Rechtsextreme Inhalte: Weitere Werbekunden ziehen sich von X zurück
Die CEO des ehemals als Twitter bekannten Kurznachrichtendienst X Linda Yaccarino hat ein Problem: Erneut haben dringend benötigte Werbekunden ihre Kampagnen auf X zurückgezogen. Als Grund nennen diese, dass ihre Anzeigen auch auf Kanälen mit rechtsextremen Inhalten gezeigt werden.
In einem Interview mit CNBC hatte Yaccarino noch erklärt, das X Werbepartner vor dem Risiko schützen würde, das ihre Anzeigen in der Nähe von toxischen Inhalten angezeigt werden. Ebenso gab die Managerin an, dass nach objektiven Maßstäben X mittlerweile eine viel gesündere und sicherere Plattform wäre, als es noch vor einem Jahr der Fall war.
Werbung neben rechtsextremen Inhalten
Dass dem nicht so ist, darüber berichtet unter anderem die Nichtregierungsorganisationen „Media Matters for America“. Ihrem Bericht zufolge hat die NGO Vorfälle dokumentiert, bei der Anzeigen von mehreren Unternehmen, darunter Marken wie Adobe, Amazon, Sports Illustrated, Gilead Sciences, USA Today, Samsung, The Internet and Television Association (NCTA), New York University Langone Hospital und Office Depot, neben Nachrichten mit antisemitischen Inhalten genauso zu finden waren wie neben Verherrlichungen von Adolf Hitler und der NSDAP oder Leugnungen des Holocaust. Darunter befand sich auch der Account der „New American Union“, die Media Matters for America nach Pro-faschistische Inhalte verbreiten soll. Das Konto ist seit diesem Jahr verifiziert und soll bereits tausende von Mitgliedern besitzen – womit die Betreiber mindestens zwei der Kriterien für das Umsatzbeteiligungsprogramm von X erfüllen.
Dabei sollen X die Art der Inhalte, die über den Account verbreitet werden, bekannt sein: So schrieben die Verantwortlichen am 1. Juni 2023, dass das Konto gesperrt und wieder freigegeben wurde. Am 24. Juni 2023 wurde die Möglichkeit Beiträge zu veröffentlichen, mit der Begründung wegen Verstöße gegen die Regeln gegen gewalttätige Äußerungen vorübergehend eingeschränkt. Die Account-Betreiber erklärten am 13. Juli zudem, dass sie sich „mit einer Massenmeldesituation“ auf ihrem Konto konfrontiert sehen. Trotzdem wurde weiterhin Werbung auf dem Kanal geschaltet.
Vorgänge durch CNN bestätigt
Auch das Nachrichtenportal CNN konnte die Werbeeinblendungen bestätigen. Dabei wurden die Anzeigen neben Inhalten geschaltet, die laut CNN „hundertausende“ Aufrufe generiert haben sollen. Viele Unternehmen zeigten sich in einer Anfrage des Senders über die Platzierungen auf den Seiten überrascht.
So gaben Sprecher der NCTA und des Pharmaunternehmens Gilead Sciences an, ihre Werbekampagnen auf X sofort eingestellt zu haben, nachdem CNN ihre Anzeigen auf dem Account der New American Union markiert hätte. „Wir nehmen die verantwortungsvolle Platzierung von NCTA-Anzeigen sehr ernst und sind darüber besorgt, dass unser Beitrag über die Zukunft der Breitbandtechnologie neben diesem höchst beunruhigenden Inhalten erscheinen“, erklärte NCTA-Sprecher Brian Dietz und fügte hinzu, dass sich die Organisation für die Markensicherheitsmaßnahmen von X entschieden habe, einschließlich der Beschränkung von Schlüsselwörtern und der Begrenzung der Anzeigenplatzierung auf den Home-Feed der Zielgruppen. „Die Markensicherheit hat für NCTA weiterhin oberste Priorität, was bedeutet, dass wir die Werbung auf Twitter/X für die absehbare Zukunft aussetzen und die organische Präsenz von NCTA auf der Plattform stark einschränken“, so Dietz weiter. Ein Sprecher von Gilead gab an, dass das Unternehmen seine Kampagnen pausieren würde, während X die Angelegenheit untersucht.
