Vorratsdaten­speicherung: Deutsche Speicherpflicht endgültig begraben

Update 3 Andreas Frischholz
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Vorratsdaten­speicherung: Deutsche Speicherpflicht endgültig begraben
Bild: Hannah Yoon | CC BY 2.0

Das Urteil ist lang erwartet und im Ergebnis wenig überraschend: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gegen das EU-Recht verstößt. Angewendet wurde das Gesetz aber ohnehin nicht. Nun bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Urteil.

Ein Update über den aktuellen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts findet sich am Ende der Meldung.

EuGH-Urteil in der Tradition der europäischen Rechtsprechung

Das Urteil entspricht der Entscheidung, die bereits die irische Vorratsdatenspeicherung zu Fall brachte und in der Tradition der EuGH-Rechtsprechung steht. Eine allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung verstößt demnach gegen die EU-Grundrechtecharta. So steht das „Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften [entgegen], die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen“.

Umfassendes und anlassloses Datensammeln wie nach dem deutschen Gesetz ist also nicht mit EU-Recht vereinbar, selbst wenn der Zeitraum begrenzt ist.

Ein solcher Satz von Verkehrs- und Standortdaten, die zehn bzw. vier Wochen lang gespeichert werden, kann aber sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten gespeichert wurden – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren –, und insbesondere die Erstellung eines Profils dieser Personen ermöglichen.

Auszug aus EuGH-Urteil

Was bleibt, sind die Ausnahmen. Auch hier bleibt der EuGH auf der Linie der letzten Urteile. So ist das etwa der Fall, wenn sich Staaten einer „ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit“ gegenübersehen. Das gilt aber nur für einen begrenzten Zeitraum und bei richterlicher Kontrolle. Möglich ist zudem eine gezielte Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten, die sich etwa auf einen bestimmten Raum oder ausgewählten Kreis von Personen beschränkt. Auch eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, sind denkbar.

Wie solche gezielten Regelungen in der Praxis aussehen können, ist allerdings ebenso umstritten wie die potentiellen Auswirkungen. Patrick Breyer, Europaabgeordneter für die Piratenpartei, verdeutlichte etwa nach dem Irland-Urteil, wie weitreichend eine geografisch begrenzte Vorratsdatenspeicherung ausfallen kann. Mit Blick auf das aktuelle Urteil kritisiert Breyer, dass der EuGH die anlasslose Speicherung von IP-Adressen nicht beanstandet.

Verfahren läuft seit 2016

Nachdem die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2015 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschloss, startete bereits 2016 die SpaceNet AG eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln. Die Konsequenz dieses Rechtsstreits war, dass die Bundesnetzagentur die Regelungen bereits aussetzte, bevor die Datenspeicherung überhaupt startete.

2019 landete der Rechtsstreit als Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Das bedeutet: Das Verwaltungsgericht Köln fragt an, wie das EU-Recht auszulegen ist. Vor dem EuGH wurde die Klage von der der SpaceNet AG sowie der deutschen Telekom vertreten.

Neuregelung in Deutschland

Für Deutschland bedeutet das Urteil, dass eine Neuregelung erforderlich ist. Die Ampelkoalition hatte sich bereits im Koalitionsvertrag für Alternativen wie das Quick-Freeze-Verfahren ausgesprochen. Zuletzt flammte der Streit aber wieder auf, als Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung forderte. Vertreter von FDP und Grünen bekräftigten aber den Quick-Freeze-Ansatz.

Bei diesen handelt es sich im Kern um ein zweistufiges Verfahren: Liegt ein Anlass vor, können Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, bestimmte Daten nicht zu löschen. Das können etwa die Verkehrs- oder Standortdaten eines Verdächtigen, aber nach der EuGH-Rechtsprechung auch bestimmte Orte sein. Diese Daten sind dann „eingefroren“ und Richter können in einem zweiten Schritt entscheiden, inwieweit Strafverfolgungsbehörden diese abrufen dürfen.

In einer ersten Reaktion auf Twitter begrüßt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) das Urteil als einen guten Tag für die Bürgerrechte. Alsbald sei mit einem Entwurf für ein Quick-Freeze-Verfahren zu rechnen, wie Konstantin von Notz von den Grünen ankündigte.

