Nach vertagter Abstimmung: Wie es mit der Chatkontrolle weitergeht

Andreas Frischholz
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Nach vertagter Abstimmung: Wie es mit der Chatkontrolle weitergeht
Bild: PxHere | CC0 1.0

Beschlossen wurde der neue Kompromiss zur Chatkontrolle in der letzten Woche nicht, vom Tisch ist das Vorhaben aber noch nicht – die Abstimmung wurde nur vertagt, Befürworter wollen weiterhin das Scannen Messenger-Inhalten. Felix Reda, ehemals Abgeordneter für die Piratenpartei im EU-Parlament, skizziert nun, wie es weitergeht.

Der Status Quo ist zunächst: Die belgische Ratspräsidentschaft stellte den Kompromiss zur Chatkontrolle den Vertretern der EU-Regierungen nicht zur Wahl, dementsprechend ist auf absehbarer Zeit keine rechtliche Regelung zu erwarten. Denn der EU-Rat muss sich zunächst auf eine Position verständigen, damit die Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und EU-Parlament starten können. Dort wird die finale Verordnung beschlossen.

Chatkontrolle-Kritiker nicht mehr im EU-Parlament

Keine Abstimmung heißt aber auch: Vom Tisch ist das Vorhaben noch nicht. Entscheidend wird nun sein, wie sich EU-Parlament und die Kommission infolge der EU-Wahl neu aufstellen. „Unvollendete Gesetzgebungsverfahren werden vom neuen Europaparlament mit dem Rat weiterverhandelt, solange die neue EU-Kommission den Vorschlag nicht zurückzieht“, schreibt Reda in dem Beitrag auf dem Verfassungsblog. Damit rechnet er nicht, selbst wenn EU-Innenkommissarin Ylva Johannson als eine der stärksten Befürworterinnen voraussichtlich ihr Amt abgeben muss.

Veränderte Mehrheitsverhältnisse gibt es jedoch auch im EU-Parlament, wobei die grundrechtsfreundliche Verhandlungsposition – auf die sich das EU-Parlament im November 2023 verständigt hat – erst einmal bestehen bleibt. Mit Abgeordneten wie Patrick Breyer (Piraten) sind aber engagierte Kritiker der Chatkontrolle künftig nicht mehr im EU-Parlament vertreten. Sollte sich der EU-Rat also doch noch auf einen Entwurf verständigen, ist offen, wie „engagiert sich das neue Parlament für die Vertraulichkeit der Kommunikation und das Recht auf Verschlüsselung einsetzen wird“, so Reda.

Der EU-Rat bleibt aber die große Unbekannte. Den übernimmt in den kommenden sechs Monaten die ungarische Regierung. In ihrem Programm für die Präsidentschaft heißt es, man wolle „die Arbeit für eine langfristige gesetzgeberische Lösung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern online“ fortsetzen. Nur handelt es sich bei Ungarns Regierung um die Rechtsaußen-Partei Fidez unter Viktor Orban, bei der viele Beobachter – und auch Reda – tendenziell eher mit Provokationen rechnen, die sich gegen europäischen Rechtsstaatlichkeitsmechanismen richten.

Das Problem bei der Chatkontrolle ist aber, dass es zwar Befürworter gibt, aber keine qualifizierte Mehrheit. Die Fidez-Regierung müsste also im Hintergrund für Mehrheiten werben und Kompromisse schmieden. Es bestehen Zweifel, ob sie dazu in der Lage ist.

Bisheriger Kompromiss bleibt erhalten

Was die Lage aber erleichtert, ist der Kompromiss, den die belgische Ratspräsidentschaft hinterlassen hat. Der sieht im Kern vor: Um Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu enttarnen, müssen Messenger-Dienste wie WhatsApp die Inhalte auf den Geräten der Nutzer scannen. Vorausgesetzt wird eine Aufdeckungsanordnung durch Behörden. Und neu im Kompromiss ist: Die Nutzer müssen selbst zustimmen. Machen sie es nicht, können sie den Messenger-Dienst weiter nutzen, dürfen aber weder URLs noch Bilder oder Videos versenden.

Angesichts dieser Einschränkungen kann „von Freiwilligkeit (…) keine Rede sein“, sagte Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs. Aus politischer Perspektive bietet dieser Vorschlag aber Spielräume, zumal der Gesetzentwurf auch den Passus enthält, dass das Recht auf Verschlüsselung nicht unterminiert wird.

Weiterlaufen dürften die Verhandlungen um die Chatkontrolle daher. Beim Widerstand setzt Reda derweil auf die Zivilgesellschaft. Seiner Ansicht nach habe sich gezeigt, dass „wissenschaftliche Auseinandersetzung und Kritik aus der Zivilgesellschaft durchaus in der Lage sind, geplante Grundrechtseingriffe zumindest vorerst ins Stocken zu bringen“. So habe die Bundesregierung etwa am Nein festgehalten, was entscheidend sei für den Widerstand gegen die Chatkontrolle im EU-Rat.

Ähnlich äußerten sich zuvor andere Bürgerrechtler wie Ella Jakubowska, Head of Policy bei European Digital Rights. Dass die Abstimmung vertagt wurde, bezeichnet sie gegenüber Netzpolitik.org als einen Moment für Optimismus. „Aber wir müssen den Druck trotzdem aufrechterhalten“, so Jakubowska.