Polnische Ex-Regierung: Fast 600 Personen durch Pegasus ausgespäht
Die Überwachung von oppositionellen Politikern und Juristen sowie Mitgliedern aus den eigenen Reihen nimmt in Polen durch die Ausschussarbeit immer größere Ausmaße an und bringt die ehemalige PiS-Regierung weiter in Erklärungsnot.
So soll sich die Zahl der Personen, die zwischen 2017 und 2023 auf Anweisung von Vertretern der damaligen polnischen Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) mit der von NSO hergestellten Überwachungssoftware Pegasus ausgespäht worden sein sollen, auf nunmehr 578 erhöht haben. Dies geht aus einem Zwischenbericht hervor, den das polnische Justizministerium nun vorgelegt hat. Auch wenn das Dokument insgesamt sehr vage bleibt und den Trojaner nicht beim Namen nennt, erlaubt es doch einen tieferen Einblick in die Affäre.
Gesichtete Dokumente werden für PiS zum Problem
In einem Interview mit der Tageszeitung „Gazeta“ bezeichnete die Ausschussvorsitzende Magdalena Sroka einige der bisher eingesehenen Dokumente als „verheerend für die Vorgängerregierung“. Dabei bestätigte die Politikerin auch die Zahl von fast 600 durch Pegasus überwachten Personen. Angesichts der Tatsache, dass im untersuchten Zeitraum alleine beim Bezirksgericht Warschau über 50.000 Anfragen auf allgemeine Überwachungen jeglicher Art eingegangen sein sollen, überrasche sie die Anzahl ihrer Aussage nach nicht wirklich. Derzeit befindet sich der Ausschuss noch in der „Beschaffungsphase“, die im Mai abgeschlossen sein soll. Bis dahin sollen noch zahlreiche mutmaßlich beteiligte Politiker sowie Opfer vor den Ausschuss geladen werden.
Fest steht, dass die Anzahl der durch verschiedene Institutionen wie die nationale Finanzverwaltung, das zentrale Antikorruptionsbüro, den militärischen Abschirmdienst oder den Grenzschutz überwachten Personen kontinuierlich gestiegen ist: Waren es im Jahr 2017 lediglich sechs Personen, die überwacht wurden, waren es 2018 bereits 100 und 2019 schon 140 Personen. Auch 2020 lag die Zahl der Überwachungen in diesem Zusammenhang mit 161 Personen höher, gleiches gilt für das Jahr 2021, auch wenn mit 162 der Anstieg kaum merklich ist. 2022 wurden weitere 9 Personen überwacht.
Aufarbeitung wird ausgeweitet
Nach der Abwahl der konservativen Vorgängerregierung im Oktober letzten Jahres beginnt nun Schritt für Schritt die Aufarbeitung des mittlerweile als „polnisches Watergate“ bezeichneten Skandals. Dabei umfasst die Arbeit der Ende Februar eingesetzten parlamentarischen Untersuchungskommission nicht mehr nur die im Jahr 2021 ans Licht gekommene Überwachung, sondern erstreckt sich mittlerweile auf die gesamte von 2015 bis 2023 andauernde Regierungszeit der PiS-Partei.
Wichtig ist dem Ausschuss auch die Klärung der Frage, warum das Überwachungssystem mit Mitteln aus dem Justizfond und nicht aus dem Betriebsfond angeschafft wurde, was wesentlich einfacher und unauffälliger gewesen wäre. Zu diesem Zweck wurden nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen und eine Reihe von Gesetzen im Eilverfahren geändert.
Kein schnelles Ende
Sroka dämpft aber ebenso die Hoffnung auf eine schnelle Aufklärung der Vorkommnisse und damit auf einen schnellen Abschluss der Untersuchungen. Die Arbeit des Ausschusses gestalte sich dahingehend als langwierig, da viele Dokumente als streng geheim eingestuft sind und das Gremium daher auch oft im geheimen tagen müsse. Gleichzeitig müsse die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Dokumente daraufhin prüfen, ob sie nicht Informationen über die Terrorismusbekämpfung oder andere Operationen preisgeben würden, was ebenfalls Zeit in Anspruch nehme. Sie sei es auch, die die Dokumente daraufhin prüfe, „ob ein Fall abgesprochen wurde“ und ob die Kriterien eines Straftatbestandes erfüllt seien. Auch die Tatsache, dass einige Zeugen wie der ehemalige stellvertretende PiS-Justizminister Michał Woś oder der einflussreiche PiS-Politiker Jarosław Kaczyński, der Sroka nach den polnischen Staat als sein Eigentum ansehen würde, sich teilweise verweigern, zieht die Arbeit in die Länge.
Richtungsweisend für Europa?
Im europäischen Ausland wird derweil ganz genau auf die Vorkommnisse in Polen geschaut. Die EU zögert derzeit noch, den israelischen Hersteller der Software NSO auf die Sanktionsliste zu setzen. In den USA ist man dahingehend schon weiter, dort ist das Unternehmen bereits seit mehr als zwei Jahren auf entsprechenden Listen zu finden. Ein eigens zu diesem Thema eingerichteter Untersuchungsausschuss im EU-Parlament konnte bisher keine nennenswerten Ergebnisse vorweisen, was unter anderem nicht zuletzt an der Blockadehaltung von Ländern wie Ungarn, Spanien und bis vor Kurzem auch an Polen lag. Mit der nun beginnenden systematischen Aufarbeitung könnte sich dies jedoch bald ändern.
Seit 2021 bekannt
Forensische Untersuchungen des in Kanada ansässigen und zur Universität Toronto gehörenden Forschungsinstitut Citizen Lab hatten seit 2021 mehrfach die Überwachung zahlreicher Politiker und Juristen durch Pegasus bestätigt. Überraschend war dabei jedoch, dass nicht nur oppositionelle Politiker, sondern auch Mitglieder der PiS zu den Opfern gehörten, darunter auch der ehemalige Premierminister Mateusz Morawiecki. Alleine aus diesem Grund sehen viele Experten die rechtskonservative Partei vor einer Zerreißprobe.