Nachhaltige Autos: Konzepte und Technologien für den grüneren PKW
Auf dem Weg zur überwiegenden E-Mobilität bei BMW und der elektrischen Umgestaltung von Marken wie Mini und Rolls-Royce schreibt sich das Unternehmen die Nachhaltigkeit größer auf die Fahnen und hat dafür mehrere Technologien, Konzepte und Strategien entwickelt, um diesen Zielen vor allem mit der „Neuen Klasse“ näher zu kommen.
Die „Neue Klasse“ gilt ab 2025 als nächster großer, auf den iX und dessen Neuerungen folgender Schritt im Hause BMW und soll eine neue IT- und Software-Architektur sowie eine neue elektrische Antriebs- und Batteriegeneration einführen. Die dabei eingesetzten neuen Batteriezellen im Rundformat hatte BMW bereits Anfang des Monats vorgestellt. Die Rundzellen werden mit einem standardisierten Durchmesser von 46 mm und zwei Höhen von 95 mm und 120 mm gefertigt. Unterschieden wird zwischen Fahrzeugmodell respektive verfügbarem Platz im Unterboden etwa bei Limousinen oder großen SUVs.
50 Prozent weniger Kobalt in der Kathode
Umweltfreundlicher sollen die neuen Zellen über einen um 50 Prozent reduzierten Kobaltanteil in der Kathode bei höherem Nickelgehalt und 20 Prozent weniger Graphit in der Anode bei höherem Siliziumanteil werden. Die volumetrische Energiedichte in der Zelle steigt um mehr als 20 Prozent. Bei der Kupferfolie der Anode könne BMW 40 Prozent sparen, erklärt das Unternehmen in München. Den Preis dieser 6. Generation Lithium-Ionen-Zellen will der Hersteller um bis zu 50 Prozent auf das Niveau von Fahrzeugen mit modernen Verbrennungsmotoren drücken. Die CO2-Emissionen in der Produktion sollen um bis zu 60 Prozent im Vergleich zur 5. Generation fallen.
Alltagsnahe Verbrauchsangaben
Für künftige Käufer stellt BMW bis zu 30 Prozent höhere Reichweiten (WLTP) und 30 Prozent schnelleres Laden in Aussicht. Die „Neue Klasse“ wird dafür über eine auf 800 Volt erhöhte Spannung verfügen. An Gleichstrom-Schnellladestationen sei mit einer Stromstärke von bis zu 500 Ampere eine deutlich gesteigerte Ladeleistung zu erzielen. Apropos WLTP: BMW will künftig zusätzlich mit einem „Best Fit“ alltagsnahe Verbrauchsangaben durch realistische Use-Cases und Testfahrzeug-Konfigurationen machen. Die Use-Cases sollen dynamische Fahrsituationen, Langstreckenfahrten sowie Fahrten bei extremen Temperaturen und im Anhängerbetrieb beinhalten. Dabei wird auch angestrebt, die Fahrzeuge mit einer „kundenrepräsentativen Ausstattung“ abzubilden.
BMW wird auch künftig eigene Batteriezellen entwickeln und Prototypen produzieren, aber die Batteriezellproduktion auslagern. Das Unternehmen setzt auf zertifizierte Minen und will einen verantwortungsvollen Abbau der Rohstoffe sicherstellen. Für einen geringeren CO2-Fußabdruck sollen die Zellhersteller Kobalt, Lithium und Nickel einsetzen, das anteilig aus Sekundärmaterial besteht, und ausschließlich Grünstrom aus erneuerbaren Energien für die Produktion nutzen, was in 60 Prozent geringeren CO2-Emissionen resultiere. Langfristig gesehen soll die Batteriezelle kreislauffähig werden, also einen geschlossenen Kreislauf zur Wiederverwendung von Nickel, Lithium und Kobalt bieten.
Feststoffbatterien bis 2030 serienreif
Die 6. Generation der Batteriezellen bietet zudem eine Option, Kathoden aus Lithium-Eisenphosphat (LFP) einzusetzen. Auf die Rohstoffe Kobalt und Nickel im Kathodenmaterial könne so gänzlich verzichtet werden. In eigenen Kompetenzzentren wird auch weiterhin an Feststoffbatterien gearbeitet, die bis 2030 serienreif präsentiert werden sollen. Ein Fahrzeug mit dieser Technologie an Bord soll „deutlich vor 2025“ vorgestellt werden.
