Halbleiterindustrie: Samsung soll Risiken in Forschung und Entwicklung scheuen
Einen Einblick in die Unternehmensführung von Samsung Electronics gibt ein aktueller Bericht von Nikkei Asia, wonach das Unternehmen Risiken in der Forschung scheue, um bloß keine Fehlschläge zu erfahren. Dieses Verhalten habe das Unternehmen jedoch ins Hintertreffen gegenüber Konkurrenten wie TSMC oder SK Hynix geraten lassen.
Der Bericht stützt sich primär auf die Aussagen eines Mitarbeiters aus der Forschung und Entwicklung von Samsung Electronics, aber auch Einblicke in die Führungsetage werden gegeben. Der einst von einer entschlossenen Führungsriege geleitete Konzern soll dem zitierten Mitarbeiter zufolge in der Forschung und Entwicklung Risiken scheuen und sich kaum mehr auf neues Terrain wagen, wenn es nicht zuvor einen vorausgehenden Präzedenzfall in dem Bereich gegeben habe, auf dem man weiter aufbauen kann.
Bloß keine Risiken eingehen
Der Mitarbeiter habe eigener Aussage zufolge Vorschläge für die Steigerung der Produktionsausbeute gemacht, dabei sei er aber auf taube Ohren bei den Vorgesetzten gestoßen. Dafür könne ohne einen Präzedenzfall keine Freigabe erteilt werden, soll es in der Absage geheißen haben. Doch genau deshalb, weil es eben ein Schritt in eine vollständig neue Richtung gewesen wäre, sei der Vorschlag überhaupt erst gemacht worden. Über die letzten Jahre sei es dem Mitarbeiter nicht länger möglich gewesen, der Arbeit so nachzugehen, wie er sie eigentlich machen wolle.
Kurzfristige Erfolge seien wichtiger
Samsungs hochrangige Führungskräfte sollen lediglich Verträge mit einer Laufzeit von einem Jahr erhalten. Werden in dieser Zeit keine Erfolge abgeliefert, wird der Vertrag nicht erneuert. Den Mitarbeitern werde durch das Management auferlegt, in kurzer Zeit Erfolge abzuliefern, weshalb sich die Ingenieure nicht längerfristigen Projekten in der Forschung und Entwicklung widmen können, die potenziell erst langfristig zu Erfolgen führen.
Ein Kollektiv von Eliten, für die Misserfolg keine Option ist, sei Samsung einem anderen Mitarbeiter zufolge, der zwischenzeitlich zu SK Hynix abgewandert ist. Bei SK Hynix würden Mitarbeiter hingegen ermutigt, neue Herausforderungen anzugehen. Samsung könne nicht mit Unternehmen wie SK Hynix konkurrieren, wenn es keine neue Ideen annehmen will.
Konkurrenzdruck in allen Sparten
Diese Einstellung habe dazu geführt, dass SK Hynix etwa bei High Bandwidth Memory (HBM) an Samsung vorbeiziehen konnte. Eigentlich dominiert Samsung den DRAM-Sektor seit rund 30 Jahren, nachdem 1992 Toshiba aus Japan überholt wurde. Jetzt aber sei das Unternehmen aufgrund seiner Einstellung ins Hintertreffen geraten, vor allem den AI-Boom und den Speicherbedarf für Beschleuniger habe man falsch eingeschätzt, sodass SK Hynix im dritten Quartal 2023 aufschließen konnte. Im vierten Quartal habe sich die Lage wieder verbessert, doch spüre Samsung den Konkurrenzdruck wie nie zuvor.
Neben der Speicherentwicklung sei das Unternehmen auch in der Halbleiterherstellung nicht dort angekommen, wo man sich 2019 noch beim selbst gesteckten Ziel bis 2030 gesehen habe: als Marktführer. TSMC sei Samsung in der Fertigung davongezogen, während durch Intel und die Neuaufstellung der Foundry-Sparte weiterer Druck drohe.
Auch das Thema Übernahmen und Zukäufe kocht bei Samsung auf kleiner Flamme. Zwar werden fast jedes Jahr immer wieder neue Gerüchte publiziert, zu namhaften oder großen Zukäufen kam es jedoch nie. Auch hier scheut Samsung somit das Risiko.
Kein Wille zur Veränderung
Unterdessen musste das Unternehmen auch bei Smartphones kurzzeitig die Spitzenposition an Apple abgeben, laut jüngsten Zahlen ist Samsung aktuell aber wieder die globale Nummer eins. Druck auf Samsung übe auch die chinesische Konkurrenz aus, etwa bei bei Heimelektronik und Displays, sodass dem Bericht zufolge alle vier großen Sparten des Konzerns auf dem absteigenden Ast seien. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Lee Kun-hee warnte 2010, dass Samsungs führende Produkte innerhalb von 10 Jahren vom Markt verschwinden könnten, wenn nichts passiere. Das größte Problem sei der fehlende Wille für Veränderungen innerhalb der Unternehmensstruktur mit den vier Hauptsparten, die Lee damals kultiviert hatte.