Chatkontrolle: Ungarn bringt neuen Lösungsvorschlag für die EU ein

Michael Schäfer
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Chatkontrolle: Ungarn bringt neuen Lösungsvorschlag für die EU ein
Bild: Pexels | gemeinfrei

Nach einer ruhigen Phase durch die Sommerpause hat Ungarn mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft einen neuen Vorschlag zur Chatkontrolle eingebracht, der unter den EU-Staaten auf gemischte Reaktionen stößt. Durch neue Machtverhältnisse in einigen Ländern bleibt der Ausgang des Vorhabens weiterhin unklar.

Seit zwei Jahren versucht die Europäische Kommission nun die Chatkontrolle, mit der Anbieter von Internetdiensten dazu verpflichten würden, die Inhalte ihrer Nutzer nach Hinweisen auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht den Ermittlungsbehörden zu melden, auf den Weg zu bringen. Eine Einigung zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament scheint jedoch in weiter Ferne und auch die Trilog-Verhandlungen sind nicht in Sicht.

Nach den Vorstellungen der Kommission sollen Inhalte in drei Kategorien durchsucht werden: bekannte Kinderpornografie, neues Material und Grooming. Für die Erkennung bekannter Inhalte gibt es bereits Systeme, die mittels Hashwerten unverschlüsselte Inhalte identifizieren sollen. Kritiker betrachten diese Technologie jedoch als unzuverlässig. Für neues Material und Grooming sollen noch zu entwickelnde Systeme auf Basis künstlicher Intelligenz eingesetzt werden, um entsprechende Verhaltensweisen zu erkennen. Auch hier regt sich Widerstand: Die Niederlande lehnen diese Lösung strikt ab, in Deutschland wird die fehlerfreie Erkennung als nicht umsetzbar angesehen.

Bekanntes Material jetzt, alles andere später

Ungarn hat nun über einen neuen ins Spiel gebrachten Vorschlag verhandelt, dessen Protokoll erneut von Netzpolitik.org veröffentlicht wurde. Nach diesem Vorschlag sollen die Diensteanbieter zunächst nur nach bereits bekanntem Material suchen, während die anderen beiden Vorgaben erst dann umgesetzt werden, wenn entsprechende Technologien verfügbar sind. Auf die weiteren Kritikpunkte, die immer wieder vorgebracht wurden, geht der Vorschlag jedoch nicht ein.

Doch auch dieser Vorschlag führte zu keiner Einigung. Die Niederlande lehnen den Vorstoß weiterhin kategorisch ab, und auch Österreich hält an der Forderung fest, keine generellen Überwachungspflichten für Online-Dienste einzuführen und die vertrauliche, Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation zwischen Nutzern im Internet zu wahren.

Auch die Bundesregierung hatte vor der Sommerpause erneut klar gemacht, dass die private und verschlüsselte Kommunikation von Millionen Menschen nicht anlasslos überwacht werden darf. Weitere Länder, darunter Luxemburg, Polen und Slowenien, lehnen den Vorschlag ebenfalls ab. Laut dem veröffentlichten Protokoll sehen sie in der Massenüberwachung nach wie vor eine Bedrohung und betrachten auch den neuen Vorschlag als unverhältnismäßig.

Auch für den juristischen Dienst der EU-Staaten sind die Bedenken nicht ausgeräumt. Die Juristen gehen weiterhin davon aus, dass das Vorhaben vor Gericht scheitern wird.

Trotz Kompromissbereitschaft keine Einigung im EU-Rat in Sicht

Andere Länder im EU-Rat zeigen sich hingegen offen für Ungarns Vorschläge. Einige Länder wie Griechenland, Irland, Rumänien und Spanien signalisieren jedoch, dass mit der neuen Ausarbeitung für sie die Grenze für Kompromisse erreicht sei. Sie sind zwar nicht davon überzeugt, neues Material und Grooming aus den Vorgaben herauszunehmen, könnten aber im Sinne eines Kompromisses den Vorschlag mittragen. Die Europäische Kommission betont, dass der Vorschlag nach wie vor auch die Überprüfung verschlüsselter Inhalte beinhalte.

Neue Machtverhältnisse sorgen für Unklarheiten

Durch neue Machtverhältnisse in einigen EU-Staaten ist der Ausgang der Verhandlungen nach wie vor offen. Frankreich zum Beispiel, das sich zuletzt gegen die Chatkontrolle ausgesprochen hat, hat vor zwei Monaten ein neues Parlament gewählt. Der neue Premierminister Michel Barnier steht vor der Regierungsbildung. Daher ist es noch unklar, wie Frankreich künftig abstimmen wird.

Auch in Italien wird das Vorhaben innerhalb der Regierung kontrovers diskutiert. Zwar zeigt man sich „vorsichtig positiv“, doch das muss nicht zwingend etwas bedeuten. Auch in den Niederlanden ist vor kurzem eine neue Regierung gewählt worden und nationale Abstimmungsprozesse stehen noch aus. Belgien prüft das Vorhaben weiterhin, während Tschechien noch debattiert.

Dabei steht viel auf dem Spiel: Sollten Frankreich oder Italien gegen das Vorhaben stimmen, könnte die Chatkontrolle aufgrund der Bevölkerungsgröße der Länder und der damit verbundenen Sperrminorität nicht mehr im Rat beschlossen werden. Gleiches gilt, wenn sich bei Belgien, den Niederlanden oder Tschechien zwei der Länder gegen die Chatkontrolle entscheiden.

Einigung im EU-Rat noch im Oktober?

Am kommenden Montag sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. Dann treffen sich die Berater für Justiz und Inneres, um den ungarischen Vorschlag zu diskutieren. Ungarn strebt an, die Position des EU-Rates am 10. Oktober 2024 endgültig festzulegen.