Pico 4 im Test: Meta-Quest-2-Konkurrent mit besserer Bildqualität

David Pertzborn
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Pico 4 im Test: Meta-Quest-2-Konkurrent mit besserer Bildqualität
Bild: Pico

Bei der Pico 4 trifft im Vergleich zu Metas Angebot bessere Hardware auf schlechtere Software. Mit der jetzt offiziellen Verfügbarkeit der Meta Quest 2 hat Picos Pico 4 damit auf der einen Seite einen schweren Stand, kann aber im Betrieb am PC dank der besseren Bildqualität überzeugen.

The State of VR zum Jahresende

Auch Ende 2022 muss ein Bericht zu einem neuen VR-Headset mit einer Abwägung anfangen. Denn die Pico 4 von Pico Interactive ist zwar in einigen Bereichen ein gutes bis sehr gutes Angebot, hat aber im Vergleich zur Konkurrenz in einigen Bereichen deutliche Schwächen. Die Antwort auf die Frage welches VR-Headset damit aktuell am besten ist, lautet weiterhin: „Es kommt drauf an“. Die wichtigsten Punkte sind hier die technischen Neuerungen, die verschiedenen Nutzungsszenarien, die verfügbaren Spiele und die technischen Kompromisse – samt verschenktem Potential.

Die Pico 4 im Detail

Mit Pancakelinsen dünner und leichter

Nachdem erste Hersteller wie HTC mit der HTC Flow schon VR-Brillen mit sogenannten Pancakelinsen gezeigt hatten, liefert Pico mit dem Pico 4 das erste vollwertige, auf Spiele ausgelegte VR-Headset mit diesem Linsentyp. Neben dem namensgebenden flachen Design liefern diese Linsen potentiell weitere Vorteile im Bereich Bildschärfe und praktischem Field of View, dazu später mehr. Es darf jedoch schon einmal vorgemerkt werden, dass die Pico 4 auf Grund der Designentscheidungen nicht das maximal Mögliche herausholt.

Pancakelinsen ermöglichen dünnere Headsets
Pancakelinsen ermöglichen dünnere Headsets (Bild: Meta)

Höhere Auflösung als bei Meta

Zusätzlich zu den neuen Linsen wertet Pico auch das verwendete Display auf, das nun pro Auge 2.160 x 2.160 Pixel zeigt und damit sowohl die Oculus Quest 2 als auch die Pico Neo 3 Link übertrifft. Wie bei der Neo 3 Link liegt die offizielle Bildwiederholrate entweder bei 72 oder 90 Hertz. Einen experimentellen Modus, in dem auch 120 Hertz möglich sind, gibt es zum Testzeitpunkt nicht.

Snapdragon XR2, 8 GB RAM und bis zu 256 GB Speicher

Berechnet werden die Pixel über den Snapdragon XR2, der dem Snapdragon 865 nahesteht und laut Qualcomm mindestens die doppelte Rechenleistung gegenüber dem in der ersten Generation Oculus Quest verbauten Snapdragon 835 besitzt. Die Angabe zur doppelten Rechenleistung gilt laut Qualcomm für die kombinierte Leistung von GPU und CPU, während beim Pixeldurchsatz im Bereich Video eine Vervierfachung genannt wird und bei der KI-Leistung sogar ein Faktor 11 beschrieben wird. Beim Arbeitsspeicher setzt Pico auf 8 GB LPDDR4X, der mit 2.133 MHz betrieben wird. Die Meta Quest 2 muss hier mit 6 GB auskommen. Als Speicher kann zwischen 128 GB und 256 GB gewählt werden.