Höherer Anteil von Sekundärmaterial
Sekundärmaterial soll abseits der Batteriezellen auch vermehrt für das Exterieur und Interieur zum Einsatz kommen. Neue Recycling-Verfahren sollen zum Einsatz kommen, verstärkt Naturfasern verwendet und Alternativen zu tierischen Ausgangsstoffen gefunden werden. Ab dem kommenden Jahr will der Konzern bei den Marken BMW und Mini erstmals vollständig vegane Innenräume anbieten. BMW erwartet vor allem in den USA, China und Europa eine steigende Nachfrage nach veganen und lederfreien Ausstattungen. Im Vergleich zu Leder können 85 Prozent der CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette eingespart werden, erklärt BMW. 80 Prozent der bisherigen Emissionen entfallen auf das Methangas aus der Rinderzucht, weitere 20 Prozent auf die energie- und wasserintensive Weiterverarbeitung der Rinderhaut.
Vegane Lenkräder ab 2023
Ein letztes Überbleibsel bereits zum Großteil veganer Innenräume ohne Lederausstattung ist bislang das Lenkrad, das hohe Anforderungen an das eingesetzte Material hinsichtlich Anmutung, Verschleißfestigkeit und Langlebigkeit stellt. Das ab kommendem Jahr verfügbare vegane Oberflächenmaterial soll Abnutzungen durch Abrieb, Schweiß und Feuchtigkeit standhalten. Anhand eines Prototyps für den iX konnte die Redaktion bereits auf Tuchfühlung gehen und praktisch keinen Unterschied zur bisherigen Umsetzung aus Leder feststellen. Einziges Erkennungsmerkmal des neuen Materials wird eine neue Narbung am Lenkradkranz sein. Das vegane Lenkrad kommt in der Basisausstattung zum Einsatz, Kunden werden gegen Aufpreis aber weiterhin Echtleder bestellen können. Zur Abkehr tierischer Produkt will BMW demnach keinen Käufer zwingen, so konsequent ist man dann doch noch nicht. Rund 1 Prozent tierische Ausgangsstoffe werden ohnehin auch künftig im Automobil verbleiben, etwa für wachsartige Substanzen wie Gelatine als Bestandteil von Schutzbeschichtungen, Lanolin in Lacken, Talg als Hilfsstoff in Elastomeren und Bienenwachs als Flussmittel für Lack.
Spätestens im Jahr 2050 will die BMW Group die Klimaneutralität erreichen. Auf dem Weg dahin helfen auch vermeintlich unscheinbare Veränderungen wie bei den schon jetzt in der Produktion genutzten Fußmatten aus Monomaterial anstelle eines nur schwer recycelbaren Materialmixes. 23.000 Tonnen CO2 und 1.600 Tonnen Abfall lassen sich dadurch einsparen, erklärt das Unternehmen, weil recycelte Fußmatten und Verschnitte innerhalb des Produktionsprozesses wiederverwendet werden können.
Alternativen zu Leder in der Entwicklung
Mit zukünftigen Fahrzeuggenerationen will BMW weitere Alternativen zu Leder anbieten. Mirum ist ein pflanzenbasiertes Material, das jedoch alle Eigenschaften von Leder imitieren soll. Deserttex wiederum setzt sich aus pulverisierten Kaktusfasern und einer biobasierten Polyurethan-Matrix zusammen. Im Vergleich zu den bisher eingesetzten Ledernachbildungen soll sich der CO2-Ausstoß um weitere 45 Prozent reduzieren lassen. Bei Mini ist für die kommende Modellgeneration ein veganes Interieur geplant, das als Ausgangsstoff für die kompletten Sitzoberflächen aus Veloursstoff ein Monomaterial aus Recyclingfasern nutzt, das sortenrein wiederverwertet werden kann. BMW zeigte in München Sitzstudien aus Textilabfällen, die zu einem synthetischen Garn verarbeitet werden. Dieser Herstellungsprozess verursache einen um rund 98 Prozent geringeren Wasserverbrauch als die Nutzung von Baumwolle und senke den CO2-Ausstoß im Vergleich zur herkömmlichen Verarbeitung von Polyester um rund 80 Prozent.
