Axel Springers OpenAI-Deal: Wie generative KI den Journalismus verändert
OpenAI und der Axel-Springer-Verlag kündigen eine Partnerschaft an, die die erste ihrer Art ist. ChatGPT-Nutzer können künftig Nachrichten aus den Medien des Verlags wie Bild, Welt, Politico und Business Insider abrufen. Im Gegenzug erhält OpenAI Trainingsdaten. Was dieser Deal über den Journalismus in Zeiten von AI verrät.
Dass generative AI-Tools wie ChatGPT ganze Branchen umkrempeln und Jobs verändern, ist einer der vieldiskutierten Punkte im Jahr 2023. Die Frage ist nur, wie der Wandel ablaufen wird. Anschauungsmaterial liefert der Journalismus. Denn in der Branche sind die moderne Chatbots als Textgeneratoren und KI-Assistent besonders hilfreich, nur spielen auch die Schwierigkeiten eine überragende Rolle. Das gilt sowohl für technische Unzulänglichkeiten wie das Halluzinieren – also dem Erfinden von Fakten – als auch die ökonomische Abhängigkeit von Big Tech. Das ist ein Aspekt, der beim Abkommen zwischen OpenAI und dem Axel-Springer-Verlag deutlich wird.
Das Abkommen: Was bekannt ist
OpenAI und Axel Springer kooperieren künftig, das teilten die Unternehmen letzte Woche in einer knappen Ankündigung mit. Einer der Kernsätze ist: Der Deal soll ChatGPT um aktuelle und relevante Inhalte bei einer Vielzahl von Themen ergänzen, der Verlag soll dabei explizit an der Entwicklung der Produkte mitwirken. Nutzer können somit sowohl Zusammenfassungen von Nachrichten als auch längere Antworten nahezu in Echtzeit abrufen, die von Medien wie Politico, Business Insider, Welt und Bild stammen – auf diese wird dann jeweils in den Quellen verwiesen. Das gilt sogar für Paid Content, also Inhalte hinter der Bezahlschranke. In den Antworten wird direkt auf die Artikel verwiesen, die ChatGPT als Quelle nutzt. Im Gegenzug erhält OpenAI Zugang zu den Inhalten der Verlagsangebote. „Die Zusammenarbeit umfasst auch die Nutzung von Qualitätsinhalten der Medienmarken von Axel Springer, um OpenAIs komplexe Large-Language-Models zu trainieren“, heißt es in der Mitteilung.
Eckdaten und finanzielle Details wurden offiziell nicht mitgeteilt. Wie die Financial Times berichtet, soll Axel Springer aber jährlich eine achtstellige Summe erhalten – also mehr als 10 Millionen Euro. Darüber hinaus bietet das Abkommen weitere Anhaltspunkte für künftige Entwicklungen. Im Fall von OpenAI heißt das: Tagesaktuelle Informationen für Nutzer. Und im Fall von Axel Springer heißt das: ein Digitalkurs, die zwischen Weitsicht und AI-Influcener schwankt.
Aktuelle Nachrichten für ChatGPT
Von dieser Zusammenarbeit profitiert zunächst OpenAI, denn ChatGPT-Nutzer können künftig so auch aktuelle Ereignisse abrufen. Bei solchen Anfragen krankt der Chatbot bislang an der veralteten Datenbasis. Bis vor kurzem belief sie sich noch auf den September 2021, mit dem bei OpenAIs Entwicklerkonferenz angekündigten GPT-4-Update war es immerhin der April 2023. Abhilfe schafften lediglich Plugins wie Microsoft Bing-Search, die einen Zugang zu aktuellen Daten liefern.
Entscheidend wird nun sein, wie erfolgreich die Axel-Springer-Medien integriert werden. Relevant für die Qualität der Antworten ist:
- Der Stil: ChatGPT muss Nachrichten in einem Tonfall präsentieren, der Nutzern zusagt. Wilder Boulevard – wie teils bei Bild – ist es tendenziell eher nicht.
- Die Korrektheit: LLM tendieren zum Halluzinieren, liefern also irreführende bis falsche Antworten. Insbesondere im politischen Bereich mit dem Fokus auf Desinformation ist das ein rotes Tuch.
- Die politische Ausrichtung: Sollten ChatGPT bei politischen Nachrichten einen Bias erhalten – also zu einer politischen Richtung tendieren –, dürfte ebenfalls Ärger drohen.
