Neue Siri spät dran: Wie sehr schadet Apple der Verzug bei Apple Intelligence?

Dennis Krause
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Neue Siri spät dran: Wie sehr schadet Apple der Verzug bei Apple Intelligence?
Bild: Apple

Apple Intelligence sollte das iPhone, das iPad und den Mac mit künstlicher Intelligenz aufrüsten. Nach dem Verzug zahlreicher Siri-Funktionen entpuppte sich die KI-Suite vorerst aber als zu früh angekündigte Dauerbaustelle. Das omnipräsente Bild von Verlässlichkeit und Premium-Qualität bröckelt. Eine Analyse der Chronik.

2024: Apple als Spätzünder

Im Juni 2024 traute sich Apple zur WWDC nach Jahren der schweigsamen Werkelei mit Apple Intelligence an die Öffentlichkeit, das Zeitalter der künstlichen Intelligenz war nun auch beim iPhone-Hersteller eröffnet. Bisher wurde Machine Learning, wie Apple es bis dahin immer nannte, nur für Kleinigkeiten wie die Indexierung von Fotos genutzt. Bei solchen Dingen war Apple lange Zeit in Führung.

Samsung und Google bereits losgesprintet

Doch Mitte 2024 sah die Welt anders aus; die Konkurrenz hatte bereits vorgelegt: Samsung mit Galaxy AI im S25 Ultra (Live-Übersetzungen, Schreibtools, Fotobearbeitungen, ...), Google mit dem Pixel 8 Pro (KI-Anrufsekretär, Websites zusammenfassen, KI-Transkriptionen, Fotobearbeitungen, ...).

ChatGPT hat sich in der Zwischenzeit wie Tempo für Taschentücher zu einem Prototyp für eine ganze Kategorie an Produkten entwickelt. Schon damals bot fast jedes große Softwareunternehmen von Google (Gemini) über Microsoft (Copilot) bis Meta (Meta AI) ein generatives KI-System an – nur Apple nicht.

Apple hatte also bereits in jenen Tagen einiges aufzuholen, um in diesem Markt am zu Ball bleiben. Das erste Eine-Billion-Dollar-Unternehmen ist nach den Erfolgen mit Siri zu Beginn der 2010er-Jahre im Bereich der Sprachassistenten immer mehr ins Abseits geraten. Siri fiel schlicht aus der Zeit.

Siri in visionOS (WWDC 2023)
Siri in visionOS (WWDC 2023) (Bild: Apple)

Was lange währt wird gut?

Zur Entwicklerkonferenz im Sommer 2024 waren die Erwartungen dementsprechend groß. Der Konzern ist bekannt dafür, sorgfältig Produkte mit viel Feinschliff und Qualität auf den Markt zu bringen. So hat Apple es zum Beispiel mit Widgets demonstriert, die es bei Android seit 2014 gibt, aber erst im Jahr 2020 auf iPhones Einzug hielten. Ein weiteres Beispiel ist die Dynamic Island. Zwar etablierte Apple die Notch noch ohne UI-Liebe, der Nachfolger, die Dynamic Island, band sie jedoch tief in das System ein. Was bei Samsung ein einfaches Loch im Bildschirm war („Punch-Hole“) war bei Apple ein UI-Element, das dynamisch Musik und andere Aktivitäten anzeigen konnte. Der Konzern hatte oft gezeigt, dass es nicht immer nur zählt, als Erster durchs Ziel zu gehen.

Apple Intelligence: Keine Revolution, aber ein großer Schritt

Umso gemischter waren dann die Einschätzungen, als Apple zur WWDC 2024 (Thema) nichts Revolutionäres, sondern viel Bekanntes vorstellte: Tief integrierte Schreibtools, ein etwas merkwürdig aussehender KI-Bildgenerator. Nichts, was man nicht schon von Samsung oder ChatGPT kannte. Dass Siri den Dienst von OpenAI zur Hilfe rufen kann, zeigte dann auch, dass die Gerüchte über eine Siri-GPT mindestens ein Jahr zu früh dran waren. Die KI für die Fotobearbeitung blieb hinter der Konkurrenz zurück, da sie nur einfache Objekte aus Fotos retuschieren kann.

