Atomic Heart im Test: Spielkritik und Fazit
4/4Wie gut ist Atomic Heart?
Atomic Heart verspricht, ein neues BioShock zu sein. Statt kapitalistischer Utopien wird eine kommunistische realisiert: In einer Sci-Fi-Version der Sowjetunion der 1950er-Jahre verrichten längst Roboter körperliche Arbeiten – bis die metallene Arbeiterklasse anfängt, sich gegen ihre Herrscher zu wenden. Das ist so lange hochspannend, wie Atomic Heart der Vision des Vorbildes folgt.
Um herauszufinden, was passiert ist, müssen Spieler als KGB-Agent eine Forschungseinrichtung und umliegende Gebiete durchstreifen. Und was für eine Einrichtung das ist! Es ist die eines anderen Kulturkreises und einer ganz anderen Denkweise: Mysteriöse Geräte mit runden Formen warten an allen Ecken. Sie haben klar eine Funktion, die sich nur nicht erschließt. Das muss man erlebt haben.
Und immer wieder kommt man mit Blut in Berührung, denn ethisch scheinen die gigantischen Fortschritte weniger zu sein. Gerade mit dem Hintergrund von etwas Geschichtswissen wird es spannend, ein kommunistisches Utopia zu durchstreifen. Kündigt ein Video etwa die Überlegenheit eigener Technik gegenüber der kapitalistischen Außenwelt an, bleibt Misstrauen in Anbetracht der einseitigen Informationslage: Stimmt das alles? Es bleibt Unbehagen, das verstärkt wird durch die Brüchigkeit der Utopie, die auf dem Rücken von Strafgefangenen gebaut wurde, und der scheinbar kompromisslosen Überlegenheit des Sowjetsystems.
Dass die Hauptfigur spricht und handelt wie ein US-Actionheld, passt hingegen so gar nicht in das Setting. Manche Bemerkungen sind schlicht unpassend dumm oder liegen über Kreuz mit dem gezeigten Horror. Besonders auffällig wird das bei Gesprächen mit dem Waffenverkäufer-Automaten, die aus permanent infantilen Sexwitzen bestehen, mit denen auf diesem Niveau höchstens ein Duke Nukem davongekommen wäre. Der hat zudem das bessere Kampfystem. Schusswaffen fühlen sich etwas kraftlos an, Nahkampf blieb am Ende die häufiger genutzte Option. Die einzige darf das jedoch nicht bleiben, denn die Roboter langen kräftig zu. Siegreich ist tatsächlich nur, wer das gesamte Arsenal bis hin zu Zusatzkräften nutzt. Die sind gleichwohl weniger spektakulär als in den Trailern.
Eine glasklare Vision geht dem Shooter definitiv ab. Er wirkt bisweilen wie eine verlorene Ansammlung populärer Spiel-Elemente. Stealth etwa gibt es, funktioniert aber mäßig. Klettereinlagen sind vorhanden, lassen aber noch das erste Dying Light wie einen eleganten Parkour-König aussehen. Ein umständliches Menüsystem mit verschiedenen Ressourcen, Blaupausen und Crafting frisst Nerven ohne Mehrwert. Immerhin: Das Ressourcensammeln kürzt Mundfish ab, man hätte es aber besser gestrichen oder weiter vereinfacht, war es doch schon in BioShock eine unnötige Ablenkung. Ohnehin stellt sich die Frage, welchen Sinn die oftmals hakende offene Welt eigentlich hat. Zu Höchstform läuft Atomic Heart dann auf, wenn es ohne diesen Ballast linear erzählen darf. Dort gibt es tolles Platforming, packende Kämpfe mit gruseligen Mannequin-Robotern und abwechslungsreiches Puzzeln. Einfach erstklassige Unterhaltung.
Hut ab: Als Erstlingswerk beeindruckt Atomic Heart. Auch wenn das Konzept recht ruckelig ist und spielerisch an manchen Ecken hakt, macht der Streifzug durch diese Sci-Fi-Realität ungemein Spaß. Er überzeugt am Ende mit dem Grund, überhaupt ein Videospiel zu spielen – dem Erleben toller fremder Welten mit kindlicher Neugier.
Warum gibt es Kontroversen?
Wie bei Hogwarts Legacy hat der Kauf von Atomic Heart eine politische Dimension, die schon seit längerer Zeit heiß diskutiert wird. Hintergrund sind der Krieg in der Ukraine und das Entwicklerstudio, das zwar mittlerweile einen Sitz ein Zypern hat, zuvor aber als russisches Unternehmen auftrat. Geldgeber haben zudem potentielle Verbindungen zu staatsnahen Fonds, sodass ein Kauf von Atomic Heart möglicherweise indirekt ein Regime zu unterstützt, das in Europa einen Angriffskrieg führt.