Meta Quest 2 Pico 4
Gewicht 470g 295g
Display LCD mit RGB
Auflösung (pro Auge) 1.720 × 1.890
@ 72, 80, 90, 120 Hz
2.160 × 2.160
@ 72, 90 Hz
Einstellbarer Augenabstand 58mm, 63mm, 68mm 62mm – 72mm
SoC Snapdragon XR2 Gen 1
6GB RAM
Snapdragon XR2 Gen 1
8GB RAM
Audio Integriert,
1 × 3,5 mm
Integriert,
Kein Klinkenanschluss
IPD-Einstellung Mechanisch
58, 63, 68 mm
Mechanisch
62–72mm

Zwei Headsets in einem

Wie die Meta Quest (2) kann die Pico 4 sowohl als Standalone-Headset betrieben als auch per Wi-Fi (oder USB) mit dem heimischen Rechner verbunden werden, auf dessen Rechenleistung zugreifen und als SteamVR-Headset dienen. Die meisten Ergebnisse treffen auf beide Anwendungsszenarien zu, wo immer es hier Unterschiede gibt, werden diese im Test beleuchtet.

Testeindrücke zu Bild und Ton

Bevor es an die Software und die ganzen weiteren Details geht eine Einschätzung zu Ton und Bildqualität.

Schlechter Ton trifft Smartphone-Features

Die schlechte Nachricht zuerst. Pico setzt wie beispielsweise auch Meta bei der Quest (2) auf im Headset integrierte Lautsprecher, die Richtung Ohren schallen. Und diese können auch bei Pico klanglich nicht überzeugen. Es fehlt an Bass, die Klangqualität lässt insgesamt zu wünschen übrig und die Spielgeräusche sind auch für Außenstehende deutlich zu hören. Hier war selbst die erste Generation VR-Headsets mit der Oculus Rift schon besser, um von neuen Vertretern wie der Valve Index garnicht zu sprechen.

Eine Neuerung direkt aus dem Smartphonebereich (leider im negativen Sinne) ist, dass Pico auch den Kopfhöreranschluss gestrichen hat. Damit können eigene Kopfhörer nur per USB-C-zu-Klinke-Adapter oder Bluetooth angeschlossen werden. Beides ist nicht optimal. Bei Bluetooth kann die Latenz, gerade in Spielen, stören und der – nicht beiliegende – USB-C-Adapter belegt den USB-C-Anschluss, der zum Laden oder für die Datenübertragung genutzt werden kann.

Das Bild ist gut bis sehr gut, wenn ...

Der Bildeindruck der Pico 4 ist dank der neuen Linsenform von besonderem Interesse. Hier zeigt Pico das Potential der neuen Technik zwar eindrucksvoll, aber nur wenn der Nutzer danach sucht und selbst Hand anlegt. Wie erhofft liefern die Pancakelinsen der Pico 4 außerhalb der Bildmitte ein besseres Bild als die Fresnellinsen der Konkurrenz und dank stufenlos einstellbarem Linsenabstand kann das Headset an den eigenen Augenabstand angepasst werden. Dies erhöht zusätzlich die wahrgenommen Bildqualität und sorgt für ein klareres Bild im Randbereich.

Das größte Problem hier ist, dass der Abstand zwischen Linsen und Augen nicht angepasst werden kann, dieser aber einen massiven Einfluss auf das Sichtfeld hat. Beim Tester führt dies dazu, dass die Linsen des Pico 4 mit dem beiliegenden Gesichtspolster verhältnismäßig weit von den Augen weg sitzen. Damit ist das Sichtfeld relativ klein und verursacht das typische Taucherbrillengefühl, das mit einem kleinen Sichtfeld üblich ist. Ein neuer Versuch, inspiriert von Verbesserungsvorschlägen aus der Community, musste her. Mit nur einem dünnen Stück Stoff als Polster ist das Headset zwar weniger bequem, kann aber seine ganze Stärke beim Field of View ausspielen. Das Sichtfeld gehört dann zu den besten der bisher auf ComputerBase getesteten Headsets und verliert zum Rand hin kaum an Schärfe. Etwas unverständlich ist, warum es auch beim Streaming vom PC keine Option für 120 Hz gibt, andere Headsets können da mehr.

Bildqualität im Standalone-Betrieb

Neben der Hardware spielt für die Bildqualität auch die Software eine Rolle und hier macht es einen Unterschied ob vom PC gestreamt oder direkt am Headset gerendert wird. Beim Standalone-Betrieb werden Spiele aufgrund der limitierten Leistung des SoC oft in niedrigerer als der nativen Auflösung gerendert. Die Möglichkeit durch Supersampling den Bildeindruck zu verbessern gibt es damit logischerweise erst Recht nicht.

