen Modelle nicht erst seit gestern Rennspielen bei. Geradezu legendär ist das im Jahr 2000 für PlayStation und Windows veröffentlichte Need for Speed: Porsche (Unleashed).
Vom Smartphone in die Spielwelt
Im Rahmen des Projekts Virtual Roads wollen Porsche und Way Ahead die Digitalisierung von Strecken für die Übertragung in Rennspiele vereinfachen. Aspekte wie benötigtes Equipment, vorausgesetztes Fachwissen sowie vor allem zeitlicher Aufwand und Kosten sollen deutlich reduzieren werden. Benötigt werden im Prinzip lediglich ein Smartphone mit Kamera und die App von Way Ahead. Das Smartphone wird hinter der Windschutzscheibe des Autos, bei dem es sich rein technisch betrachtet nicht zwangsweise um einen Porsche handeln muss, in einer Halterung aufgehängt und über die Smartphone-Kamera sowie dessen Sensorik werden während der Fahrt die wichtigsten Charakteristika der Strecke erfasst. Im weiteren Verlauf der Entwicklung könnten zusätzlich die Fahrzeugsensoren ausgewertet und deren Informationen in die erzeugten Dateien integriert werden.
Das Projekt könnte in zwei Jahren marktreif sein
ComputerBase hat im Rahmen des GP Ice Race in Zell am See mit Roger Rueegg, Gründer der Way Ahead Technologies AG, über die technischen Details der Umsetzung gesprochen und mehrere Runden im Simulator auf zwei zuvor erfassten Strecken gedreht. Beim aktuellen Stand der Anwendung, der bis zur Präsentation im Rahmen des Eisrennens rund ein Dreivierteljahr Entwicklungszeit vorausging, setzt Virtual Roads ein Smartphone der Leistungsklasse Apple iPhone 12 oder iPhone 13 voraus. Android-Modelle mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit könnten aber ebenso zum Einsatz kommen, doch die technischen Voraussetzungen für die Nutzung seien zum aktuellen Zeitpunkt der Entwicklung noch für keine Plattform final definiert. Einen Veröffentlichungstermin gibt es bislang ebenso wenig, grob angepeilt wird bei erfolgreicher Weiterentwicklung des Projekts aber ein Release in etwa zwei Jahren.
Smartphone statt Renderfarm
Gefilmt wird die Strecke über die primäre Kamera des iPhones mit 60 FPS in unbekannter Auflösung, die aber unterhalb von 4K liegt. Manches technisches Detail wollte das Start-up aus berechtigten Gründen zum aktuellen Stand der Entwicklung noch nicht publik machen. Die anderen Linsen oder auch den Lidar-Sensor des iPhones nutzt Way Ahead nicht. Gleiches gilt für den OIS, den Autofokus und die Belichtungsautomatik, die während einer Aufzeichnung deaktiviert werden. Das Unternehmen will die Rohdaten des Videosignals so früh wie möglich abgreifen, bevor Apples Verarbeitung stattfindet, um potenzielle Verfälschungen in der Bildverarbeitung zu verhindern.
Alles wird auf dem Smartphone berechnet
Aus dem aufgezeichneten Video und mit Hilfe von Computer Vision wird – und das ist mit der interessanteste Part an dem Projekt – auf dem Smartphone und nicht etwa auf einer riesigen Renderfarm eine digitale Repräsentation der zuvor gefahrenen Strecke erzeugt. Für eine Strecke von 8 km benötigt ein aktuelles iPhone rund eine Stunde, um aus den erfassten Informationen eine digitale Rennstrecke zu erstellen, die sich in einem Spiel für Smartphone oder PC nutzen lässt. Derzeit lassen sich die digitalen Strecken über eine eigene, nicht öffentliche iOS-App von Way Ahead spielen. Das erzeugte Dateiformat könne jedoch ebenso für Spiele wie die Rennsimulation Assetto Corsa genutzt werden, in das die Eigenkreation als Mod integriert werden kann.