Maritimer Abfall wird zu Verkleidungsteilen
Bei der für 2025 geplanten „Neuen Klasse“ sind erstmals Verkleidungsteile aus Kunststoff vorgesehen, deren Rohstoff zu rund 30 Prozent aus wiederverwerteten Fischernetzen und Seilen besteht. Dieses Rohmaterial werde präventiv aus Häfen in aller Welt bezogen, um sicherzustellen, dass es nicht im Meer entsorgt wird, erklärt BMW. Reststoffe aus der maritimen Industrie landen häufig im Meer, anstatt vorschriftsgemäß an Land entsorgt zu werden. Die von BMW genutzten Komponenten sollen einen rund 25 Prozent niedrigeren CO2-Fußabdruck aufweisen als die gleichen Bauteile aus konventionell gefertigten Kunststoffen. Bereits heute bilden wiederverwertete Nylonabfälle die Basis für ein Kunststoffgarn, aus dem die Bodenverkleidungen im iX und X1 gefertigt werden. BMW will den Anteil an Sekundärmaterial bei den verwendeten Thermoplast-Kunststoffen bis zum Jahr 2030 von derzeit rund 20 Prozent auf durchschnittlich 40 Prozent erhöhen.
Grünstrom für die Aluminium- und Stahlproduktion
Neben dem Sekundärmaterial sieht BMW die Nutzung von Grünstrom in der Aluminium- und Stahlproduktion als wichtigen Hebel für die Reduzierung von CO2-Emissionen. Stahl soll ab 2025 auch von einem schwedischen Hersteller bezogen werden, der für die Produktion Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Quellen nutzt. Ein anderes Unternehmen soll Stahl aus „CO2-reduzierter Herstellung“ liefern, sodass mehr als 40 Prozent des Bedarfs für die Fahrzeugproduktion in den europäischen BMW-Group-Werken auf diese Weise gedeckt werden könne. Der CO2-Ausstoß soll dadurch jährlich um rund 400.000 Tonnen reduziert werden. Sekundärrohstoffe im Stahl sollen je nach Legierung sukzessiv von 25 Prozent auf 50 bis 80 Prozent erhöht werden. In den USA, wo alle X-Modelle produziert werden, und China befindet man sich derzeit aber noch in Verhandlungen mit Lieferanten, um auch dort eine CO2-Reduzierung zu erreichen.
Zu deutlich höheren CO2-Emissionen führt die Herstellung von Aluminium, das in diesem Punkt noch weit vor den Batterien, Kunststoffen und Stahl liegt. Erstmals aus Grünstrom produziertes Aluminium bezieht BMW seit 2021 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo das Leichtmetall mit Solarstrom erzeugt wird. Das Unternehmen will den Anteil von mit Grünstrom produziertem Aluminium langfristig steigern und bis 2030 2,5 Millionen Tonnen weniger CO2 ausstoßen. Bis vor 2024 sollen sämtliche von der BMW Group bezogenen Aluminium-Gussräder ausschließlich mit Grünstrom produziert werden. Diese Angabe umfasst sowohl die Elektrolyse bei der Herstellung von Aluminium als auch das Gießen der Räder.
CO2-Bilanz einzelner Bauteile verfolgen
In der Produktion und Entwicklung von Fahrzeugen werden ebenfalls neue Wege bei BMW eingeschlagen. Eines davon ist das vom Bund geförderte und von Wirtschaftsminister Robert Habeck beworbene Partner-Netzwerk Catena-X, das mit dem Aufbau einer vernetzten Datenbank auch für die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft und die konsequente Reduzierung der CO2-Emissionen in der Lieferkette wichtige Grundlagen schaffen soll. Catena-X soll den sicheren und anonymen Austausch von Daten zwischen Automobilherstellern, Zulieferern und IT-Unternehmen ermöglichen. Als Beispiel für die CO2-Reduzierung lässt sich in dem Netzwerk die konkrete CO2-Bilanz jedes einzelnen Bauteils mit realen Daten anstelle von Durchschnittswerten angeben. In der Lieferkette und in der Fahrzeugproduktion soll so für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen ein glaubwürdiges und nachvollziehbares Reporting entstehen. In Catena-X kann darüber hinaus eine vollständige Nachverfolgung von Fahrzeugbauteilen über ihren gesamten Produktlebenszyklus, also von der Rohstoffbeschaffung bis hin zum Recycling, erfolgen.