Beim Stil entscheidet das Finetuning, was in der Praxis kein Problem darstellen sollte. Inwieweit man einen Bias vermeiden kann, bleibt abzuwarten. Ob und inwieweit die Antworten der generativen KI-Chatbots politisch eingefärbt sind, ist ohnehin ein strittiges Thema. Ähnliches gilt für das Halluzinieren. Wie Wired berichtet, kämpft Microsofts Copilot – der auf OpenAIs GPT-Modellen basiert – bei Fragen zu Wahlen in den Antworten mit falschen Inhalten. Diese umfassen Lügen, Fake-Skandale und Verschwörungsideologien.
Bei ChatGPT könnte jedoch die solide Datenbasis helfen, die der Chatbot künftig im Vergleich zum Copilot nutzen und direkt integrieren kann. Denn ein Pluspunkt bei dem Abkommen ist die Menge an Inhalten, auf die man so Zugriff erhält. Vor allem die amerikanischen Medien dürften für OpenAI von Interesse sein. Politico ist eines der Top-Portale für den politischen Bereich, Business Insider liefert Wirtschaftsinformationen. Wenn man bedenkt, dass OpenAI sich ursprünglich vor allem als Dienstleister für Unternehmen betrachtet hat, sind das lukrative Quellen. Und selbst Bild und Welt verfügen neben den Boulevard- und Kulturkampfabteilungen über Newsrooms, die handwerklich solide Inhalte erstellen. Ausreichend für die Zusammenfassungen, die ChatGPT laut der Ankündigung ausspielen soll – sofern die technische Umsetzung gelingt.
Nichtsdestotrotz bietet die Kooperation gerade in Deutschland Fallstricke. Der Ruf von Axel-Springer-Medien ist hierzulande in vielen Kreisen legendär schlecht, insbesondere die Bild steht praktisch dauerhaft in der Kritik für Boulevard und politische Kampagnen. Bei Rügen des Presserats liegt man auch 2023 wieder vorne. Wenig überraschend stöhnte man vielerorts auf, als der Deal bekannt wurde.
Wie man speziell in Deutschland über Axel Springer denkt, ist für OpenAI aber vermutlich letztlich zweitrangig. Im Fokus dürfte ohnehin der amerikanische Markt stehen. US-Medien wie Axios bewerten das Abkommen daher auch als Meilenstein. Denn der entscheidende Punkt ist: Wenn ChatGPT seinen Nutzern aktuelle Nachrichten adäquat präsentieren kann, ist es ein weiterer Schritt in Richtung eines Alltagsassistenten, der Funktionen einer Suchmaschine übernimmt. Die Idee ist auch naheliegend: ChatGPT ist in OpenAIs Wunschvorstellung ohnehin personalisiert, der Assistent soll also so oder so in etwa wissen, was die Vorlieben und Interessen des Anwenders sind. Dementsprechend könnte er dann auch gezielt die Informationen vom Tagesgeschehen präsentieren. Und selbst gängige Probleme wie das Halluzinieren – also die Eigenart von LLMs, Fehler zu produzieren – lassen sich mit solchen adäquaten Daten zumindest eindämmen.
Warum OpenAI und Axel Springer profitieren
Strategisch ist der Deal für OpenAI zudem interessant, weil man so hochwertige Trainingsdaten erhält – ein Bereich, der ohnehin immer umkämpfter ist. Der Hintergrund: Bis ChatGPT veröffentlicht wurde, war das Internet praktisch ein Selbstbedienungsladen für die KI-Firmen, die große Datenmengen ansammelten. Mit dem erfolgreichen Start änderte sich das aber, andere Unternehmen wurden sensibler und wollten nicht mehr frei Haus das Material liefern, mit dem KI-Firmen ein Milliardengeschäft aufbauen. So war eine der Konsequenzen, dass Plattformen wie Reddit und X (ehemals Twitter) die API-Schotten dicht machten. Wollen die KI-Entwickler nun an diese Datenbestände ran, müssen sie zahlen.
Dasselbe gilt für Verlagsangebote, die New York Times klagt. OpenAI ermöglicht es mittlerweile zwar, den Crawler via Robot.txt auszuschließen, viele Medien nutzen das. Weitere Copyright-Klagen könnten OpenAI und anderen KI-Firmen aber auch im Journalismus drohen. Daher lässt sich der Versuch, Partnerschaften einzugehen, auch als Abwehrmaßnahme interpretieren. Abkommen hat OpenAI etwa schon mit der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und der Stockfoto-Agentur Shutterstock, auch Apple plant ein Abkommen mit Presseverlagen, um an Trainingsdaten zu gelangen. Neu ist der Axel-Springer-Deal daher nicht, er hebt die Kooperation zwischen Verlagen und KI-Entwicklern allerdings nochmals auf eine neue Stufe.
