Pegasus-Überwachung: EU-Parlament kritisiert Untersuchungsausschuss

Michael Schäfer
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Pegasus-Überwachung: EU-Parlament kritisiert Untersuchungsausschuss
Bild: schnellzeichnerin | gemeinfrei

Auch fast zwei Jahre nach dem Bekanntwerden erster Berichte über die Überwachung von oppositionellen Politikern und Journalisten in verschiedenen europäischen Ländern kommt seitens der EU-Kommission keine Bewegung in die Sache. Nun hat das EU-Parlament die schleppende Aufarbeitung offiziell kritisiert.

Mit 425 Ja- zu 108 Nein-Stimmen bei 23 Enthaltungen hat das Europäische Parlament am Donnerstag einen Beschluss zu den nach wie vor ausstehenden Folgemaßnahmen zu den Vorschlägen des Parlaments im Anschluss an seine Untersuchung über den Einsatz von Pegasus und vergleichbarer Überwachungs- und Spionagesoftware angenommen. In dem Antrag wird zugleich der mangelnde Wille der Kommission bei der Aufarbeitung der illegalen Überwachung und das fehlende Eingehen auf die Fragen des Untersuchungsausschusses scharf kritisiert. Auch nach der langen Zeit habe die Kommission noch immer keine konkreten Schritte unterbreitet, wie künftig der Missbrauch von Staatstrojanern in der EU eingedämmt und verhindert werden könnte, so die Abgeordneten in dem Beschluss laut eines Berichts von Netzpolitik.org.

Pegasus in Europa keine Seltenheit

Dabei dürfte die Liste der Länder, in denen die genannte Software zum Einsatz kommt, als durchaus beunruhigend angesehen werden. So wurde vor rund zwei Jahren bekannt, dass die vom israelischen Unternehmen NSO hergestellte und eigenen Angaben nach nur an staatliche Behörden vertriebene Software Pegasus unter anderem in Polen zur Überwachung eines Rechtsanwalts der damaligen größten Oppositionspartei sowie einer Staatsanwältin genutzt wurde. Innerhalb von vier Monaten soll das Smartphone von Roman Giertych 2019 19 mal infiltriert worden sein, die meisten Versuche sollen aus der Zeit vor den Parlamentswahlen im gleichen Jahr stammen. Doch Polen ist in dieser Hinsicht nicht alleine: Mit Griechenland, Ungarn, Spanien und Zypern stehen weitere EU-Länder im Fokus des Spionageskandals und auch Deutschland soll Medienberichten zufolge auf die Fähigkeiten des Überwachungswerkzeuges setzen. Wie schwer es für die Opfer ist, gegen die Überwachung vorzugehen, zeigt das Beispiel der Staatsanwältin Ewa Wrzosek, die im Anschluss der Aufdeckung zwar eine offizielle Beschwerde einreichte, aber keine wirkliche Reaktion erwartete, da sie davon ausgeht, dass „dieselben Dienste, die versucht haben, in mein Telefon einzubrechen, nun das Verfahren durchführen und nach den Tätern suchen werden“.

Die Abgeordneten der in Polen noch regierenden PiS-Partei sahen die Vorwürfe im Parlament erwartungsgemäß anders und warfen den Quellen für die Anschuldigungen „fragwürdige Reputationen und politische Verbindungen“ vor. Dabei viel auch der Name Edward Snowden. Weiter wurde argumentiert, dass die entsprechenden Spionagewerkzeuge nur schwer zu identifizieren seien und daher sämtliche daraus gezogenen Schlüsse rein spekulativer Natur wären. Diese Aussage steht jedoch diametral zu denen der jeweiligen Sicherheitsexperten, welche die befallenen Geräte untersucht und entsprechende Software darauf gefunden haben wollen.

Keine Unterstützung der Behörden

Die Aufarbeitung der Vorfälle gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil sich die israelischen Behörden, die die Aufsicht über den Pegasus-Hersteller NSO Group besitzen, weigerten, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Aus diesem Grund wurden unter anderem Ermittlungen seitens Spanien gegen Marokko wegen des Verdachtes, den Premierminister sowie weitere Minister mit der Spyware angegriffen zu haben, eingestellt.

