Politik
"Wir müssen über Verteilung reden“
Robert Birnbaum
1384 Wörter
14 April 2017
Der Tagesspiegel Online
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Deutsch
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Arbeitsministerin Andrea Nahles im Interview
Arbeitsministerin Andrea
Nahles (SPD) warnt im Interview vor einer „ Oligarchie der Reichen“ und
spricht über ihre Pläne, ein weiteres Aufweichen der Tarifverträge zu
verhindern.
Die Bundesregierung hat
in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht zum ersten Mal auch die Reichen
erfasst. Wie wird man reich in Deutschland?
Mir war es sehr wichtig,
etwas über Reichtum in
Deutschland[http://www.tagesspiegel.de/politik/armuts-und-reichtumsbericht-es-fehlt-nicht-an-statistischen-daten-sondern-an-politischen-taten/19663078.html]
zu erfahren. Da liegt nach wie vor viel im Dunkeln. Wir haben dazu kaum
Daten. Rund 150 Menschen mit einem frei verfügbaren Vermögen von
mindestens einer Million Euro haben sich bereit erklärt, an einer Studie
teilzunehmen, die ich beauftragt habe; deshalb wissen wir, dass zwei
Drittel dieser Menschen durch Erbschaft zu ihrem Reichtum gekommen sind.
Außerdem zählen deutlich mehr Selbständige zu den Reichen als
Arbeitnehmer.
Hat Sie das im Ernst verblüfft?
Dass es sich größtenteils
um leistungslos erworbenes Vermögen handelt schon. Wir wissen zudem,
dass 50 Prozent des gesamten Nettovermögens in der Hand von nur zehn
Prozent der Bevölkerung liegen. Die unteren 50 Prozent der Bevölkerung
besitzen zusammen genommen hingegen nur ein Prozent des Vermögens. Wir
beobachten eine Refeudalisierung der Gesellschaft, ich habe das etwas
zugespitzt „neue Oligarchie der Reichen“ genannt.
Oligarchie klingt nach Schurken…
Das ist nicht abwertend
oder moralisierend gemeint. Es geht nicht um eine Neid-Debatte. Aber
diese Entwicklung ist problematisch. Studien belegen, dass ungleiche
Gesellschaften nicht nur ungerecht, sondern auch ökonomisch weniger
stabil sind. Reiche konsumieren zum Beispiel anteilig viel weniger als
Normalverdiener. Das ist schlecht für die Binnennachfrage. Außerdem
haben Reiche bessere Chancen, ihre Interessen durchzusetzen – auch das
haben wir ihm Rahmen einer Studie beleuchtet.
Das ist der Befund. Aber wie lautet die politische Schlussfolgerung?
Ich möchte keine duale,
polarisierte Gesellschaft. Ich möchte auch kein duales Wachstum – viel
für die einen, mickerig für die anderen. Ich möchte ein inklusives
Wachstum, an dem alle einen Anteil haben. Wertschöpfung muss gerechter
verteilt werden. Bei neoliberalen Ökonomen schwingt immer der Gedanke
mit, dass Wachstum nur um den Preis von Ungleichheit zu haben sei. Der
historische und internationale Blick zeigt: es geht auch anders. Ganz
simpel gesagt: Wir müssen über Verteilung reden.
Verteilung von was –
Löhne und
Einkommen[http://www.tagesspiegel.de/politik/familien-und-gleichstellungspolitik-was-lohntransparenzgesetz-und-rueckkehr-in-vollzeit-bedeuten/19654842.html],
Steuern, Sozialleistungen?
In allererster Linie muss
es um die Primärverteilung gehen, also um Löhne. Was mich überrascht
und alarmiert hat an den Befunden des Berichts war, dass die Reallöhne
der unteren 40 Prozent der Beschäftigten seit Mitte der 90er Jahre
stagnieren oder sogar ins Minus gerutscht sind, während die oberen 60
Prozent zugelegt haben. Wir haben eine sehr starke Lohndifferenz. Der
erste Weg, Verteilung zu verändern, muss über die Löhne gehen.
