Twitters Chaostage: Musk nimmt Apple wegen gestoppter Anzeigen ins Visier

Update 2 Andreas Frischholz
202 Kommentare
Twitters Chaostage: Musk nimmt Apple wegen gestoppter Anzeigen ins Visier
Bild: Elon Musk

Für kommenden Freitag plant Elon Musk den Neustart des Verifizierungsverfahrens auf Twitter. Personen erhalten demnach blaue Haken, Unternehmen goldene und Regierungen graue. Ob es sich bei den Nutzern tatsächlich um die jeweilige Person handelt, soll künftig wieder manuell überprüft werden.

Zuvor hatte Musk den ursprünglichen Verifizierungsprozess, bei dem Nutzer sich gegenüber Twitter ausweisen mussten, durch eine Bezahllösung ersetzt. Für einen blauen Haken reichte es, das „Twitter-Blue“-Abo für 8 US-Dollar zu buchen. Was folgte, war ein prognostiziertes Fiasko. Ohne Kontrolle imitierten binnen kurzer Zeit eine Vielzahl an Fake-Accounts Unternehmen, Künstler oder Sportler und sorgten so für Verwerfungen.

Für Twitter war die Situation aber ebenfalls nicht haltbar. Neben drohenden Strafen von Regulierungsbehörden wie der FTC verstärkte diese Änderung den Trend hin zu einer Plattform, die für Werbetreibende mit einem hohen Risiko verbunden ist, wie etwa The Verge analysierte. Die Konsequenz: Es beschleunigte sich der Abgang von Unternehmen, die auf der Plattform Werbung schalten und seit dem Beginn von Musks Chaostagen ohnehin auf Distanz gehen.

Twitter Blue sollte daher laut Musk auch erst zurückkehren, wenn sichergestellt ist, dass es zu keiner signifikanten Anzahl von Nachahmungen kommt. Wie er nun einräumt, erfolgt das über einen manuellen Authentifizierungsprozess, den er als „schmerzhaft, aber notwendig“ beschreibt.

Angesprochen auf das 8-Dollar-Abo erklärte Musk in einem weiteren Twitter-Beitrag, alle Einzelpersonen sollen denselben blauen Haken erhalten. Es soll jedoch möglich sein, als Mitarbeiter einer Organisation ein sekundäres Logo zu erhalten, wenn jene die jeweilige Identität bestätigt. Eine längere Erklärung kündigt Musk für kommende Woche an.

Generalamnestie nach Abstimmung

Der Neustart von Twitter Blue und dem Verifizierungsverfahren heißt aber nicht, dass Twitters Chaostage enden. Ab nächster Woche soll es eine Generalamnestie für gesperrte Konten geben, sofern diese nicht gegen ein Gesetz verstoßen oder eine „ungeheuerliche“ Menge Spam verbreitet haben. Bestimmt hat das Musk, nachdem er – wie zuvor bei Donald Trumps Konto – eine Abstimmung über seinen Twitter-Account durchgeführt hat. Welche Auswirkungen das hat, lässt sich kaum abschätzen. Der Prozess soll kommende Woche starten.

Diese Abstimmungen stehen im Widerspruch zu Musks ursprünglicher Ankündigung, künftig einen Moderation Council entscheiden zu lassen, wer zurück auf die Plattform kommt. Musk selbst wollte eigentlich nicht tätig werden, bis dieser eingesetzt ist. Weil Aktivisten angeblich aber bei Werbetreibenden zu einem Twitter-Boykott aufgerufen haben, rückte er von dem Plan ab. Stattdessen will er die Reichweite von Hatespeech nun technisch limitieren.

Update

Neben dem neuen Verifizierungsverfahren plant Musk weitere Änderungen. Seine Vorstellungen präsentierte er auf einigen Folien, die er am Wochenende veröffentlichte. Der Kerngedanke ist, Twitter zu einer „Everything App“ umzubauen. Ergänzt werden soll der Kurznachrichtendienst demnach um neue Werbeformen, einen Video-Dienst, verschlüsselte Direktnachrichten, Langfassungen für Tweets sowie einen Bezahldienst. Das Vorbild ist offensichtlich die chinesische App WeChat.

Neu sind einige dieser Ideen selbst für Twitter nicht. Über verschlüsselte Direktnachrichten wurde bereits 2016 diskutiert. Und mit Vine lancierte Twitter bereits 2012 einen auf Kurzvideos ausgerichteten Dienst, stampfte diesen aber 2016 ein – also kurz bevor der Aufstieg TikToks zu einem der dominierenden sozialen Netzwerke begann. Für das Unternehmen sind diese Beispiele symptomatisch. Experten attestieren Twitter seit geraumer Zeit, dass das Unternehmen daran scheitert, das Potenzial in ein lukratives Geschäftsmodell zu übertragen.