An einer Stelle ließ Apple dann aber doch die Tech-Journalisten aufhorchen: Siri soll mit drei neuen Funktionen ein erstes KI-Standbein bekommen. Es war nicht der Wurf, den man nach all der Zeit erhofft hat, aber dass Siri jetzt in der Lage sein soll, das iPhone zu steuern, den Bildschirm zu erfassen und die Dateien des Nutzers zu berücksichtigen, klang dann doch wie der erste Schritt zu einem Siri-GPT. Dass Apple Intelligence Benachrichtigungen und Mails zusammenfassen sowie priorisieren soll, rundete das einleitende Päckchen von Apples KI-Funktionen ab.

Siri mit kontextuellem Bewusstsein
Siri mit kontextuellem Bewusstsein (Bild: Apple)

Dennoch hat Apple auf der Entwicklerkonferenz nur eine große Evolution angekündigt. Kein Siri-GPT, keine überraschenden Ideen, dafür aber der Anfang eines großen Schritts für Siri. Mit viel Spannung lieferte Apple ab Juli 2024 die ersten öffentlichen Testversionen aus.

Eine Chronologie des vorläufigen Scheiterns

Doch die erste Ernüchterung folgte sogleich: Nicht mit iOS 18.0, sondern mit iOS 18.1 im Oktober würde Apple Intelligence starten. Zur Auslieferung der neuen iPhones im September fehlten also sämtliche KI-Funktionen. Viele sollten später nachgereicht werden. Spätestens hier läuteten die Alarmglocken: Ankündigungen von Softwarefunktionen im Sommer 2024, aber Auslieferungen erst bis ins Frühjahr 2025? Für einen Konzern, der bisher lieber zu wenig versprach als zu viel, klang das nach Neuland. Das letzte große voreilig angekündigte Produkt, eine Ladematte namens AirPower, scheiterte im Stillen.

Die Strategie: Rollout in mehreren Schritten

Apple verschaffte sich aber geschickt mehr Zeit und ging auf Nummer sicher: Apple Intelligence solle zuerst nur in englischer Sprache, die ersten zwei Monate sogar nur auf US-Englisch starten. Damit hatte man sich nicht nur Zeit erhascht, sondern auch den Nutzerkreis der ersten Version von Apple Intelligence eingeschränkt: Außerhalb der USA nutzen nur die wenigsten Menschen US-Englisch, in der EU startete man überhaupt nur auf dem Mac; iPhone und iPad wurden wegen angeblicher Bedenken einer EU-Regulierung erst einmal mit gar keiner Version von Apple Intelligence bedacht. Die Veröffentlichung erfolgte offiziell also (bis auf China und die EU) global, inoffiziell jedoch in Wellen durch unterschiedliche Sprachen und Regionen.

Oktober '24: Apple Intelligence startet

Vielleicht auch wegen dieser Strategie konnte man sich anfänglich gut an den Zeitplan halten: Die ersten Funktionen wie Schreibtools und Genmoji trudelten im Oktober 2024 mit iOS 18.1 wie versprochen ein, im Dezember mit iOS 18.2 neue englische Sprachen (wie UK) und die ChatGPT-Integration für Siri.

Dezember '24: Die KI-Zusammenfassungen bereiten Probleme

Vor Weihnachten liefen die ersten Funktionen nicht mehr rund: Die automatische Zusammenfassung von Benachrichtigungen erzeugte fehlerhafte Satzschnipsel und verbreitete „Luigi Mangione shot himself“. Die betroffene britische BBC, die eigentlich über den Mord an HealthCare CEO Brian Thompson und die Verhaftung des mutmaßlichen Mörders Luigi Mangione berichtete, beschwerte sich umgehend öffentlich. Bis Januar hatte die Funktion im englischen Raum für noch mehr Unmut gesorgt, denn die Funktion sorgte auch bei Benachrichtigungen anderer Zeitschriften für falsche Zusammenfassungen. Im Januar wurde Apple von mehreren Seiten aufgefordert, die Funktion einzustellen.

Apple kam dem nach und deaktivierte die Zusammenfassungen für News-Benachrichtigungen im Februar mit iOS 18.3. Apples langsamer Rollout für unterschiedliche Sprachen hat sich dementsprechend bereits ausgezahlt, denn die Funktion wird auch in allen folgenden Sprachen deaktiviert bleiben. Ein Skandal in Deutschland oder Indien bleibt Apple somit erspart. Doch die aktuelle Unzuverlässigkeit von Apple Intelligence bleibt hängen.