Keine Fehler wiederholen
Axel Springer und allen voran der CEO Matthias Döpfner inszenieren sich ohnehin als digitale Vorreiter, selbst wenn seine Aussagen oftmals kaum Substanz haben, wie Branchenbeobachter regelmäßig anmerken. Der Verlag war aber als einer der ersten bei ChatGPT mit einem Bild-Plugin vertreten, intern soll CEO Matthias Döpfner die Redaktionen zum Einsatz von KI-Tools drängen, berichtet Axios. Im Oktober sprach er im CNN-Interview zudem von einem Fact-Checking-System, ohne es präziser zu beschreiben. Und man begründete auch schon Entlassungen mit der Aussage, die Stellen würden durch KI-Systeme ersetzt werden.
So überraschend die Ankündigung erfolgte, sie passt also zur Strategie von Axel Springer. Naheliegend ist zudem, dass man aus der Vergangenheit gelernt hat. Bei den Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen hatte man zunächst verpasst, finanzielle Abkommen mit Big Tech auszuhandeln. Das Resultat: Social Media ist eine relevante Anlaufstelle für Nachrichten, in den USA beziehen 2023 etwa die Hälfte der Bürger News über die Plattformen. Auf der anderen Seite stehen jedoch die Verlage, die im Endeffekt darauf angewiesen sind, dass Traffic fließt. Da die meisten Verlagsangebote in der Regel zumindest noch teilweise mit Werbung finanziert werden, ist die Anzahl der Leser, die auf die Seiten kommen, äußerst bedeutsam.
Der Haken: Man ist somit abhängig von den Algorithmen, die die Rankings in Suchmaschinen und Newsfeeds steuern. Als Facebook etwa 2017 infolge des Debakels um die Trump-Wahl entschied, weniger politische Inhalte auszuspielen, brach der Traffic bei Nachrichtenangeboten ein.
Finanziell hatten Verlage auch kaum einen Hebel. Am Ende lieferte man sich über mehr als zehn Jahre Grabenkämpfe um das Leistungsschutzrecht, das maßgeblich von Axel Springer vorangetrieben wurde, um ein Gebührenmodell zu etablieren. Bezahlt werden wollte man für die Anreißertexte, die in Suchmaschinen oder News-Feeds dargestellt werden. Es waren Bemühungen, die lange Zeit im Sand verlaufen sind, erst mit der EU-Urheberrechtsreform konnte man sich durchsetzen. Und selbst jetzt ist noch nicht abschließend klar, wie viel etwa Google an die Corint Media – die Verwertungsgesellschaft der Verlage – zahlen muss. Indem sich der Axel-Springer-Verlag nun frühzeitig als Partner positioniert, spart man sich voraussichtlich das politische Drama und ist der Konkurrenz voraus.
Generative AI-Suchmaschinen als Alptraum für Verlage
Wie lukrativ es für Axel Springer am Ende ist, die Inhalte für ChatGPT anzuliefern, lässt sich noch nicht abschätzen. Bestimmt wird das auch von der Frage, wie relevant die generativen KI-Tools generell im Alltag der Nutzer sein werden. Die Vorstellungen der Tech-Konzerne sind weitreichend. Ein Beispiel, um das Ausmaß der Ideen zu verdeutlichten: Microsoft-Chef Satya Nadella bezeichnet den KI-Assistenten Copilot als kommenden Startbutton, über diesen sollen Nutzer künftig die Apps steuern.
Umso besorgter reagieren die Verlage angesichts von Googles Plänen, die Suche um generative KI zu ergänzen. Die Rede ist von einem „Traffic zerstörendem Alptraum“, wie es in einem Bericht des Wall Street Journals heißt. Als Beispiel nennt man das Magazin The Altantic, das zwar eine über 160-jährige Geschichte hat, mittlerweile aber rund 40 Prozent der Klicks über Google erhält – Zahlen, die repräsentativ für die Branche sind, so das Wall Street Journal. Sollte eine generative KI in der Lage, künftig die meisten Anfragen mehr oder weniger adäquat zu beantworten, drohen nach bisherigen Schätzungen 20 bis 40 Prozent dieser Leser wegzufallen.
Eine neue Google-Suche „ist für unser Geschäft noch bedrohlicher als ein Crawler, der unsere Inhalte illegal durchforstet“, sagte daher bereits im Sommer ein namentlich nicht genannter Verleger zur Nachrichtenagentur Reuters. Ein anderer bezeichnete die AI-Tools als Black Box, zudem sei es unklar, inwieweit man finanziell beteiligt werde. Das Bild aus der Verlagsbranche, das Reuters in dem Bericht zeichnet, ist vor allem durch Ratlosigkeit geprägt.