Generative Design für optimalen Materialeinsatz
Für Energie-, Ressourcen- und Kosteneffizienz in der Entwicklung und in der Produktion von Fahrzeugbauteilen steht das sogenannte „Generative Design“ bei BMW. Dahinter steckt die wachsende automatisierte Entwicklung von Fahrzeugkomponenten, die sich bis 2025 zur Standardmethode im Konzern etablieren soll. Strukturbauteile mit komplexen Geometrien lassen sich mit Unterstützung künstlicher Intelligenz entwickeln, um einen optimalen Materialeinsatz bei gleichzeitiger Erfüllung der Anforderung etwa an die Steifigkeit des Bauteils zu erzielen. Das Gewicht dieser Bauteile kann dabei im Vergleich zu herkömmlich entwickelten Komponenten bis zu 50 Prozent geringer ausfallen. Diese Art der Entwicklung kann in entsprechenden Programmen herkömmlich am 2D-Bildschirm, aber auch im dreidimensionalen Raum mit Hilfe eines VR-Headsets erfolgen.
Nachhaltigkeit kostet viel Geld
Welche Kosten auf BMW durch das breite Spektrum an Entwicklungen im Bereich Nachhaltigkeit zukommen, hat das Unternehmen nur eingeschränkt mit Bezug auf neue Batteriezellfabriken verraten. Um den Bedarf für die ab 2025 geplante „Neue Klasse“ abzudecken, hat der Konzern einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag an die zwei Partner CATL und EVE Energy für den Bau von Fabriken vergeben. Die Partner werden in China und Europa jeweils zwei Gigafactories errichten, die über eine jährliche Gesamtkapazität von bis zu 20 GWh verfügen sollen. Zwei weitere Batteriezellfabriken, für die die Nominierung der Partner noch aussteht, sollen in der Region der nordamerikanischen Freihandelszone USMCA (USA, Mexiko, Kanada) entstehen.
Neue Klasse startet im Segment des 3er und X3
Dass die „Neue Klasse“ respektive die ersten Fahrzeuge auf Basis dieser Plattform aufgrund der Investitionen automatisch im Luxussegment angesiedelt sein werden, ist jedoch nicht gesagt. Wie Frank Weber, Mitglied des Vorstands der BMW Group im Bereich Entwicklung, auf Nachfrage in München erklärte, seien die ersten Modelle in einem Segment geplant, das heute 3er und X3 bedienen. Das wiederum bedeutet, dass diese elektrischen Fahrzeuge einen signifikanten Beitrag zum Absatzvolumen der BMW Group leisten werden. Die „Neue Klasse“ besitze das Potenzial, den Anteil vollelektrisch angetriebener Fahrzeuge am weltweiten Absatz vor 2030 auf 50 Prozent zu heben. Mit der neuen Klasse kommt zudem erstmals die neue Plattform aus der Kooperation mit Qualcomm und Arriver für das Fahren nach Level 2+ und Level 3 zum Einsatz.
Bis Ende 2025 will die BMW Group mehr als zwei Millionen rein elektrische Fahrzeuge auf die Straße gebracht haben. Die Marke Mini soll ab Anfang der 2030er Jahre über ein ausschließlich elektrisches Angebot verfügen, Gleiches gilt für Rolls-Royce ab 2030. Bei BMW Motorrad sollen zumindest im Bereich der Roller alle zukünftigen neuen Modelle nur noch elektrisch sein.
ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von BMW im Rahmen einer Veranstaltung des Herstellers in München unter NDA erhalten. Die Kosten für Anreise und Abreise wurden von dem Unternehmen getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers auf die oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt.
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