Februar '25: Wo ist die neue Siri?

Ende Februar lieferte Apple den Startschuss für die zweite große Welle: mehr Sprachen, der Start in der EU und die neue Siri. iOS 18.4 sollte nach Gerüchten noch bis April werden und damit vor der nächsten Entwicklerkonferenz im Juni alle zur letzten WWDC versprochenen Funktionen ausliefern. Doch dazu kam es erst einmal nicht. Die erste Beta für iOS 18.4 enthielt zwar die deutsche Sprache und damit den Start in der EU für iPhone und iPad – jedoch konnte die neue Siri nirgends aufgefunden werden. Bloomberg hatte wenige Tage zuvor gemutmaßt, dass Apple den Release doch verzögern könnte. Von iOS 18.5 im Mai war nun die Rede. Siris neues erstes KI-Standbein sollte noch auf sich warten lassen.

iOS 18: Siri bekommt doch nur einen Tropf

Seit Freitag ist jedoch klar: Siri wurde von Apple nicht mit einer neuen Prothese ausgestattet, sondern an den Tropf gehängt und wird so auch bis ins nächste Jahr verharren. Die ChatGPT-Integration und die neue Benutzeroberfläche sollten der Anfang einer großen Evolution sein, sind nun aber die einzige Möglichkeit geworden, in Zeiten von Gemini und Alexa+ die Sprachassistentin nicht komplett verkümmern zu lassen. Entfernt man die Hilfe von OpenAI, ist Siri weiterhin kaum zu mehr in der Lage als vor zwei Jahren. Und auch mit der Hilfe des Sprachmodells GPT-4o fragt man sich, wofür Nutzer eine Assistentin benötigen, deren neue Funktionen sich allesamt mit der OpenAI-App ersetzen lassen.

Auf Wunsch werden Anfragen, die Siri nicht beantworten kann, an ChatGPT weitergereicht statt vormals zur Google-Suche
Auf Wunsch werden Anfragen, die Siri nicht beantworten kann, an ChatGPT weitergereicht statt vormals zur Google-Suche

Wie Apple Intelligence die Marke von Apple beschädigt

Für Apple sind diese Entwicklungen ein großes Problem: Der Konzern, der früher für Innovationen, aber vor allem für Feinschliff, Qualität und Verlässlichkeit bekannt war, ist jetzt Opfer einer für ihn unüblichen Überstürzung geworden.

Auf der WWDC 2024 zeigte Apple Videos und Bilder von einer Siri, die, wie Kunden und Presse inzwischen wissen, selbst nach neun Monaten noch in einem Zustand ist, den Apple nicht der Welt präsentieren möchte. Nach Angaben von Bloomberg soll intern sogar ein kompletter Neustart der Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. Die KI-Zusammenfassungen leiden generell weiterhin unter einer schwachen Güte und sind seltener hilfreich als nützlich. Um Apples KI-Fotobearbeitung zieht Galaxy AI einige Kreise (X). Nach Premium-Qualität klingt das nicht.

Kunden werden mit falschen Versprechungen enttäuscht

Dennoch vermarktet Apple seit September die neuen iPhone-16-Modelle in den USA stark mit Apple Intelligence und der neuen Siri. In Deutschland soll die KI-Suite ab April starten, das neue iPad Air und MacBook Air mit M4-Chip werden nun auch hierzulande über die Funktionen beworben. Der Hinweis, dass „einige Features als Soft­ware-Updates in den kommenden Monaten ver­füg­bar sein werden“, macht zwar keinen Helm daraus, dass die neue Siri erst später kommt, doch das Jahr 2026 ist deutlich weiter entfernt als nur ein paar Monate.

Apple nimmt Werbespots zurück

Wohl auch deshalb hat Apple übers Wochenende zumindest einen Werbespot aus dem September 2024, der die neue Siri bewirbt, bereits global entfernen lassen. Die Entscheidung, die neue Siri auf das nächste Jahr zu verschieben, kommt dementsprechend nicht nur für Kunden überraschend, sondern auch für die Marketingabteilung. Es ist davon auszugehen, dass auch Apples Website bald nicht mehr die neue Siri bewerben wird.

Kunden, die im letzten Juni auf eine Revolution gehofft und dann mit dem Versprechen einer Evolution im September eingekauft haben, erhalten jetzt im April nur noch eine kleine Adaption an das KI-Zeitalter. Nach Verlässlichkeit klingt das nicht.

