Waymo One ausprobiert: Unterwegs im autonomen Robotaxi ohne Fahrer
Das wie Google zu Alphabet gehörende Unternehmen Waymo bietet in den USA in bereits drei Städten den autonomen Robotaxi-Fahrdienst Waymo One an, der nach Level 4 und ohne Fahrer am Steuer Gäste sicher ans Ziel bringen soll. ComputerBase hat in Chandler, Arizona zwei Fahrten mit Waymo One absolviert und schildert die Eindrücke.
Das autonome Fahren rückt in Deutschland stetig näher. Level-2-Systeme, die den noch ans Steuer greifenden Fahrer unterstützen, sind allgegenwärtig in modernen Pkw, und auch ein erstes Level-3-System gibt es mit dem Drive Pilot von Mercedes-Benz (Test) bereits, der auf Autobahnen bis 60 km/h die gesamte Fahraufgabe übernehmen kann. Darüber hinaus steht in Deutschland eine Erweiterung von Level-3-Lösungen auf künftig bis zu 130 km/h inklusive der Unterstützung von automatisierten Spurwechseln an.
Waymo One fährt in drei Städten
In den USA ist Waymo bereits einen Schritt weiter und bietet das Mitfahren in autonomen Robotaxis in derzeit drei Städten für jedermann an. Während man sich in San Francisco allerdings noch auf eine Warteliste setzen lassen muss, kann der unter dem Namen Waymo One laufende Fahrdienst in Phoenix, Arizona sowie dem benachbarten East Valley, zu dem auch Chandler gehört, direkt genutzt werden, nachdem die zugehörige App installiert wurde. Über das Smartphone lässt sich dann in wenigen Schritten ein autonomes, nach Level 4 und somit ohne Fahrer am Steuer fahrendes Robotaxi bestellen, das Gäste im komplexen Stadtgebiet sicher von A nach B bringen soll.
Der Waymo Driver übernimmt das Steuer
Waymo gehört wie Google zum Alphabet-Unternehmen und bietet derzeit drei Produkte an: den Waymo Driver, das von Waymo entwickelte Fahrsystem; Waymo One, den Robotaxi-Fahrdienst für Privatkunden, bei dem der Waymo Driver zum Einsatz kommt; sowie Waymo Via, eine Lösung für autonome Lkw und Transporter, um Waren und andere Güter zu transportieren, das ebenso auf den Waymo Driver setzt.
Das Unternehmen wirbt damit, mit dem Waymo Driver „The World’s Most Experienced Driver“ anzubieten. Über 32 Milliarden Kilometer habe man bereits abgespult, davon mehrere Millionen auf echten Straßen und den Rest im Simulator. In mehr als 13 US-Staaten seien bereits Testfahrten durchgeführt worden. Und warum das Ganze? Sicherheit. Waymo will die Anzahl der 36.096 Verkehrstoten in den USA (2019) sowie der weltweit mehr als 1,35 Millionen pro Jahr drastisch reduzieren. Für 94 Prozent aller Unfälle in den USA sei schließlich menschliches Fehlverhalten verantwortlich.
Waymo fährt mit Chrysler und Jaguar
Der Waymo Driver ist demnach der „Fahrer“ des Autos. Am Steuer sitzt im Regelfall aber niemand mehr, sofern es sich nicht um eine Fahrt handelt, die zu Testzwecken von einem Waymo-Mitarbeiter überwacht werden muss. Die Fahrzeuge, bei denen es sich um den Chrysler Pacifica und den Jaguar I-Pace handelt, sind somit vollständig autonom unterwegs. Die beiden Autohersteller sind allerdings nicht in die Entwicklung des Waymo Drivers involviert, Kooperationen gibt es aber dennoch, auch mit anderen Autoherstellern. Von außen betrachtet setzen sich die Autos mit größeren Aufbauten für die Sensorik von den regulären Serienmodellen ab. Waymo setzt auf mehrfach verbaute Kameras, Lidar und Radar, um die Umgebung zu erfassen und Entscheidungen zu treffen. Der Hersteller gibt an, die Umgebung in Entfernungen von bis zu drei Football-Feldern zu analysieren, also rund 270 m. Bevor die Autos aber in die freie Wildbahn entlassen werden, führt Waymo eine hochauflösende Kartografie des Stadtgebietes durch, die laufend aktualisiert wird.