Aber beruht nicht diese
Differenz wesentlich darauf, dass heute Menschen im Niedriglohnbereich
arbeiten, die früher arbeitslos waren?
Die Zunahme bei der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist erfreulich ebenso wie
der Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit. Während wir im Jahr 2007
noch 1,7 Millionen Langzeitarbeitslose verzeichnen mussten, sind es
heute weniger als eine Million. Diese Menschen sind natürlich eher im
Niedriglohn-Bereich untergekommen als in Top-Jobs. Das rechtfertigt aber
nicht die Lohnspreizung als solche. Der Mindestlohn hat gezeigt, dass
höhere Löhne Beschäftigung nicht gefährden.
Schön und gut, aber wie groß ist denn nun das Problem?
Die Antwort ergibt sich
aus den Fakten, die ich genannt habe: das Auseinanderdriften der Löhne
ist real. Es darf nicht sein, dass nur die oberen Lohngruppen vom
Aufschwung profitieren und die unteren Lohngruppen davon abgekoppelt
werden. Bei bestimmten Branchen – Handel, Logistik und vielen anderen
Dienstleistungen – können wir den Rückgang der Reallöhne besonders stark
beobachten. Da müssen wir etwas tun.
Deutschland auf dem Weg ins Elend?
Ich will keine
Elendsdebatte nach dem Motto „Alle werden immer ärmer“ – das ist Unsinn.
Die politische Frage lautet: Was müssen wir tun, damit unser Land
zusammenbleibt – ökonomisch, aber auch gesellschaftlich und politisch.
Der Mindestlohn war ein wichtiger Schritt, die die Verbesserungen für
Leiharbeitnehmer und Werkvertragsnehmer auch. Aber das reicht noch
nicht.
Sind mehr Sozialleistungen ein Weg?
Man kann nicht staatlich
heilen, was in der Lohnpolitik schief geht. Wer das versucht, wird
spätestens bei der nächsten Rezession böse erwachen, wenn er feststellt,
dass ihm dann Geld fehlt. Mit derlei Versprechen kann von mir aus die
Linkspartei hausieren gehen. Mein Ziel ist es, Probleme zu lösen, bevor
sie entstehen.
Manche in der SPD wollen Geringverdiener bei den Sozialabgaben entlasten …
Wir müssen den Druck von
der arbeitenden Mitte nehmen. Steigende Mietpreise, Steuern oder
Bildungskosten spielen da neben Sozialabgaben eine große Rolle.
Und die Steuerpolitik?
Steuern auf Kapital
dürfen nicht niedriger sein als auf Arbeit. Ich schlage außerdem einen
„Pakt für anständige Löhne“ vor. Dafür müssen sich alle an einen Tisch
setzen, auch die öffentlichen Arbeitgeber, die mitunter auch kein gutes
Vorbild abgeben.
So ein Pakt mag ja nützlich sein. Aber muss nicht gerade die SPD darauf bestehen, dass Lohnfindung Tarifsache bleibt?
Wir haben die gute
Tradition, dass die Löhne Sache der Tarifparteien sind. Aber die
Tarifbindung lässt erschreckend nach. Zu Beginn der 80er Jahre lag sie
noch bei knapp über 90 Prozent, heute liegt sie im Westen bei unter 60,
im Osten sogar bei unter 50 Prozent. Die Politik kann dies nicht per
Gesetz ändern, aber sie kann Anreize schafft, Tarifverträge zu schließen
und Tarifpartnerschaft stärken. Ich habe dies mit mehreren Gesetzen
getan. Wir müssen Tarifverträgen einen Vorteil einräumen.
Ein Grund für die
Tarifspreizung in Deutschland ist der gestiegene Anteil von
Teilzeitjobs. Wieso wollen Sie das Problem mit dem Recht auf befristete
Teilzeit vergrößern?
