Veto angekündigt: Wissing verlangt bei Chat-Kontrolle Korrekturen

Michael Schäfer
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Veto angekündigt: Wissing verlangt bei Chat-Kontrolle Korrekturen
Bild: Alexandra_Koch | gemeinfrei

Der Widerstand innerhalb der Koalition gegen die Chat-Kontrollen wächst. Jetzt hat Volker Wissing (FDP) sein Veto angekündigt, sollte es keine Änderungen seitens der Regierung geben. Interne Protokolle machen zudem die unterschiedlichen Standpunkte bei den Verhandlungen innerhalb der EU-Länder deutlich.

Weitreichende Folgen

So erfährt der Plan von EU-Kommissarin Ylva Johansson, eine EU-weite Verordnung zur Online-Überwachung mit dem Grund des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch auch gegen die teils vernichtende Kritik von Experten einzuführen, einen weiteren Rückschlag. Gegenüber heise online machte Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, nun deutlich, dass es mit ihm ohne weitreichende Änderungen an der Position der Bundesregierung keine Zustimmung zu der geplanten Initiative geben wird. „Der Schutz der Privatsphäre und der privaten Kommunikation ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren unserer Demokratie, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen“ gibt der FDP-Politiker an. Für ihn ist der Kampf gegen sexuellen Missbrauch etwas, der mit aller Konsequenz geführt werden muss, „aber nicht zu dem Preis, freie Kommunikation einzuschränken “, untermauert Wissing seinen Standpunkt. Daher werde es mit ihm keine Chat-Kontrolle geben.

Die Stellungnahme der Ampel-Regierung deutet er zudem anders: „Die Bundesregierung hat auf europäischer Ebene ein klares Signal gesetzt, dass Deutschland dem Verordnungsvorschlag nicht zustimmen wird, wenn nicht grundlegende Änderungen erfolgen“. Das gelte für ihn auch dann, wenn es sich um die Überwachung von unverschlüsselter Kommunikation handelt.

Damit bezieht sich Wissing auf das Umgehen von Schutzmaßnahmen, in dem die jeweiligen Inhalte direkt auf den Geräten der Nutzer, also noch vor der Verschlüsselung, gescannt werden. Kritiker monierten hierbei bereits zu Anfang der im Laufe der Zeit immer hitziger werdenden Diskussion, dass damit Verschlüsselungen quasi ad absurdum geführt werden. Darüber hinaus würden durch solche Maßnahmen weitere Lücken auf den jeweils genutzten Geräten entstehen, welche Angreifer wiederum ausnutzen könnten. Die Zulässigkeit sowie der zu erwartende Umfang von Maßnahmen auf Server-Seite in unverschlüsselten Telekommunikations- sowie Speicherdiensten werde derzeit noch geprüft.

Faeser unter Druck

Das jetzt angekündigte Veto des FDP-Politikers würde bedeuten, dass die bisher nicht verstummende Kritik an dem Vorhaben dafür sorgt, dass sich Innenministerin Nancy Faeser nun doch nicht so einfach mit ihren Forderungen durchsetzen werden kann. Nachdem Kritiker gemutmaßt hatten, dass die SPD-Politikerin innerhalb der Ampel-Koalition ihre Forderungen durchgedrückt habe, wird die FDP nicht müde zu betonen, dass sie eine anlasslose Überwachung von jeher ablehnen. Wichtig für Wissing sei aber, dass die Bundesregierung „ein geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern und Institutionen sicherstellen“ muss – alleine schon in Bezug auf die Koalitionsvereinbarung.

Umsetzung alles andere als sicher

Ob die geplante Initiative in der jetzt diskutierten Form kommen wird, ist derzeit alles andere als sicher. So sind die Fronten zwischen dem EU-Rat und dem EU-Parlament nach wie vor verhärtet: Der EU-Rat will lediglich bei den nummerngebundenen Diensten eine Ausnahme machen, das EU-Parlament will weitreichendere Änderungen durchsetzen. Aber auch wenn der EU-Rat das Vorhaben vorantreiben will, wächst auch hier der Widerstand. So hat sich Österreich bereits zu Anfang klar gegen entsprechende Kontrollen ausgesprochen, genauso hat sich gestern der irische Rechtsausschuss ebenfalls ablehnend zu diesen geäußert. Belgien, Griechenland, Frankreich sowie die Niederlande haben dagegen bisher noch keine klare Position bezogen, womit ein Erfolg noch nicht gegeben ist. Der Beschluss kann unter anderem alleine dadurch verhindert werden, wenn sich mindestens vier EU-Staaten, welche zusammen mehr als 35 Prozent der Bevölkerung in der Europäischen Union stellen, gegen diesen aussprechen – Enthaltungen würden dabei als Nein-Stimmen gewertet.