Noch keine Grafikpracht, aber dennoch überzeugend
Die Grafikpracht einer über Monate und Jahre erstellten digitalen Rennstrecke erreichen die selbst erstellten Strecken selbstverständlich nicht, doch müssen benötigte Mittel, Aufwand, Kosten und ähnliche Faktoren in Relation gesetzt werden. Bei Virtual Roads lässt sich innerhalb von nur einer Stunde einzig und allein unter Zuhilfenahme eines Smartphones eine echte Straße digitalisieren und mit den wichtigsten Charakteristika in ein Spiel übertragen. Die Straße verläuft exakt so wie in der echten Welt, Höhenunterschiede werden korrekt abgebildet und Details am Straßenrand wie Leitplanken und Bäume sind ebenso vorhanden. Die weiter entfernte Umgebung im erzeugten 3D-Modell wird auf Basis von Geodaten ergänzt. Nicht jedes erkannte Objekt muss zudem im Detail neu gerendert werden. Erkannte Objekte besetzt die Software von Way Ahead auch mit 3D-Darstellungen aus einem umfangreichen Grafikarchiv.
Strecken, die es sonst nicht in Spielen gibt
Das Ergebnis mag eines AAA-Titels nicht ganz würdig sein und passt von der Grafikqualität her eher in die Kategorie Casual Games. Spaß macht es aber trotzdem, im zugegebenermaßen nicht ganz wohnungstauglichen Simulator, der mit hochwertigen Fanatec-Komponenten und Aktuatoren in der Verschalung des echten Rennsitzes bestückt ist, den kurvenreichen Julierpass in den Schweizer Alpen hochzubrettern und sich dabei gegen sich selbst und anwesende Kollegen zu messen. Auch den kurzen Rundkurs des Eisrennens, den wenige Meter entfernt Rallye-Legende Walter Röhrl und Porsche-Rennfahrer Jörg Bergmeister in mit Spikes bereiften 718 Cayman GT4 RS mit ohrenbetäubendem Saugmotorlärm akustisch bereichern, haben die Entwickler nur mit dem Smartphone in die digitale Welt transferiert. Hat man die echte Strecke allerdings wie in Zell am See direkt vor der Tür, geht nichts über ein paar selbst gedrehte Runden im 911 Carrera 4 GTS mit Winterreifen oder noch besser: als Beifahrer im Cayman GT4 RS auf Spikes.
Rennen fahren auf (virtuellen) öffentlichen Straßen
Diese gelegentlichen Highlights im Arbeitsalltag stellen aber weder beim Redakteur noch (vermutlich) bei einem Großteil der Leser oder der breiten Masse an Autofahrern und Rennspiel-Enthusiasten die Norm dar. Virtual Roads stellt hier zum einen das passende (virtuelle) Auto, zum anderen kann die App kleinere Rennstrecken, die üblicherweise nicht in Spielen vertreten sind, aber vor allem öffentliche Straßen, auf denen man sich an allerlei Regeln zu halten hat, in ein Spiel übertragen und immer wieder (sowie bei sportlicher Fahrweise völlig gefahrenfrei) erlebbar machen. Die schöne Strecke entlang der US-Westküste des letzten Urlaubs wird so zur abgesperrten Rennstrecke, auf der man Zeiten speichern und sich mit anderen Spielern messen kann. Abseits des reinen Spaßfaktors ergeben sich weitere Einsatzmöglichkeiten in anderen Szenarien. So könnten zum Beispiel risikofreie Trainingsfahrten für Schulungen durchgeführt werden.
Im Hier und Jetzt erfüllt Virtual Roads erst einmal nur den spielerischen Aspekt, schafft das unter Berücksichtigung des aktuellen Entwicklungsstands allerdings bereits ziemlich gut. Echte Straßen ließen sich noch nie so einfach und erstmals auch von Privatanwendern in ein Spiel übertragen.
ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von Porsche und Way Ahead im Rahmen einer Veranstaltung von Porsche in Zell am See erhalten. Die Kosten für Anreise, Abreise und eine Hotelübernachtung wurden von Porsche getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht.
Dieser Artikel war interessant, hilfreich oder beides? Die Redaktion freut sich über jede Unterstützung durch ComputerBase Pro und deaktivierte Werbeblocker. Mehr zum Thema Anzeigen auf ComputerBase.