Ähnlich äußerte sich ein Sprecher der NYU Langone, dass das Krankenhaus „davon völlig überrascht war und äußerst besorgt darüber ist, dass unsere Werbung und unsere Marke neben offensichtlich anstößigen Inhalten erscheinen, die Hass fördern“, und fügte hinzu, dass es von seinen Werbepartnern erwartet, dass sie „verantwortungsvoll handeln“.
Skurriler erging es dem Football-Team der University of Maryland: Jason Yellin, stellvertretender Sportdirektor, zeigte sich verwundert und besorgt zugleich über die Platzierung des Teams neben den beanstandeten Inhalten. Seiner Aussage nach hat die Universität seit 2021 kein Geld für Werbung auf X ausgegeben, was für ihn bedeutet, dass X den Beitrag gefördert haben könnte.
Konto erneut gesperrt
Bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Recherchen durch Media Matters for America hat X das Konto der New American Union erneut gesperrt. Die Suspendierung erfolgte laut der NGO jedoch deutlich zu spät. In der Zwischenzeit war es den Betreibern möglich, wiederholt antisemitische Inhalte zu veröffentlichen, wofür es über die Werbung zudem monetarisiert wurde. X führte daraufhin eine Untersuchung des Profils mit dem Ergebnis durch, dass die Werbeeinblendungen auf der Seite nach Aussagen des Unternehmens minimal waren. Ob das Konto nun dauerhaft gesperrt bleiben wird, ist nach den Vorkommnissen fraglich.
Kein guter Zeitpunkt
Der Vorfall kommt für das soziale Netzwerk zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Bereits in der jüngsten Vergangenheit haben nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk viele Werbepartner ihre Aktivitäten auf dem Nachrichtendienst heruntergefahren oder ganz eingestellt, worauf hin Twitter mit massiven Umsatzeinbußen von rund 50 Prozent zu kämpfen hatte. Auch Massenentlassungen konnten an dem Zustand nichts ändern. Diese führten eher zu großen technischen Problemen, da Personal für die Wartung von X fehlte.
Maßnahmen anscheinend nicht effektiv genug
In der letzten Woche hatte X zudem bekannt gegeben, dass es zusätzliche Markensicherheitskontrollen für Werbetreibende eingeführt hat, die Werbetreibenden die Möglichkeit bieten, ihre Anzeigen nicht mehr neben „gezielter Hassrede, sexuellen Inhalten, grundlosem Horror, übermäßiger Profanität, Obszönität, Spam und Drogen“ anzeigen zu lassen. Dabei sollen die menschlichen Inhaltsprüfer, die auf gegen die Regeln verstoßende Inhalte achten, von einer automatisierten Software, die bestimmt, wo und wie Anzeigen auf der Plattform geschaltet werden, unterstützt werden. „Ihre Anzeigen werden nur in der Nähe von Inhalten geschaltet, die für Sie geeignet sind“, gab Yaccarino noch letzte Woche an. Die jetzigen Enthüllungen deuten aber darauf hin, dass die Vorkehrungen seitens X nicht allzu verlässlich sind – von der angegebenen Wirksamkeitsrate von mehr als 99 Prozent, wie sie X erst noch vor Kurzem versprach, ist der Dienst allem Anschein nach weit entfernt. Dieser Umstand könnte dazu führen, dass noch mehr Unternehmen ihre Werbekampagnen auf dem Netzwerk überdenken könnten – vor allem, weil nicht bekannt ist, wie viele solcher Kanäle wie dem der New American Union es noch auf X gibt.