Eine gute Figur geben die Entwickler dabei nicht ab. Alte, laut Studio veraltete und falsche Nutzungsbestimmungen auf der Homepage kündigten an, Daten an russische Sicherheitsbehörden zu übermitteln. Unklar bleibt zudem die Haltung von Mundfish zum Krieg in der Ukraine. In Reaktion auf die Kontroverse bezeichneten sich die Entwickler auf Twitter zwar als „globales Team“ und als eine „Pro-Friedensorganisation gegen Gewalt gegen Menschen“, gingen auf den Krieg in der Ukraine aber nicht ein, was die Diskussion kaum beruhigte: In der Perspektive russischer Propaganda handelt es sich um eine friedenssichernde Maßnahme. In dem Kontext mutet auch der Erscheinungstermin fragwürdig an. Der 21. Februar ist der Jahrestag der Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, mit dem der offizielle Einmarsch russischer Truppen in die Donbass-Region verbunden war.
Spiele sind Kunst und als solche nicht losgelöst von Gesellschaft oder Politik. Es ergibt deshalb zumindest Sinn, gerade in einem derart spannungsgeladenen Feld zu hinterfragen, welche Meinungen oder Positionen im Spiel gegebenenfalls zum Ausdruck kommen, um sie der Diskussion zu öffnen. Propaganda für ein im heutigen Russland eher positiv gesehenes Sowjetimperium und damit für politische Ziele Russlands findet sich in Atomic Heart hingegen nicht. Ausgehend von den ersten Spielstunden scheint die Haltung eine kritische Note zu besitzen.
Fazit
Mit Atomic Heart ist nun eines der meisterwarteten Spiele des Jahres erschienen. Es ist bezüglich der Aufmachung auch sicherlich eines der ungewöhnlichsten – und eines der schönsten. Denn es sieht einfach nur toll aus. Das liegt natürlich mit an der Technik an sich, doch vor allem das Artwork ist absolut gelungen.
Merkwürdig ist dagegen das Fehlen von jeglichem Raytracing in der Testversion und das Schweigen der Entwickler diesbezüglich. Für die Konsolen wurden die Strahlen bereits abgekündigt, beim PC gab es zuletzt keine weiteren Informationen dazu. Damit kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Release-Version plötzlich Raytracing unterstützt, doch ist dies eher unwahrscheinlich. Das alles ist ziemlich merkwürdig – umso mehr, wenn man bedenkt, dass Atomic Heart eines von Nvidias Vorzeigetiteln für Raytracing beim Turing-Launch im Jahr 2018 war.
Trotz guter Grafik gibt es viele FPS
Positiv hervor sticht neben der Grafikqualität auch die Performance, denn die ist überraschend hoch. Die maximalen Grafikdetails verlangen erst in hohen Auflösungen eine schnelle Grafikkarte, in Full HD und WQHD reicht teils schon ein älteres Mittelklasse-Modell. Die meisten anderen aktuellen Spiele sehen schlechter aus und laufen auch noch langsamer. AMD- und Nvidia-Grafikkarten verhalten sich dabei vergleichbar, GeForce-Modelle haben aber einen leichten Vorteil.
In Sachen Upsampling für mehr FPS gibt es dagegen nur halbwegs gute Nachrichten. Nvidias DLSS wird als Super Resolution (DLSS 2) und Frame-Generation (DLSS 3) zwar unterstützt, AMDs konkurrierendes FSR 2 sowie Intels XeSS aber nicht. Wer keine GeForce-RTX-Grafikkarte hat, kann also kein Upsampling für spürbar mehr FPS benutzen. DLSS hinterlässt in dem Game derweil einen unterdurchschnittlichen Eindruck, denn DLSS leidet in Atomic Heart überraschend stark an Smearing – etwas, was es in dieser Form eigentlich nur mit klar älteren DLSS-2-Iterationen gegeben hat.
Nervige, andauernde Haker gibt es in dem Spiel nicht
Zu guter Letzt noch zwei ziemlich positive Nachrichten: Das Frame-Pacing in Atomic Heart ist zwar nicht perfekt (vor allem Radeons laufen noch nicht völlig rund), doch diese Probleme sind verhältnismäßig klein. Darüber hinaus leidet das Spiel nicht an mittlerweile in Mode gekommene Haker durch Nachladen oder Kompilierung von Shadern. Und zu guter Letzt sind bei der PC-Version keine größeren technischen Probleme aufgetreten. Einmal während des Tests hat sich die Spielfigur an einer engen Stelle verhakt und nur ein Neuladen des Spielstandes hat dies behoben. Darüber hinaus kann es passieren, dass die Gegneranimationen nicht korrekt geladen werden und die Widersacher dann in T-Pose auf den Spieler zuschweben, bevor die Animation bei kurzer Entfernung gestartet wird. Auch das ist jedoch nur selten geschehen.
ComputerBase hat Atomic Heart vom Publisher Focus Entertainment zum Testen erhalten. Das Spiel wurde unter NDA zur Verfügung gestellt. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt. Eine Einflussnahme des Herstellers auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht.
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