Manipulationsvorwürfe: EU will den Streaming-Markt regulieren

Michael Schäfer
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Manipulationsvorwürfe: EU will den Streaming-Markt regulieren
Bild: igorovsyannykov | gemeinfrei

Die EU soll den Streaming-Markt in Europa stärker regulieren. Darauf verständigten sich die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes in einer gestrigen Sitzung. Damit soll vor allem den in letzter Zeit immer wieder erhobenen Manipulationsvorwürfen entgegengetreten und die Vielfalt gewahrt werden.

Mit einem Abstimmungsverhalten von 23 Ja- zu 3 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung hat sich der Kulturausschuss des EU-Parlaments am Dienstag für weitreichende Regelungen im Bereich des Musik-Streamings ausgesprochen. Dabei forderten die Abgeordneten unter anderem einen gerechteren Umgang sowohl mit den Künstlern wie auch mit den Konsumenten. Darüber hinaus sollen die seit Jahrzehnten geltenden und damit noch vor der Digitalisierung eingeführten Vergütungsstandards einer dringenden Überarbeitung bedürfen.

Dominanz nimmt zu, Wert der Musik aber ab

Die Parlamentarier kritisierten in der Sitzung zudem, dass der Streaming-Sektor in den vergangenen acht Jahren zwar ein großes Wachstum verzeichnete und mittlerweile den Musikmarkt dominiert, es aber nach wie vor an Regulierungen fehle. Während die Verfügbarkeit von Musik durch das Angebot verschiedener Anbieter massiv zugenommen habe und illegale Inhalte kaum noch eine Rolle spielen würden, werde die Situation durch den Rückgang des Gesamtwertes von Musikproduktionen verschärft, so das Gremium. Nach wie vor würden die wenigen großen Musikverlage und populären Künstler den Großteil der Einnahmen unter sich aufteilen, kleinere und unbekanntere Künstler würden trotz entsprechender Appelle kaum berücksichtigt.

Manipulation für mehr Sichtbarkeit

Ebenfalls Teil der Kritik waren verschiedene Manipulationsvorwürfe. So zeigt sich der Ausschuss zunehmend über die Vielzahl von Inhalten besorgt, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz generiert werden. Aber auch gekaufte und durch Bots ausgeführte Abspielvorgänge sind den Abgeordneten ein Dorn im Auge. So sorgen bestimmte Dienste auf Wunsch und gegen Bezahlung für höhere, aber nicht von realen Hörern generierte Streaming-Zahlen und damit für mehr Sichtbarkeit und Reichweite.

Das Problem ist dabei nicht neu: Schon im August 2020 erwirkte der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) vor den Landgerichten Bremen, Hamburg, Köln und Darmstadt eine einstweilige Verfügung gegen die Dienste socialnow.de, sozialgeiz.de, likergeiz.de, netlikes.de und likesandmore.de, wie Heise seinerzeit berichtete.

Aber auch Payola-Systeme treten zunehmend in den Vordergrund. Dabei handelt es sich im Grunde um eine moderne Form der früher bekannten DJ-Bestechung: Gegen Bezahlung werden die gewünschten Titel prominent in Playlisten platziert und erhalten so ebenfalls mehr Reichweite und höhere Bekanntheit. Die Titel, bei denen sich die Künstler entsprechende Dienste nicht leisten können, geraten dadurch in den Hintergrund.

Selbst erschaffenes Paradoxon

Der für die Vorlage federführende Europaabgeordnete Ibán García Del Blanco weist darauf hin, dass die Erfolgsgeschichte der Musik-Streaming-Dienste mit ihren eigenen Paradoxien verbunden ist: „Die Mehrheit der Urheber und ausübenden Künstler, selbst diejenigen mit Hunderttausenden von Vervielfältigungen pro Jahr, erhalten keine Vergütung, die es ihnen ermöglicht, einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten“. Es sei daher von größter Wichtigkeit, „die Rolle der Urheber im Musiksektor anzuerkennen, das Modell zur Verteilung der Einnahmen, das die Streaming-Dienste verwenden, zu überprüfen und verhältnismäßige und effiziente Lösungen zu finden, um die kulturelle Vielfalt zu fördern“, so Del Blanco.

Maßnahmenkatalog vorgelegt

Mit der nun erfolgten Abstimmung wollen die Parlamentarier die EU-Kommission dazu bewegen, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der den genannten Mechanismen entgegenwirkt. Dazu sollen die bekannten Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer, Napster, Apple oder Amazon Music dazu verpflichtet werden, ihre Algorithmen und Empfehlungswerkzeuge, mit denen entsprechende Abspiellisten generiert werden, offenzulegen. Zudem sollen die Rechteinhaber durch korrekte Metadaten jederzeit identifizierbar gemacht werden, was wiederum Betrug verhindern soll. Inhalte, die ausschließlich von einer künstlichen Intelligenz erzeugt wurden, müssten ebenfalls gekennzeichnet werden.

Verbunden werden die Forderungen mit dem Appell, mehr in die europäische Musiklandschaft und Nischen-Genres zu investieren, um ein vielfältigeres Angebot zu erreichen. Darüber hinaus sollen Urheber bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsmodelle unterstützt werden.