Bildqualität am PC

Beim PC-Streaming ist das Limit die Leistung des PCs und bei vielen Spielen schafft auch Mittelklasse-Hardware mehr als die native Auflösung. Dafür müssen beim Streaming über WiFi oder USB Kompressionsartefakte in Kauf genommen werden und die Qualität der drahtlosen Verbindung entscheidet mit über die maximal mögliche Übertragungsrate. Das theoretische Maximum liegt hier bei 1.200 Mbit/s.

Die zweite limitierende Komponente ist auch beim PC-Streaming das SoC im Headset. Dessen Decoding-Leistung ist im Endeffekt das praktische Limit dessen, was an Bilddaten übertragen werden kann. Zusätzlich gibt es beim Streaming immer eine zusätzliche Latenz, die jedoch im Test nicht negativ auffiel, solange die Verbindung stabil war.

Ergonomie und Controller

Sowohl die Controller als auch das Headset unterscheiden sich im Aufbau schon auf den ersten Blick von den Vorgängermodellen und der Konkurrenz. Besonders auffällig ist dies, wenn das Headset (ohne das Gesichtspolster) mit anderen VR-Headsets verglichen wird.

Das Headset ist deutlich schlanker und das Gewicht ist nicht so weit nach vorne verlagert. Wie auch beim Sichtfeld lässt sich die Pico 4 hier durch den Einsatz eines anderen Gesichtspolsters deutlich optimieren. Erfahrungsberichte aus der Community empfehlen beispielsweise das Gesichtspolster der Meta Quest 2 zu nutzen. Ansonsten liegt die Pico 4 beim Tragekomfort im Mittelfeld, leistet sich aber keine kritische Schwäche.

Nur indirekt ein Thema aus dem Bereich Ergonomie, aber ein Thema beim Nutzungskomfort ist: Nach der Benutzung sollte das Headset grundsätzlich ans Ladegerät gehängt werden, da sich der integrierte Akku sonst teilweise selbst entlädt. Nach einer Woche Nichtbenutzung fiel das Headset im Test von über 50 Prozent Restkapazität auf 0 Prozent. Selbst ein fast 10 Jahre altes iPad ist hier beim Tester zuverlässiger.

Die Controller überzeugen

Eine der besten Neuerung der Pico 4 sind die mitgelieferten Controller. Die veränderte Ausrichtung der Trackingringe von vorne zur Seite hin erinnert an die Valve-Index-Controller. Auch wenn die Qualität dieser nicht erreicht wird, gehört das Controllertracking zum Besten, was sich bis jetzt im Test behaupten musste. Deutlich zuverlässiger sind nur Lösungen mit externen Sensoren oder Basestations. In der alltäglichen Nutzung war das Controllertracking immer gut genug, was bei den meisten Headsets ohne oben genannte Sensoren oder Basestations nicht der Fall ist. Spannend wird hier, wie viel besser die Controller der Meta Quest Pro sind, bei denen das Tracking direkt über Sensoren in den Controllern realisiert wird.

Abgesehen von der Trackingqualität machen die Controller einen soliden, aber keinen sehr guten Eindruck, stellen sich im Test als etwas zu klein heraus und liegen dadurch nicht komplett sicher in der Hand. Geladen werden die Controller über USB Typ C und überzeugen mit langen Laufzeiten. Auch über mehrere Testsessions hinweg lag der Akkuverbrauch bei wenigen Prozent.

Mit Mods aus der Community

Um einige der hier schon angesprochenen Probleme anzugehen, gibt es in der ComputerBase-Community von alternativen Gesichtspolstern bis hin zu Kopfhörerempfehlungen viele Hilfestellungen. Ärgerlich ist zwar, dass diese überhaupt nötig sind, da viele davon eigentlich direkt ab Werk gelöst werden könnten, aber wer bereit ist über reines Plug and Play hinauszugehen, kann die Pico 4 selbst deutlich aufwerten.

