EU-Kommissar Breton: Twitter drohen in der EU Strafen bis zur Abschaltung
Twitter muss sich an europäisches Recht halten, erklärt der EU-Binnenkommissar Thierry Breton im Interview mit der Funke Mediengruppe. Ansonsten drohen Konsequenzen, die von Geldstrafen bis zur Blockade der Plattform in Europa reichen würden.
Die EU-Institutionen beobachten demnach genau, wie sich der Kurznachrichtendienst seit der Übernahme von Elon Musk entwickelt. „Es ist völlig klar: Wenn Twitter sich nicht an diese Regeln hält, können wir Strafzahlungen verhängen. Und wenn sich die Regelverstöße fortsetzen, können wir die Plattform in Europa abschalten“, so Breton laut einem Tagesschau-Bericht in dem Interview mit der Funke Mediengruppe. Noch vor Weihnachten soll ein weiteres Treffen zwischen dem EU-Kommissar und Musk stattfinden.
Dass die EU den Druck erhöht, sickerte bereits in den letzten Wochen durch. Vor allem durch den Digital Service Act (DSA) werden sich bald die Vorgaben nochmals verschärfen. Bei diesem handelt es sich um ein Gesetzeswerk, das künftig die Rechtsgrundlage für den Betrieb von Online-Plattformen in der EU ist. Der DSA trat im November in Kraft, gilt aber erst ab Februar 2024. Eine frühere Anwendung ist denkbar, darüber muss aber noch die EU-Kommission entscheiden. Noch hat Musk also Zeit.
Mit dem DSA muss Twitter konkrete Löschfristen und Überprüfungsprozesse für illegale und von Nutzern gemeldete Inhalte beachten. Zudem sind Moderationsverfahren vorgeschrieben, die etwa den Umgang mit Beschwerden betreffen, die Nutzer einreichen können, wenn Inhalte zu Unrecht gelöscht worden sind. So orientiert sich der Digital Service Act an dem bereits in Deutschland geltenden Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (NetzDG).
Verstöße können weitreichende Konsequenzen haben. So sind Geldstrafen in Höhe von bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes möglich, auch eine vollständige Blockade einer Online-Plattform ist denkbar. Die könnte laut einem Bericht des ZDF mittels Netzsperren erfolgen. Zudem ist es möglich, dass App-Store-Anbieter wie Apple und Google die Twitter-App im EU-Raum nicht mehr verbreiten dürfen.
Lücken beim automatisierten Erkennen
Twitter muss also handeln. Derzeit forciert Musk jedoch seinen Ansatz, der unter dem Motto freedom of speech, not freedom of reach läuft. Beiträge mit Hate Speech sollen in der Reichweite limitiert und demonetarisiert werden, sodass etwa der finanzielle Anreiz fehle, um entsprechende Inhalte zu verbreiten.
Beim Erkennen von hasserfüllten und illegalen Inhalten will Musk – auch bedingt durch seine Entlassungswelle – vor allem auf automatisierte Systeme setzen. Den Kurs bestätigt Ella Irwin, Twitters neue Leiterin für die Abteilung Vertrauen und Sicherheit, im Gespräch mit Reuters. Sie zeigt sich zuversichtlich. „Die wichtigste Änderung ist, dass das Team vollständig ermächtigt ist, schnell und so aggressiv wie möglich zu handeln“, so Irwin. So sei die Abkehr von manuellen Moderationsprozessen ein Fortschritt.
Generell gelten auf KI-Systemen basierte Systeme bis dato aber nicht als ausreichend, um eine menschliche Moderation zu ersetzen. Das gilt umso mehr bei Twitter, weil zu viele Mitarbeiter entlassen wurden, die für den Betrieb der entsprechenden Systeme verantwortlich waren. So ist es derzeit mehr als fraglich, ob Twitters Moderationskonzept mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Nach den von Musk präsentierten Zahlen soll die Reichweite von Hate-Speech-Inhalten derzeit sinken. Datengrundlage sind interne Auswertungen, allerdings fehlen methodische Angaben, sodass sich die Aussagen derzeit nicht prüfen lassen. Erste Studien von externen Forschern gehen hingegen in eine andere Richtung. Hate-Speech-Inhalte werden demnach in dem sozialen Netzwerk weiter verbreitet und nehmen sogar zu. Nach einer Untersuchung des Center for Countering Digital Hate ist die Anzahl von entsprechenden Beiträgen seit Musks Übernahme gestiegen, berichtet The Verge. Ebenso stieg die Anzahl an Interaktionen bei entsprechenden Beiträgen. Ausgehend von Musks Generalamnestie für gesperrte Konten wird zudem befürchtet, dass unter anderem eine Vielzahl von Rechtsextremen auf die Plattform zurückkehrt.
Konflikt mit Apple ruht vorerst
Derweil ist der Streit mit Apple für das Erste – zumindest öffentlich – beigelegt. Wie Musk im Laufe der Woche auf Twitter verkündete, habe es ein Missverständnis gegeben. Apples CEO Tim Cook habe ihm aber glaubhaft versichert, es bestand nie die Absicht, Twitter aus dem App Store zu entfernen.
Was aber bleibt, ist der schwelende Konflikt um die 30-Prozent-Gebühr, die im App Store fällig ist. Um diese zu vermeiden, hat Musk auch den Neustart von Twitter Blue mit dem 8-Dollar-Abo verschoben, berichtet The Verge. Eigentlich sollte das überarbeitete Verifikationssystem mit den blauen Haken noch in dieser Woche starten.
Wie Musk ankündigt haben soll, wird Apple auch als Werbetreibender vollständig auf die Plattform zurückkehren. Das berichtet Bloomberg-Reporter Kurt Wagner. Ebenso soll Amazon mit einem Werbevolumen von 100 Millionen Dollar pro Jahr auf Twitter zurückkehren, meldet Zoë Schiffer vom Platformer-Newsletter unter Berufung auf eine mit den Vorgängen vertraute Person.
„They sound like the guy playing the violin on the Titanic“
Dass Großkunden mit populären Marken zurückkehren, ist für Twitter essenziell, weil diese – vor allem im Vergleich zu anderen Plattformen – einen Großteil des Umsatzes ausmachen. Bis weit in den November hinein bestand das Problem, dass Twitters Werbekunden bis dato kaum Kontingente für das kommende Jahr gebucht haben. Der Grund: Aufgrund Musks erratischer Verhaltensweisen samt den radikalen Einschnitten bei der Belegschaft und den Moderationsvorgaben ist Twitter für Werbepartner eine Hochrisiko-Plattform. Es sind die Brand-Saftey-Vorgaben, die werbende Unternehmen praktisch zum Handeln gezwungen haben.
Vorab verkaufte Kontingente sind für Twitter aber relevant, weil diese Planungssicherheit bei der Umsatzentwicklung schaffen. Für das soziale Netzwerk könnte es daher im kommenden Jahr noch herausfordernder sein, die Reichweite in Einnahmen umzusetzen.
Um die Umsätze zu steigern, soll Twitter daher zuletzt generöse Rabatte und zusätzliche Reichweiten für Werbepartner eingeräumt haben. Fraglich bleibt erneut, ob diese Angebote ausreichen, um weitere Großkunden zurückzugewinnen. „Sie klingen wie der Typ, der auf der Titanic Geige gespielt hat“, sagte ein leitender Mitarbeiter einer Werbeagentur der Financial Times. Er gehe nicht davon aus, dass Unternehmen das Risiko in Kauf nehmen.