Digitale Events führen zu vorzeitiger Ankündigung von Funktionen

Der Konzern hat sich seit der Pandemie auch keinen Gefallen damit getan, alle Events nur noch vorproduziert auszustrahlen. Die Notwendigkeit, auf offener Bühne in Echtzeit eine halbwegs fertige Software vorweisen zu müssen, entfiel so gänzlich. Die neue Siri wäre wohl vor neun Monaten keineswegs vorzeigbar gewesen, wenn sie heute kurz vor einem kompletten Neustart der Entwicklung steht. Früher hätte dieser Umstand Apple schlicht davon abgehalten, große Softwarefunktionen anzukündigen, die weit von einer Marktreife entfernt sind.

Erste Live-Demo von Face-ID im Jahr 2017 (Bild: Apple)

Ein Jahr später: Ein Scherbenhaufen in der KI-Abteilung

Aktuell sieht es nach internen Quellen so aus, als würde Apples erstes eigenes Siri-GPT nicht vor 2027 erscheinen. Die neue Siri aus dem Jahr 2024 ist nach Angaben des Konzerns nicht vor dem Jahr 2026 zu erwarten. Mittlerweile plant der Konzern laut Gerüchten zur diesjährigen WWDC im Juni 2025 gar keine neuen KI-Funktionen mehr, nur ein breiterer Einsatz der bereits bestehenden soll mit iOS 19 kommen, auch auf die neue Siri darf dann weiterhin nur gehofft werden. Erst ab iOS 20 im Jahr 2026/27 könnten Kunden in den Genuss wirklich neuer KI-Funktionen kommen, wenn überhaupt.

Apple hat der übereilte Schritt in das Zeitalter der KI damit wohl mehr geschadet als geholfen: Kunden wurden enttäuscht, Apples Status als Innovator leidet mit jedem Tag und bestehende Funktionen bleiben hinter der Konkurrenz zurück. Der Konzern steht damit schlechter da als noch vor einem Jahr, bevor Apple Intelligence erstmals vorgestellt wurde.

Apples Smart-Home-Pläne leiden mit

Ob Apples Personal-Umbesetzung daran etwas ändern wird, muss sich noch zeigen. Erst einmal leidet die inoffizielle Produktroadmap selbst unter den Folgen: Der gemunkelte zweite Vorstoß mit künstlicher Intelligenz in das smarte Zuhause von Millionen von Kunden bleibt vorerst aus, denn dafür ist die neue Siri wohl elementar.

Apple bekommt noch eine Chance

Apple hat jedoch Glück: Kaum ein anderer Hersteller (neben Samsung) verfügt über ein so enges Geflecht aus Smartphone, Tablet, Wearables, Notebook, Desktop und Smart Home wie Apple. Solange Microsoft und Google keine Partnerschaft zwischen Windows und Android eingehen, um die Systeme mit künstlicher Intelligenz enger zu vernetzen, hat Apple weiterhin ein Zeitfenster, um eine KI zu entwerfen, die den Nutzer Zuhause und Unterwegs mit allen Daten begleitet. Wird wie bei Copy and Paste auf dem iPhone oder dessen 3G-Variante am Ende, wenn auch später als anderswo, alles gut?

Noch ist das KI-Ökosystem sehr dezentralisiert, dutzende KIs buhlen mit unterschiedlichen Funktionen um Aufmerksamkeit. Aber eine KI, die alles vernetzt und verbindet, die immer dabei ist, gibt es heute noch nicht. Die Chance, Apple Intelligence mit Siri ganz oben zu positionieren und Vertrauen zurückzugewinnen, ist noch nicht vertan.

Dass Apple genau dort hin will, ist seit den letztjährigen Smart-Home-Gerüchten sehr wahrscheinlich. Doch noch reicht die eigene Software nicht aus, um diesen Schritt zu wagen. Dass Apple im Bereich Datenschutz einen hohen Stand hat, verschafft dem Konzern hier ebenfalls extra Zeit.

Konkurrent Microsoft musste nach seinem ersten Vorstoß für eine große KI im Betriebssystem namens Recall beschwichtigen, fährt aber mit begrenzten Tests fort. Die Konkurrenz wird daher vermutlich nicht endlos die noch tiefere Integration von KI in ihre Systeme herauszögern. Die Zeit tickt.

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