Systeme sind redundant verbaut
Wie das Unternehmen erklärt, sind zahlreiche Systeme redundant verbaut. Zum Beispiel kommen vom zentralen Computer zwei Einheiten zum Einsatz, auch Bremsen und Stromversorgung sind doppelt vorhanden, gleiches gilt für die inertiale Messeinheit. Auch für die Lenkung gibt es mit einem zweiten Motor und einer separaten Stromversorgung eine Absicherung. Außerdem erklärt Waymo, die eigenen Fahrzeuge respektive Systeme „robust“ gegenüber Cyberattacken gesichert zu haben.
Die erste Fahrt mit Waymo One
Von der Theorie in die Praxis ging es für ComputerBase in Chandler, Arizona. Um Waymo One nutzen zu können, wird die entsprechende App für Android oder für iOS benötigt, wobei beide Versionen offiziell nicht in Deutschland angeboten werden, zumindest aber unter Android ohne Hürden die APK-Datei über Seiten wie APK Mirror installiert werden kann. Waymo One kann anschließend in den USA auch mit einem deutschen Google-Konto und deutschen Zahlungsmitteln in Google Pay genutzt werden.
Die Waymo-One-App funktioniert vergleichbar zu den Anwendungen von Anbietern wie Lyft oder Uber, indem Start und Ziel definiert werden, daraufhin nach verfügbaren Fahrzeugen gesucht und ein Preis ausgegeben wird. In Chandler lagen die Wartezeiten zur Mittagszeit an einem Freitag bei wenigen Minuten, zu Stoßzeiten oder Großveranstaltungen muss man analog zu den anderen Anbietern klassischer Fahrdienste wahrscheinlich etwas mehr Geduld aufbringen. Preislich lag Waymo One für rund 3 km Fahrstrecke bei umgerechnet 6 Euro. Unbekannt ist, ob Waymo wie Lyft und Uber auf das sogenannte Surge Pricing, also ein dynamisches Preismodell gemessen an der aktuellen Nachfrage setzt. Waymo One ist obgleich der eingeschränkten allgemeinen Verfügbarkeit mehr noch ein Testballon, der für das Unternehmen respektive Alphabet nicht unbedingt einen Gewinn abwerfen muss. Angesichts der zahlreichen anderen und zudem äußerst lukrativen Geschäftsfelder von Alphabet kann ein Projekt wie Waymo auch mit Verlust betrieben werden. Waymo ist vielmehr ein prestigeträchtiges Aushängeschild für Alphabets Expertise in den Bereichen KI und Machine Learning sowie autonomes Fahren.
Start und Ziel lassen sich exakt definieren
Das eigentliche Fahren mit Waymo One ist angesichts des neuen Erlebnisses zwar zunächst eine aufregende und spannende Angelegenheit, läuft letztlich aber doch eher unspektakulär ab, was als Lob für das souveräne Fahrverhalten zu interpretieren ist. Um den Gast einsteigen zu lassen, sucht ein Waymo-One-Auto nach der Ankunft am Startpunkt nach einer passenden Stelle, um den Verkehr möglichst nicht zu behindern, selbiges gilt das Absetzen des Fahrgastes. Auf der Karte in der App lassen sich Start und Ziel nicht nur über die Markierung von Zielen oder die Adresse definieren, sondern auch über das exakte Absetzen einer Stecknadel, was aber bewusst nur in vordefinierten, blau (Start) oder grün (Ziel) markierten Zonen möglich ist. So kann man sich zum Beispiel vor einem Geschäft an verschiedenen Positionen absetzen lassen, aber sinnvollerweise nicht in dessen Einfahrt oder mitten auf einer Hauptverkehrsader. Sollte man das Waymo-Fahrzeug nicht sofort als solches erkennen, was eher unwahrscheinlich ist, hilft in der App auch die Angabe des Nummernschildes bei der Identifizierung. Das Auto selbst – Chrysler oder Jaguar – wird dort ebenfalls angezeigt.
Die Ausstattung des Chrysler Pacifica
ComputerBase ist in Chandler zweimal mit einem Waymo One auf Basis des Chrysler Pacifica gefahren und in beiden Fällen stand das Auto exklusiv zur Verfügung. Platz nehmen lässt sich im Pacifica über die hintere Schiebetür auf zwei Einzelsitzen oder auf der durchgehenden dritten Sitzbank, die auch mit einem Kindersitz bestückt ist. Bedienelemente im Dach geben Zugriff auf die Klimatisierung, außerdem finden sich dort zentral positioniert Knöpfe für das Starten der Fahrt, zum Ver- und Entriegeln der Türen, zum Anhalten und für Hilfe, sollte es zu Problemen kommen. Dort sitzt auch eine Kamera, wobei nicht bekannt ist, ob diese dauerhaft aufzeichnet. Alle Tasten sind zudem mit Brailleschrift versehen, sodass auch Menschen mit Sehbehinderung den Dienst nutzen können. Dabei hilft auch eine akustische Ausgabe aller Hinweise, die ansonsten visuell auf zwei hinten an den vorderen Sitzen befestigten Monitoren dargestellt werden. Dort gibt es zudem jeweils eine USB-A-Buchse, um etwa das eigene Smartphone während der Fahrt zu laden.