Das Problem mit den Spielen

Das größte Problem der Pico 4 liegt im Softwareangebot im Vergleich zur Meta Quest (2). Sofern das Headset eigenständig ohne angeschlossenen PC genutzt werden soll, ist die Auswahl an verfügbaren Spielen deutlich eingeschränkt. Im direkten Vergleich von Steam, dem Oculus Store und dem Pico Store zieht Pico deutlich den kürzeren. Ein Beispiel: Von den acht beliebtesten Multiplattformtiteln auf Steam und im Oculus Store für die Quest sind jeweils nur 3 auch auf der Pico 4 verfügbar.

Zu den nicht verfügbaren Titeln gehören dabei auch Titel wie Beat Saber oder VRChat, die seit Erscheinen zu den beliebtesten VR-Titeln überhaupt gehören. Dies ist natürlich kein Problem, wenn die Pico 4 an den heimischen Rechner angeschlossen wird. In diesem Fall lassen sich sowohl Steam- als auch Oculus-Store-Spiele über SteamVR auf der Pico 4 wiedergeben.

Fazit: Meta Quest 2 oder Pico 4

Die Pico 4 ist aktuell der einzige ernstzunehmende Alternative zur Meta Quest 2 und unterbietet diese preislich knapp, liefert aber technisch ein besseres Produkt. Kleinere Abstriche muss die Pico 4 beim Ton machen, da die integrieren Lautsprecher gerade so als ausreichend bezeichnet werden können und der Kopfhöreranschluss gestrichen wurde. Beim Bild liegt die Pico 4 dafür vorne und kann insbesondere dann, wenn die Linsen nahe genug an den Augen sind, mit einem größeren Sichtfeld aufwarten, das zusätzlich bis zum Rand hin relativ scharf ist.

Damit bleiben zwei Fragen um zu entscheiden, ob es die Pico 4 oder die Meta Quest 2 werden soll. Erstens: Soll das Headset primär am Rechner genutzt oder als Standalone-VR-Headset, ähnlich einer Spielkonsole, eingesetzt werden? Zweitens: ByteDance oder Meta?

Als PC-VR-Headset mit (eingeschränkten) Standalone-Fähigkeiten liefert die Pico 4 (Preisvergleich) mehr als die Meta Quest 2 (Preisvergleich) und kann aktuell zusätzlich mit einem kleinen Preisvorteil aufweisen. Als reines Standalone-VR-Headset tut sich die Pico 4 jedoch auf Grund des (noch) eingeschränkten Softwareangebots schwer. Ein klassisches Henne-Ei-Problem: Meta hat im Standalone-VR-Bereich laut Bundeskartellamt einen geschätzten Marktanteil von 90 Prozent und ist damit für Entwickler die attraktivere Plattform. Und ohne passende Software ist die Pico 4 für Endkunden das weniger interessante Komplettpaket.

Für die reine Nutzung als PC-VR-Headset gibt es zusätzliche Alternativen wie die HP Reverb G2 (Test) oder die Valve Index (Test), die dank klassischer Displayanschlüsse nicht mit Kompressionsartefakten und zusätzlicher Latenz zu kämpfen haben. Dafür sind hier die Preise deutlich höher und die Headsets können ohne Rechner nicht einmal für ein Video oder kurzes Spiel zwischendurch genutzt werden.

Da die Meta Quest 2 bis vor wenigen Wochen aufgrund von wettbewerbsrechtlichen und Datenschutzbedenken nicht auf dem deutschen Markt verfügbar war und TikTok, neben Pico ein weiteres Produkt von ByteDance, in den USA schon gesperrt ist, steht bei beiden Headsets auch die Frage nach dem zugehörigen Mutterkonzern im Raum. Hier kann keine eindeutige Aussage getroffen werden, aber es bleibt anzumerken, dass sowohl Meta als auch ByteDance beispielsweise beim Thema Datenschutz nicht immer in den selben Maßstäben denken, wie es vielleicht in Deutschland und Europa üblich ist.

ComputerBase hat die Pico 4 leihweise zum Testen erhalten. Eine Einflussnahme des Herstellers auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht. Es gab einen frühsten Veröffentlichungstermin, der aber verstrichen lassen wurde.

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