Protokoll zeigt deutliche Uneinigkeit

Wie verfahren die aktuelle Situation ist und wie um einen Kompromiss gerungen wird, zeigt auch ein internes Protokoll der Verhandlungen, welches nun Netzpolitik.org veröffentlicht hat und das von Ende März stammen soll.

Freiwillig oder Verpflichtend

In diesem geht es vorrangig um freiwillige Kontrollen von Inhalten, wie sie bereits von vielen großen Unternehmen wie Apple, Google und Meta durchgeführt werden. Das Vorgehen birgt jedoch ein rechtliches Problem: Die Datenschutzrichtlinien für elektronische Kommunikation in der EU geben an, das Internetdienste die Inhalte ihrer Nutzer nicht „mithören, abhören, speichern oder auf andere Arten abfangen oder überwachen“ dürfen. Um dafür einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, hat das Europäische Parlament sowie der Europäische Rat vor rund zwei Jahren eine vorübergehende Ausnahme erteilt. Einige EU-Länder wie Frankreich, Italien und Ungarn wollen nun die Möglichkeit zur freiwilligen Überprüfung entweder verlängern oder gänzlich erlauben. Deutschland prüfe dem Bericht nach derzeit noch, sieht eine dauerhafte Rechtsgrundlage aber als zwingend an.

Entweder oder ...

Die EU-Kommission widerspricht dagegen dem Vorhaben und begründet dies mit rechtlichen Bedenken, parallele freiwillige und verpflichtende Maßnahmen wären für diese undenkbar. In diesem „grundrechtssensiblen Bereich könnten Maßnahmen gerade nicht der Freiwilligkeit von Unternehmen überlassen bleiben“ so die Kommission. Das Mitlesen entsprechender Nachrichten verstoße ihrer Meinung nach nicht nur gegen die ePrivacy-Richtlinie sowie die geplante ePrivacy-Verordnung, sondern greife auch in die Grundrechte ein. Bereits jetzt beurteilt mit Ninon Colneric eine ehemalige Richterin des Europäischen Gerichtshofs (PDF) sowie der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) (PDF) die Chatkontrolle als rechtswidrig, der Europaabgeordnete Patrick Breyer hat im Mai des letzten Jahres sogar eine Klage gegen das freiwillige Scannen eingereicht.

Widerspruch kommt auch aus anderen EU-Ländern. So hält Tschechien eine freiwillige Chatkontrolle für nicht notwendig und macht dabei auf die Diskrepanz aufmerksam: „Freiwillige Maßnahmen fänden dann statt, wenn ein Risiko ermittelt worden sei. Liege ein solches Risiko vor, sei es erforderlich, Anbieter zur Aufdeckung zu verpflichten“.

Zum Problem könnten aber auch einfache Begrifflichkeiten werden, auf die der juristische Dienst des EU-Rates aufmerksam machte: So werden in der EU laut Gesetz Kinder als Personen unter 18 Jahren definiert, die sexuelle Mündigkeit falle aber innerhalb der Europäischen Union unterschiedlich aus: In Deutschland und Österreich liegt dieses bei 14 Jahren, in Spanien dagegen bei 16 Jahren und in Irland beträgt das Mindestalter sogar 17 Jahre. Dieser Umstand ist unter anderem für die Erkennung von Grooming, also der Kontaktaufnahme zu Kindern für sexuelle Zwecke, erheblich.

Somit zeigt sich deutlich, dass die einzelnen Organe innerhalb der EU noch weit von einer Einigung entfernt sind. Auch ein komplettes Scheitern der Initiative gilt unter Experten als nicht ausgeschlossen.