Reichweiten-Rekorde in den Chaos-Tagen

Die Frage ist nun, ob Musk das gelingt. Aktuell wirbt er zumindest mit einem Allzeithoch, das Twitter bei der Reichweite, den Registrierungen und der Nutzeraktivität erreiche. Offen ist aber, wie sich diese Zahlen monetarisieren lassen, wenn Werbekunden abspringen.

Rückläufig soll derweil die Reichweite sein, die Beiträge mit Hate Speech erhalten. Doch auch hier gilt: Es ist völlig unklar, ob diese Behauptung ausreichend ist, um etwa das Vertrauen von Werbekunden zurückzugewinnen. Denn einer der Gründe für den Aderlass der letzten Wochen war, dass diese nicht das Risiko eingehen wollen, ihre Kampagnen im Umfeld von Hate Speech wie Beleidigungen, Bedrohungen und Sexismus zu sehen. Dasselbe gilt für das Verbreiten von Fake News und Lügen.

Ebenso verlangen Gerichte und Politik weiterhin, dass illegale Inhalte nicht nur in der Reichweite limitiert und demonetarisiert, sondern vollständig gelöscht werden. Sonst drohen Strafen – für Twitter.

Eine weitere Neuheit, die Musk nun verkündete: Die Zeit der Entlassungen soll vorbei sein. Ab jetzt wolle Twitter wieder neue Mitarbeiter einstellen.

Update

Zurück zum Chaos: Musk nimmt nun in einer Reihe von Tweets Apple öffentlich ins Visier. Der Konzern habe seine Werbeaktivitäten auf Twitter größtenteils eingestellt. Zudem spricht er davon, Apple habe gedroht, Twitter aus dem App-Store zu entfernen – und das ohne einen Grund zu nennen.

Offen ist, was der Anlass für Musks Tiraden zum jetzigen Zeitpunkt sind. Werbekunden verliert Twitter seit Wochen. Bereits am 22. November meldete Mediamatters, 50 der Top-100-Werbekunden von Twitter hätten zu diesem Zeitpunkt bereits die Werbeaktivitäten gestoppt oder ankündigt, diese einzustellen. Die Gründe sind bekannt: Wie beschrieben gilt Twitter bei den großen Medienagenturen derzeit als „Hochrisiko“-Plattform. Hinzu kommt Musks erratisches Verhalten. Für abspringende Anzeigenkunden kündigte er Anfang November etwa ein „thermonuclear name & shame“ an.

Auf der Liste von Mediamatters war Apple allerdings noch nicht vertreten. Wie The Verge berichtet, hatte Apple-CEO Tim Cook am 15. November öffentlich erklärt, seines Wissens nach wolle Twitter weiterhin moderieren und er zähle darauf, dass die Moderation beibehalten wird. Musk spricht in dem Kontext von Free Speech, verweist aber auch auf Apples App-Store-Gebühren, die er als „versteckte 30-Prozent-Steuer“ im Internet bezeichnet. Denkbar ist also, dass sich ein Fall wiederholt, der an den Rechtsstreit zwischen Apple und Epic orientiert. Apple hat sich bislang nicht geäußert.

Twitter und die Erwachsenen-Unterhaltung

Ein weiterer Grund, der laut The Verge für die aktuelle Entwicklung denkbar ist: Der Umgang mit Erotik- und NSFW-Inhalten, bei dem Twitter ohnehin die Grenzen der App-Store-Regeln austestet. Generell ist Twitter in diesem Bereich wesentlich offener als die anderen großen Plattformen. Und für das Unternehmen gewinnt der Bereich an Relevanz, wie ein Reuters-Report aus dem Oktober enthüllte, der auf internen Zahlen des sozialen Netzwerks aus den letzten beiden Jahren beruht.

Demnach sind Inhalte aus dem Bereich „Not Safe For Work“ (NSFW) und Krypto-Währungen die am stärksten wachsenden Themen unter den englischsprachigen Heavy-Nutzern. Zu dieser Gruppe zählen Personen, die sich sechs bis sieben Mal pro Woche bei Twitter einloggen und drei bis vier Tweets pro Woche absetzen. Rückläufig ist hingegen das Interesse in Nachrichten, Sport und Unterhaltung.

Generell kämpft Twitter also mit dem Problem, dass das soziale Netzwerk in den Bereichen schrumpft, die Werbekunden bevorzugen. Und in denen wächst, die die Top-Werbekunden eher meiden. Musks Triaden erscheinen so als Brandbeschleuniger für einen ohnehin existierenden Trend.