Der Waymo Driver fährt souverän
Hat man im Auto Platz genommen, sich angeschnallt und den Start der Fahrt über den Bildschirm, die Bedienelemente im Dachhimmel oder die App auf dem Smartphone bestätigt, geht die alles andere als wilde Fahrt los. Der Waymo Driver hält sich nämlich strikt an alle Verkehrsregeln und somit auch stets an das jeweils aktuelle Tempolimit. Das autonome Fahrsystem geht dabei allerdings nicht übervorsichtig vor, sondern fährt auch mal über gelbe Ampeln und führt Abbiegevorgänge mit teils überraschend hoher Geschwindigkeit durch. Dabei stellte auch das in den USA übliche Abbiegen an Kreuzungen bei roter Ampel keine Herausforderung dar. An Stoppschildern halten die Waymo-One-Autos einmal kurz vollständig an, bevor es weiter geht. Es kommt demnach nicht zu einem in den USA häufig bei Autofahrern zu sehenden „rolling stop“, der mehr dem deutschen Vorfahrt gewähren entspricht. Das Linksabbiegen über eine Kreuzung bei gleichzeitigem Vorfahrt gewähren des entgegenkommenden Verkehrs meisterte der Waymo Driver ebenso problemlos.
Was die Sensorik des Autos sieht, wird für den Fahrgast auf den beiden Bildschirmen visualisiert. Das wiederum schafft ein gewisses Vertrauen, weil sich so besser nachvollziehen lässt, warum welche Entscheidungen vom Waymo Driver getroffen werden. Die Visualisierung verdeutlicht außerdem, wie viel mehr die Sensorik im Vergleich zum menschlichen Fahrgast in der zweiten Reihe sieht. Auf den Displays sind auch die Ampelphasen zu sehen, Straßennamen werden hervorgehoben, die verbleibende Fahrzeit wird angezeigt und auch das Ziel wird grün markiert, um es nach der Ankunft auf den letzten Metern zu Fuß schneller zu finden.
Eine brenzlige Situation gab es kein einziges Mal zu beobachten, höchstens eine unerwartete Entscheidung des Waymo Drivers. Beim Abbiegen nach rechts an einem Stoppschild nahm sich das Auto einmal die Freiheit, bei den letzten Metern zur Kreuzung auch den mit durchgezogener Linie abgetrennten Radfahrstreifen beim Einsortieren zu nutzen, obwohl das angesichts der Platzverhältnisse eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Fahrradfahrer waren in dieser Situation aber weit und breit nicht zu sehen, sodass niemand auch nur annähernd zu Schaden kam. Beim ersten Abholen brauchte das Auto zudem etwas länger, um eine passende Position zum Anhalten zu finden.
US-Städte sind häufig gut für Waymo geeignet
Die zwei Testfahrten in Chandler waren insgesamt betrachtet eher einfacher Natur, da das Verkehrsaufkommen weder besonders hoch war, noch größere Baustellen, viele Fußgänger oder Fahrradfahrer anzutreffen waren. Speziell in Arizona sorgt zudem das trockene Klima mit vielen Sonnentagen für gute Konditionen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind viele US-Städte primär für Autos konzipiert worden, was sich wiederum positiv auf autonome Fahrzeuge auswirkt. In Berlin oder Paris wären die Herausforderungen für den Waymo Driver merklich höher, zumal Chandler im Testgebiet sehr gut ausgebaute Straßen ohne nennenswerte Schäden bietet. Dass Waymo One aber auch in San Francisco verfügbar ist zeigt, dass die Fahrzeuge auch mit weniger ausgedehnt angelegten Städten mit älteren, engeren und schlechteren Straßen zurechtkommen, wenn entsprechende Vorarbeit etwa bei der Kartografie geleistet wird.
Die autonome Zukunft kann so gerne kommen
Insgesamt betrachtet lassen sich die zwei Waymo-One-Fahrten mit einem Wort zusammenfassen: souverän. Als Fahrgast hatte man nie das Gefühl, in einem Experiment auf vier Rädern zu sitzen, sondern in einem alltagstauglichen Produkt, das sicher zum Ziel fährt. Wenn das die Zukunft autonomer Robotaxis ist, kann sie so gerne kommen.
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