Positionspapier: Regierung spricht sich nicht gegen Chat-Kontrollen aus
Trotz teils massiven Widerstand verschiedener Digital- und Bürgerrechtsorganisationen sowie ebenso nicht geringer Kritik aus den eigenen Reihen hat sich die Bundesregierung für einen Kompromiss bei den Chat-Kontrollen auf EU-Ebene ausgesprochen. Die Ablehnung im Koalitionsvertrag scheint vergessen.
Nachdem sich die Verhandlungen über Chat-Kontrollen zwischen dem EU-Parlament und EU-Rat dem Ende nähern und bald mit finalen Entwürfen zu rechnen ist – zu dem Zeitpunkt noch ohne konkrete deutsche Position, konnte sich die Bundesregierung nun zumindest dem Anschein nach ebenso auf bestimmte Eckpunkte einigen.
Ablehnung aufgehoben?
Noch im Dezember 2021 verkündete die aktuelle Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag (PDF) unter dem Punkt „Digitale Gesellschaft“: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab“. Von diesem Versprechen scheinen sowohl SPD, Bündnis 90 / Die Grünen sowie die FDP nun Abstand genommen zu haben. Grund hierfür könnte unter anderem Innenministerin Nancy Faeser sein, welche immer wieder die Möglichkeit zur Durchsuchung privater Inhalte und Kommunikation gefordert hatte.
In vielen Punkten konnten sich die Vertreter der Parteien bereits im Vorfeld einigen: Client-Side-Scanning und eine Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung werden laut dieser weiterhin abgelehnt, Telefonie oder Sprachnachrichten weiterhin nicht durchsucht. Darüber hinaus soll die EU „nur solche Inhalte und Verhaltensweisen erfassen, die EU-weit verboten sind“. Es bleibt abzuwarten, auf welche Rahmenbedingungen sich die EU hierbei einigen wird, da das Alter der sexuellen Mündigkeit in den Mitgliedstaaten variiert – in Deutschland liegt es zum Beispiel bei 14 Jahren. Eine einheitliche Regelung dürfte hier also schwerfallen.
Innenministerium setzt sich anscheinend durch
Jetzt, nach rund einem Jahr Streit und Diskussionen rund um die Kontrollen, bei denen Minister verschiedener Ressorts immer wieder versuchten eine gemeinsame Linie zu finden und die FDP nicht selten selbige rote formuliert hatte, bei denen die Liberalen dem Vorhaben nicht zustimmen werden und sich am Ende doch nicht wirklich angenähert wurde, soll sich die Bundesregierung in der letzten Woche dann doch auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. Das Nachrichten-Portal Netzpolitik.org kommt in einem Bericht zu der Einschätzung, dass sich im Ergebnis vor allem das Innenministerium in weiten Teilen durchgesetzt habe – in vielen Teilen entspricht das Papier seinem damaligen Entwurf. Dem Artikel zufolge sollen die Ministerien lediglich „zwei Dutzend Wörter gestrichen und ein paar neue Punkte aufgenommen“ haben. Wirkliche inhaltliche Änderungen soll es dabei nicht mehr gegeben haben. So werden Chat-Kontrollen zumindest nicht mehr abgelehnt.
Zuerst so, dann anders
Die eigentliche Qualität der Einigung wird auch durch eine Aussage von Maximilian Ludwig Funke, digitalpolitischer Sprecher der FDP, deutlich: So seien die FDP-Ministerien „energisch gegen eine Überwachung jeglicher Kommunikation eingetreten“, konnten das Innenministerium aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Letztlich konnte sich über einige Punkte geeinigt werden, „um so gegenüber Brüssel eine geeinte Position zu vertreten“. Vor wenigen Wochen gab dieser noch an, dass die seitens Nancy Faeser getätigten Forderungen seiner Meinung nach im Widerspruch zum Koalitionsvertrag stehen würden.
Dennoch wird das Schreiben von der Bundesregierung als Einigung bezeichnet, die auch in dieser Form an die EU übermittelt werden soll. Innerhalb der Koalition scheinen die Meinungen aber weiterhin verhärtet zu sein: Das Innenministerium will dem Bericht zufolge weiterhin E-Mails und Speicherdienste wie Cloud-Backups in unverschlüsselter Form untersuchen können, die FDP tritt diesem Punkt weiterhin geschlossen entgegen. Gleiches gilt für das Suchen nach „bislang unbekannten Missbrauchsdarstellungen und Grooming“. So wurde von der FDP ebenso abgelehnt, bei einer eventuellen Altersverifikation „die Vorlage des Personalausweises auszuschließen“, die Einigung sieht jetzt eine „Altersverifikation beispielsweise mittels freiwilliger Ausweisvorlage“ vor. Auch Netzsperren, die bisher von allen Regierungen abgelehnt wurden, werden laut dem Bericht nun mitgetragen – zumindest unter Umständen. Dies soll darauf zurückzuführen sein, dass das Innenministerium in diesem Bereich die Verhandlungen mit der EU führt.
Kritik von vielen Seiten
Das Bündnis „Chatkontrolle Stoppen!“, welches ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen darstellt und von der Digitalen Gesellschaft, dem Chaos Computer Club und dem Verein Digitalcourage koordiniert wird, zeigte sich in einer ersten Stellungnahme zum Positionspapier enttäuscht. Ihrer Meinung nach muss die nun getroffene Übereinkunft als ein klarer Bruch des Koalitionsvertrages gewertet werden, zumindest sofern die Bundesregierung die Chatkontrolle durch Nichthandeln mittragen würde: „Die Bundesregierung hat eine Verantwortung dafür unsere Grundrechte aktiv zu schützen und muss dieser Verantwortung auch in der EU gerecht werden“, so das Bündnis, welches die Abgeordneten dazu aufruft „das Heft des Handelns in die Hand nehmen“, da die „Bundesregierung es aus eigener Kraft offensichtlich nicht schafft den Koalitionsvertrag umzusetzen“.
Ähnlich kritisch äußert sich Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). Ihrer Aussage nach scheint der Regierung das Thema der allgemeinen Überwachungspflichten auf EU-Ebenen egal zu sein, „FDP und Grüne tragen den von Nancy Faeser angestifteten Bruch des Koalitionsvertrag wohlweislich mit“.
Bereits Ende Februar hatten sich der CCC sowie der leitende Oberstaatsanwalt der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW, Markus Hartmann, und auch der Kinderschutzbund erneut gegen die geplante Überwachung ausgesprochen.