Schwere Anschuldigungen und vernachlässigte Pflichten

Als Folge der Aufdeckungen des seinerzeit als „europäisches Watergate“ bezeichneten Skandals hatte das EU-Parlament einen Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Vorwürfe eingesetzt und der innerhalb eines Jahres zwei Dokumente erarbeitete: Zum einen flossen in einem Abschlussbericht die Erkenntnisse ein, die in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Gespräche mit Betroffenen, Experten und teils auch Regierungsmitgliedern zusammengetragenen wurden. Ein weiteres Dokument enthielt zahlreiche Anregungen an die EU-Kommission, wie mit den Erkenntnissen umzugehen sei. Beide Dokumente wurden damals mit großer Mehrheit vom EU-Parlament angenommen, waren aber nicht bindend. Die erarbeiteten Vorschläge waren für das Parlament auch deshalb so wichtig, weil es selbst keine Gesetze vorschlagen kann und mit den Dokumenten die Kommission dazu aufgefordert wurde. Auf eine entsprechende Reaktion warten die Verfasser jedoch bis heute.

Das Europäische Parlament kommt in seinen Ausarbeitungen zu dem Schluss, dass die Kommission dabei vor allem die ihr auferlegten Pflichten vernachlässigt. So hätte diese spätestens nach drei Monaten auf die Anfragen der Parlamentarier reagieren müssen. Diese blieb aber selbst nach mehr als acht Monaten seit der Einreichung aus. Hinzu kommt, dass in der Zwischenzeit immer wieder Fälle von staatlicher Überwachung bekannt geworden sind, ohne dass nationale Behörden oder die Kommission in irgendeiner Form darauf reagiert hätten.

Justizkommissar unter Druck

Aus diesem Grund befragten die Mitglieder des Parlaments gestern Abend Justizkommissar Didier Reynders und verlangten eine Erklärung, warum die Kommission bisher keine Reaktion zu den Vorfällen gezeigt hat. Reynders indes verwies auf ein Schreiben, welches die Kommission dem Parlament hatte zukommen lassen. Dieses Schreiben fasste jedoch lediglich die bekannten Fakten noch einmal zusammen – Antworten auf die Frage, wie der Situation generell zu begegnen ist und wie solche Überwachungen in Zukunft verhindert werden können, blieben die Adressaten jedoch schuldig. Reynders führte lediglich den European Media Freedom Act und den Cyber Resilience Act an, welche den Schutz für Medienschaffenden sowie den Schutz vor entsprechenden Angriffen erhöhen sollen, im generellen aber recht vage bleiben. Da von den beschuldigten Staaten immer wieder vor allem das Argument der nationalen Sicherheit als Rechtfertigung für ihr Handeln angeführt wurde, arbeite die Kommission laut Reynders an einer nicht-legislativen Initiative, welche das Verhältnis zwischen EU-Datenschutzgesetzen und nationaler Sicherheit verdeutlichen soll. Tatsächliche rechtliche Konsequenzen für die aufgeführten Länder waren jedoch nicht Teil seiner Ausführungen.

Deutliche Reaktionen

Die Erklärung von Reynders löste bei den Parlamentariern massiven Unmut aus, einige zeigten sich „stinksauer“ – wie die Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann. Für sie sei es völlig inakzeptabel, dass die Kommission die Empfehlungen einfach ignoriere. Der ehemalige Vorsitzende des Pegasus-Ausschusses Jeroen Lenaers beklagte im Plenum, es sei ziemlich traurig, „dass wir wieder einmal eine Plenardebatte und sogar einen Plenarbeschluss brauchen, um irgendein Lebenszeichen von dieser Kommission zu bekommen“. Zugleich warf er der Kommission vor, dass das Parlament die Vorfälle ein Jahr lang aufgearbeitet habe, seitdem aber wieder mehrere Monate vergangen seien. „Was in aller Welt hat die Kommission in den letzten anderthalb Jahren gemacht?“, so der niederländische Konservative. Für ihn stellt das Verhalten der Kommission ein Schlag ins Gesicht für die Opfer von Staatstrojanern dar.

Der österreichische Sozialdemokrat Hannes Heide geht sogar einen Schritt weiter und fordert eine strukturelle Reform mit dem Ziel, dass künftig auch das Parlament selbst Gesetze vorschlagen könne.

Im Gespräch mit Netzpolitik.org forderte Sophie in ‘t Veld, die sich seit Jahren gegen Staatstrojaner einsetzt, die Kommission auf, allen Empfehlungen des Parlaments vom Juni diesen Jahres in vollem Umfang nachkommen. Sie sieht für die Weigerung der Kommission keine Rechtfertigung. Ebenso kritisiert sie das Signal, das die Kommission dadurch aussende: Der Missbrauch von Spähsoftware und auch die illegale Ausfuhr von Spähsoftware in Drittländer in der EU würden keine Konsequenzen nach sich ziehen.

Kein Ende in Sicht

Der weitere Verlauf der Auseinandersetzung ist derzeit noch nicht absehbar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Druck auf die Kommission weiter zunehmen wird, sodass es schwierig werden wird, so weiter zu machen wie bisher.

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