Überwachungspaket nach Solingen: Die Kritik an dem Vorhaben der Regierung wird lauter

Michael Schäfer
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Überwachungspaket nach Solingen: Die Kritik an dem Vorhaben der Regierung wird lauter
Bild: Neurolink | gemeinfrei

Für ihre als Reaktion auf den Anschlag in Solingen formulierten Überwachungspläne gerät die Bundesregierung immer weiter unter Druck. Immer mehr Organisationen und Datenschützer kritisieren das Vorhaben als unverhältnismäßig und rechtswidrig. Viele Pläne sollen zudem in direkten Widerspruch zu EU-Vorgaben stehen.

Reaktion auf den Anschlag von Solingen

Infolge des Terroranschlags in Solingen hatte die Bundesregierung geplant, die biometrische Überwachung von Gesichtern und Stimmen zu ermöglichen. Bereits zu dieser Zeit kam massive Kritik von Bürgerrechtlern und zahlreichen anderen Organisationen, darunter dem Chaos Computer Club (CCC), auf.

Dessen ungeachtet verschärft die Regierung das Tempo: Die erste Lesung des Gesetzesvorhabens fand am 12. September dieses Jahres statt und bereits gestern erfolgte die Anhörung im Innenausschuss. Gleichsam wächst die Kritik und auch die Anzahl der Gegner wird immer größer. Erkennbar ist vor allem, dass der Entwurf von Sachverständigen im Ausschuss für Inneres und Heimat überwiegend zurückhaltend, teils auch ablehnend bewertet wird.

Die Kritik wird lauter

In einem aktuellen Bericht hat Netzpolitik.org die Organisationen und Stimmen zusammengefasst und damit ein aktuelles Stimmungsbild wiedergegeben. Die Kritik ist umfassend, soll an dieser Stelle aber auf die Datenschutz-Bedenken reduziert werden.

Datenschutz-Kritikpunkte im Fokus

Bereits Anfang des Monats sprachen sich die Regierungsparteien nicht nur für die biometrische Gesichtserkennung aus, sondern auch für die Erfassung von Stimmaufnahmen durch Ermittlungsbehörden, die allesamt in einer Datenbank erfasst werden sollen – und das auch rückwirkend. Dass solche Pläne nicht nur unter Nancy Faeser (SPD) im Bundesinnenministerium entstanden sind, ist nicht neu. Nun hat aber auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), bisher ein Gegner solcher Maßnahmen, seine Zustimmung signalisiert, was dem zunehmenden Druck auf die Regierung zugerechnet werden könnte.

Bruch des Koalitionsvertrag und Verstoß gegen EU-Verordnung

Damit würde die Regierung jedoch den Koalitionsvertrag brechen, der vorsieht, dass „das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet“ gewährleistet bleiben soll, wie AlgorithmWatch in ihrer Stellungnahme anmerkt. Ihrer Auffassung nach könnten die in den Gesetzentwürfen vorgesehenen Befugnisse zur nachträglichen biometrischen Überwachung nur mit dem Einsatz von KI-Systemen umgesetzt werden, die jedoch laut der erst kürzlich verabschiedeten KI-Verordnung in der Europäischen Union verboten sind.

Datenschützerin nicht befragt

Auch die seit Anfang September im Amt befindliche neue Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider spart nicht mit Kritik. Ihrer Behörde zufolge sei sie für die Gesetzesänderungen nicht konsultiert worden. Sie kritisiert dabei vor allem das von der Bundesregierung eingeschlagene schnelle Tempo. Eines der größten Probleme sieht sie im Zusammenführen von Daten in eine „Super-Datenbank“, auf die sowohl das Bundeskriminalamt wie auch die Bundespolizei Zugriff erhalten sollen. Diese Datenbank, die auch biometrische Daten aus dem Internet umfassen könnte, stelle „erhebliche Eingriffe in die Rechte unbeteiligter Personen“ dar. Ihrer Meinung nach könnten bei großen Menschenansammlungen, etwa auf Volksfesten, Daten gesammelt werden, „ohne dass dies für die Ermittlungen von ausschlaggebender Bedeutung“ wäre.

Auch Specht-Riemenschneider hält den geplanten Abgleich von Daten für nicht mit der KI-Verordnung der EU vereinbar. Sie kritisiert zudem, dass die Vorgaben der Gesetze zu weit gefasst seien, ihrer Auffassung nach könnte der Entwurf auch bei längerfristigem Sozialhilfebetrug oder ähnlich schwer gelagerten Delikten zur Anwendung kommen. Sie bemängelt zudem, dass keine Regelungen vorgesehen sind, wonach Daten, die nicht als Beweismittel genutzt werden können, unverzüglich gelöscht werden müssen. Dies könnte ihrer Meinung nach ebenfalls zur Schaffung einer Super-Datenbank führen, in der auch Personen erfasst werden, die lediglich einen vermeintlichen Tatbestand zur Anzeige bringen.

Für Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, Rechtswissenschaftler und Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Universität Bremen, übertreffen die Vorschläge alles, was es seiner Meinung nach bisher im Bereich der digitalen Überwachung gegeben habe. Für ihn seien die Pläne der Bundesregierung ein „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“.

Zustimmung kam hingegen von Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes, die noch einmal die Bedeutung der Regelungen zum biometrischen Internet-Abgleich für die Erkennung von noch nicht polizeilich in Erscheinung getretenen Gefährdern erheblich verbessern würde.

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