Das Recht auf
Teilzeit[http://www.tagesspiegel.de/politik/gerangel-in-der-koalition-union-sperrt-sich-bei-teilzeitgesetz-gegen-spd/19564000.html]
gibt es schon lange. Mit geht es nun um das Recht, aus der Teilzeit
wieder herauszukommen. Mein Ziel ist, dass insbesondere Frauen nicht
mehr in der Teilzeitfalle hängen bleiben, nur weil sie sich einmal dazu
entschlossen haben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Daher sollen sie das
Recht bekommen, mit dem Arbeitgeber bei Eintritt in die Teilzeit auch
den Zeitpunkt der Rückkehr in Vollzeit zu verabreden. Wir wissen, dass
rund 750000 Teilzeitkräfte gerne länger arbeiten würden. Das spüren sie
auch auf dem Lohnzettel.
Die Union will Betriebe
unter 200 Mitarbeitern davon ausnehmen, Sie bestehen auf einer
15-Mitarbeiter-Grenze. Lohnt diese Differenz den Streit?
Mir liegt viel daran,
noch in dieser Legislatur zu einer Lösung zu kommen. Ich habe mich
deshalb am Dienstag nochmals mit Kanzleramtschef Peter Altmaier und den
Sozialpartnern getroffen und Kompromissmöglichkeiten ausgelotet. Ich
bleibe dran. Und was die von Ihnen angesprochene Grenze anbelangt: Wir
erkennen an, dass kleine Betriebe sich schwerer tun, Teilzeit zu
organisieren. Die 15-Mitarbeiter-Schwelle gilt daher schon für das
bestehende Teilzeitrecht. Wenn wir aber auf 200 gingen, würden 60
Prozent der Beschäftigten von diesem Recht ausgeschlossen. So ein
Placebo-Gesetz mache ich nicht mit. Ich würde dieses Gesetz gerne noch
umsetzen, aber wenn es mit der Union nicht mehr zu machen ist, dann
machen wir es nächstes Jahr mit Martin Schulz als Kanzler!
Apropos Martin Schulz –
das „Arbeitslosengeld Q“, das der SPD-Kandidat plant, nützt frisch
arbeitslos Gewordenen, nicht aber Langzeitarbeitslosen.
Qualifizierung ist
wichtig, um gar nicht erst lange arbeitslos zu bleiben. Ich habe
außerdem erst kürzlich ein Konzept vorgestellt, um Langzeitarbeitslosen
eine echte Chance auf soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Wir müssen endlich ehrlich sagen, dass wir diesen Menschen bislang kein
passendes Angebot machen. Wir bieten Maßnahmen an, um sie in den ersten
Arbeitsmarkt zu integrieren. Viele schaffen das aber nicht auf Anhieb,
etwa weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind. Für sie brauchen wir
eine öffentlich geförderte Beschäftigung.
An was für Jobs denken Sie da?
Ich war neulich in Dortmund, dort gibt es zum Beispiel Fahrgastbegleiter für Busse.
Die helfen Älteren mit Rollator oder Menschen mit Behinderungen beim
Ein- und Aussteigen. Arbeit gibt es genug, auch bei den Kommunen. Und es
ist allemal besser, Arbeit zu finanzieren, statt das Geld in Transfers
zu stecken.
Bleibt nicht die Hauptaufgabe eher, neue Arbeitslosigkeit zu verhindern, etwa als Folge der Digitalisierung?
In der Tat. Und das
beschäftigt mich sehr. Wir werden in Zukunft immer weniger einfache Jobs
haben. Aber auch anspruchsvolle Tätigkeiten werden sich wandeln. Es
wird deshalb darauf ankommen, den Betrieb nicht nur als
Beschäftigungsort zu betrachten, sondern als Lernort zu begreifen. Das
gilt für Beschäftigte wie für Betriebe. Denn Weiterbildung und
Qualifizierung werden in Zukunft das alles Entscheidende sein. Ich
plädiere in der nächsten Legislaturperiode deshalb für gemeinsame
Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Betriebsräten. Denn wenn ich
mich als Arbeitsministerin alleine hinstelle und rufe: „Leute,
qualifiziert euch!“ – hilft das wenig!
Andrea Nahles (SPD), seit Dezember 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales, in ihrem Büro in Berlin-Mitte.
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