Update

In einer ausführlicheren Stellungnahme bestätigte Bundesjustizminister Buschmann den bekannten Kurs. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung soll abgeschafft werden, stattdessen kommt Quick-Freeze. „Unseren Entwurf zur Umsetzung des Quick-Freeze-Modells werden wir in Kürze vorstellen und ich hoffe, dass wir dann gemeinsam in der Bundesregierung zügig unseren Ermittlungsbehörden das neue Instrument zur Verfügung stellen können“, so Buschmann.

Ganz einfach könnte die Diskussion innerhalb der Regierung aber nicht verlaufen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betont die Ausnahmen, die das EuGH-Urteil vorsieht. In einer Stellungnahme erklärt sie: „Ausdrücklich hat der Europäische Gerichtshof entschieden: IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können. Zudem gestattet der EuGH gezielte Speicheranordnungen für Orte wie Flughäfen oder Bahnhöfe und für Gegenden mit einer hohen Kriminalitätsbelastung.“

Update

Das Bundesverfassungsgericht hat heute mitgeteilt, dass ein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung hinfällig ist. Das EuGH-Urteil gilt, das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt rechtswidrig. Daher werden die drei Verfassungsbeschwerden formal als erfolglos abgewiesen, weil „schon feststeht, dass die Norm dem Unionsrecht widerspricht und deshalb innerstaatlich nicht angewendet werden darf“.

Die Kläger sind mit dem Urteil zufrieden. Das gilt neben dem Bürgerrechtsverein Digitalcourage und dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) auch für Mailbox.org als Repräsentant der Internet- und Provider-Wirtschaft. Der Geschäftsführer Peer Heinlein erklärt:

Die deutsche Politik hat über Jahre immer und immer wieder neu versucht, die Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür einzuführen. Es ist gesellschaftlich notwendig, dass dieses Thema ein für alle Mal beendet ist.

Bundesregierung arbeitet an Alternativen

Die aktuelle Bundesregierung ist ohnehin von der anlasslosen Speicherfrist abgerückt. Bundesjustizminister Marko Buschmann (FDP) arbeitet an einem Quick-Freeze-Entwurf, noch gibt es aber Auseinandersetzungen mit Innenministerium unter Nancy Faeser (SPD).

Auf EU-Ebene ist das Thema ebenfalls noch nicht vom Tisch, wie interne Dokumente aus dem EU-Ministerrat zeigen. Vor allem sind es die Vertreter der Mitgliedsstaaten, die einen neuen Anlauf planen. Dafür soll nun eine Expertengruppe eingerichtet werden, berichtet Heise online. Diese hat die Aufgabe, einen Vorschlag zu erarbeiten, der mit den EuGH-Auflagen vereinbar ist.

Update

Als der Europäische Gerichtshof die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in einem Voraburteil vom Herbst 2022 als rechtswidrig eingestuft hatte, war der Fall klar, obwohl das finale Urteil eines deutschen Gerichtes noch fehlte. Das kommt nun ein Jahr später vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Richter bestätigen, dass die deutsche Speicherpflicht nicht mit den EU-Vorgaben vereinbar ist.

So schreibe „die Regelung im Telekommunikationsgesetz eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten“ vor. Den Auflagen des EuGH entspricht so eine allgemeine ohne Zweck ausgerichtete Überwachung aber nicht. Daher ist das Gesetz hinfällig, die ohnehin nie durchgesetzte Speicherpflicht darf nicht angewendet werden.

IT-Verbände begrüßen das Urteil. „Immer wieder haben wir diesen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger kritisiert, den die Vorratsdatenspeicherung mit sich bringt, obwohl ein Mehrwert für die Strafverfolgung nie belegt werden konnte“, erklärt Oliver Süme, Vorsitzender des Internetwirtschaftsverbands eco. Er fordert jetzt auch eine politische Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung.

Wie es weitergeht, ist derzeit aber noch nicht beschlossen. Das vom Marc Buschmann geführte Justizministerium will das Quick-Freeze-Verfahren, während das Innenministerium unter Nancy Faeser eine Reglung fordert, die die EuGH-Auflagen maximal ausreizt.