Rechtsgutachten: Chat-Kontrolle endet spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof
Vor allem die EU-Kommission und der EU-Rat wollen derzeit noch die Chat-Kontrolle umsetzen – sämtlicher Bedenken und Kritik zum Trotz. Allerdings kommt auch der juristische Dienst des EU-Rats (CLS) zum Schluss, dass die Regeln gegen EU-Grundrechte verstoßen und vermutlich keine Chance vor dem Europäischen Gerichtshof haben.
Das geht aus einem Gutachten vom 26. April hervor, das heute publik wurde. Verfügbar ist es unter anderem bei Netzpolitik.org.
Prognose: EuGH kassiert das Vorhaben
Inhaltlich entspricht das Gutachten der bekannten Kritik, die Chat-Kontrolle als grundrechtswidrig und fehlgeleitet einstuft. Bemerkenswert ist, dass diese aus dem Umfeld des EU-Rats kommt – also einer Institution, die die Verordnung zum Schutz vor Kindern ohne Korrekturen durchsetzen möchte.
Deutlich kritisieren die Juristen des EU-Rats die Aufdeckungsanordnung in der aktuellen Form. Das ursprüngliche Ziel der EU-Kommission ist: Automatisiert sollen Darstellung mit Kindesmissbrauch auf Geräten der Nutzer entdeckt werden, indem Dienste verpflichtet werden, die Inhalte vor der Verschlüsselung zu durchsuchen. Das erfolgt mittels Client-Side-Scanning – also der sogenannten Chat-Kontrolle.
So wie die Regelung derzeit gestaltet ist, verstößt diese aber gegen die EU-Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz, heißt es in dem Gutachten. Besonders problematisch ist demnach, dass die Vorgaben viel zu allgemein gehalten sind. Sämtliche Inhalte der betroffenen Dienste würden anlasslos überwacht werden, ohne dass ein konkreter Verdacht bestehen müsse. Und so eine allgemeine und anlasslose Überwachung ist laut den EuGH-Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung möglich, wenn die nationale Sicherheit bedroht ist.
Zudem lasse sich das Client-Side-Scanning grundsätzlich nicht nur auf wenige Anbieter beschränken. Umfasst die Aufdeckungsanordnung – also die Rechtsgrundlage für Scannen der Geräte – nur bestimmte Dienste, könnten Täter auf alternative Angebote ausweichen. Eine wirksame Regelung müsste daher, so der CSL, ausgedehnt werden, was „de facto zu einer dauerhaften Überwachung sämtlicher zwischenmenschlicher Kommunikation führen würde“.
So gehen die Gutachter davon aus, dass die Verordnung in dieser Form nicht vor dem EuGH besteht. Bei der Vorratsdatenspeicherung reichte bereits das anlasslose Sammeln von Verkehrs- und Standortdaten aus, in diesem Fall geht es aber sogar um die Kommunikationsinhalte.
Bis dato kein Wille zur Korrektur
Somit teilt auch das Rechtsgutachten des EU-Rats die bisherigen Einschätzungen. Sowohl der wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments, des Bundestags und die EU-Datenschutzbehörden kamen im Kern zu denselben Ergebnissen, so Netzpolitik.org.
Die EU-Kommission will derweil am bestehenden Kurs festhalten. „Die Kommission beabsichtigt nicht, den Vorschlag zurückzuziehen oder zu ändern“, antwortet die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson auf eine Anfrage aus dem EU-Parlament. Der EU-Rat – in dem die Mitgliedsstaaten der EU vertreten sind – hat sich derweil noch nicht auf eine einheitliche Position festgelegt.
Wie Heise Online berichtet, will die schwedische Ratspräsidentschaft die Chat-Kontrollen-Regeln in der EU-Verordnung nicht anpassen. Es bestehe kein Korrekturbedarf. Unterstützt wird man dabei von zehn weiteren EU-Staaten. Deutschland unterstützt den Vorschlag tendenziell, bleibt in manchen Bereichen aber noch vage – dazu zählt auch das Client-Side-Scanning. Digitalminister Volker Wissing verlangt bereits Korrekturen, andernfalls kündigte er ein Veto an.
Das EU-Parlament steht der Verordnung generell skeptischer als die anderen EU-Institutionen gegenüber. Auf eine finale Position haben sich die Abgeordneten aber noch nicht verständigt. Diese ist aber die Grundlage, damit am Ende die EU-Kommission, der EU-Rat und das EU-Parlament im Parlament zustimmen.