Bei Google versucht man derweil, die Lage zu beruhigen. Ein Zeitplan für den Start der Search Generative Experience (SGE) – so der offizielle Projekttitel – existiere noch nicht, sagte Googles für die neue Suche zuständige Vizepräsidentin Liz Reid dem Wall Street Journal. Tiefer gehende Analysen wären ebenfalls noch nicht möglich. Jeder Versuch, die Auswirkungen auf den Traffic abzuschätzen, wäre rein spekulativ. Ohnehin würden noch viele Experimente mit der Benutzererfahrung und dem Design laufen, so Reid.
Generative AI als Werkzeug: Zwischen Assistent und Clickbait
Insofern ist der Versuch von Axel Springer in jedem Fall zeitgemäß. Das unterscheidet den Verlag von der Konkurrenz, die zwar auch generative KI-Systeme wie ChatGPT nutzt, doch wirkt es in vielen Fällen vor allem wie der Versuch, möglichst günstig möglichst viele Inhalte zu produzieren – sinnbildlich steht dafür der Express-Verlag, der AI-Artikel als Autorin veröffentlicht. Weitere Optionen sind, die Systeme für ergänzende Inhalte zu nutzen, bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sind es etwa Zusammenfassungen von Artikeln. Und man nutzt die Chatbots auf den eigenen Angeboten, Bloomberg entwickelte bereits im März ein hauseigenes BloombergGPT für Finanzthemen.
Das sind aber nur die offiziellen Ansätze. Dass Verlage entsprechende Inhalte nicht kennzeichnen, enthüllte unter anderem Futurism. Die Berichte betrafen das Tech-Portal CNET und zuletzt die Sports Illustrated, Microsofts MSN-Plattform war ebenfalls betroffen. Besonders pikant war in diesen Fällen noch, dass die Meldungen Fehler enthielten. Die KI-Modelle halluzinierten, niemand kontrollierte es. Kritik richtet sich aber ebenso an deutsche Angebote. Angesichts der Entlassung von drei Journalisten bei der Frankfurter Rundschau schrieb das Medienmagazin Übermedien zur Verlagsgruppe Ippen:
Das ‚digitale Medienhaus‘ Ippen mit seinen zahlreichen Regionaltiteln hat sich darauf spezialisiert, möglichst automatisiert und standardisiert viel journalismusähnlichen Content mit möglichst wenig Journalisten zu produzieren. Im Idealfall werden die Inhalte KI-generiert.
KI-Tools sind ideal für Portale, die rein auf Klicks ausgelegt sind, um sie dann mit Werbung zu finanzieren. Ein Pfenniggeschäft. Das Problem mit diesen Klickhöllen ist jedoch: Clickbait bleibt am Ende des Tages Clickbait, per AI generierte Inhalte verschärfen den bei entsprechenden Portalen bestehenden Druck aber nochmals. Hier könnte sich der ohnehin laufende Wandel in der Branche nochmals beschleunigen.
AI betrifft aber auch Portale, die hochwertige Inhalte erstellen. „KI verschärft eine ohnehin schon existenzbedrohende Situation für den Journalismus. Sie verspricht zwar neue Möglichkeiten, birgt aber auch erhebliche Gefahren für die Integrität der Informationen“, erklärt die Journalistin und Friedensnobelpreisträgern Maria Ressa. KI-Tools werden dennoch bald alltäglich sein wie Google-Suchen, sagt Christin Stöcker, Professor für Digitale Kommunikation und Spiegel-Kolumnist, dem Fachmagazin Journalist. Journalismusverbände und Organisationen arbeiten daher jetzt schon an Leitlinien für den Umgang. Eine davon ist die Paris-Charta, die unter der Leitung von Ressa im Auftrag von Reporter ohne Grenzen entwickelt wurde. Wesentliche Punkte: Am Ende sollen Menschen für Entscheidungen und Inhalte verantwortlich sein – und damit auch für die Fehler. Zudem besteht eine Transparenzpflicht, denn die Leser sollen wissen, wenn Inhalte mit AI-Systemen erstellt worden sind.
Anmerkung: Bei ComputerBase werden alle Inhalte per Hand erstellt. Selbstverständlich testet auch die Redaktion, wie sich generative KI-Tools nutzen lassen. Generative AI kommt bislang aber ausschließlich bei einem Tool zum Einsatz, das bei Bedarf Vorschläge für Überschriften einer Meldung erstellt. Diese werden jedoch nie 1-zu-1 übernommen, das Tool ist eher ein kreativer Assistent. Sollte ComputerBase KI-Inhalte in irgendeiner Form veröffentlichen, werden diese klar gekennzeichnet.
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