Deine "Zusammenfassung" des Vertrages kann ich nichts anderes entnehmen als das.
Ist irgendwas falsch an dieser Zusammenfassung?
Wir wollten uns aber erstmal über den Rechtsstaat unterhalten.
Wie der Begriff schon sagt, muß Rechtsstaat irgendetwas mit "Recht" zu tun haben. Also stellt sich zunächst die Frage, was ist "Recht"?
Alles eine Frage, was man als Recht definiert.
Genau getroffen!
Recht ist etwas, was definiert wird. Es ist das, was ein Staat als "sein Recht" festlegt. Das findet sich wieder in zahlreichen Rechtsnormen, Gesetzen, Verordnungen usw.
Es hat also nichts mit Gerechtigkeit oder ähnlichem zu tun. Die Frage, ob etwas "Recht" oder "Unrecht" darstellt, ist nur an der geltenden Rechtsordnung des betreffenden Staates zu messen. Ob es auch etwas wünschenswertes ist, ist eine andere Frage. Eine Sache kann z.B. zwar formal rechtmäßig sein, aber nicht dem entsprechen, was wir uns unter einer vernünftigen Rechtsordnung vorstellen.
Ist es Unrecht, wenn man dem BKA sowohl Polizei-, als auch Geheimdienstbefugnisse gibt und dies als notwendig bezeichnet um unsere Verfassung zu verteidigen?
Wenn die Verfassung es verbietet, ist es Unrecht.
Wenn die Verfassung es erlaubt, ist es Recht.
Die andere Frage ist, ob eine Verfassung, die sowas erlaubt, akzeptabel ist. Dazu sollte man gewisse geschichtliche Erfahrungen mit in Erinnerung rufen.
Ist es Recht, wenn man eine Todesstrafe in einer Konvention ausschließt, dies aber für einige nicht explizit genug, weil es in einem dir nicht genehmen Zusatzprotokoll steht?
Wenn Du hier Recht im Sinne von rechtmäßig meinst, dann kann die Frage nur anhand einer höherrangigen Rechtsordnung beantwortet werden.
Die Konvention selbst und das Zusatzprotokoll sind Rechtsetzungen. Hier muß man also schauen, was wurde hier genau inhaltlich als Recht gesetzt? (Bedeutsam für die Frage, wurde hier wirklich das Recht gesetzt, was wir im Hinterkopf beabsichtigen wollten?)
Die EMRK schließt die Todesstrafe nicht für alle Fälle aus. Nach der EMRK ist die Verhängung der Todesstrafe in Kriegszeiten und bei unmitelbarer Kriegsgefahr rechtmäßig.
Das Zusatzprotokoll, über das wir vorhin gesprochen haben, schließt die Todesstrafe nur für die folgenden drei Monate aus.
So steht es inhaltlich drin. Wenn das nicht dem entspricht, was wir uns eigentlich vorgestellt haben, müssen die Formulierungen geändert werden!
Und wird man dann automatisch zum Unrechtsstaat?
Die Todesstrafe in bestimmten Fällen zu erlauben, ist nach bundesdeutschem Recht Unrecht.
Und ist das bloße nicht erwähnen eines Rechts automatisch ein nicht gegebenes Recht.
Ein Recht, das es nicht gibt, gibt es nicht.
Manche vertreten die Auffassung, es gäbe soetwas wie naturgegebene Rechte. Das gibt allerdings Probleme im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit/Rechtssicherheit. Denn über diese "Naturrechte" können wieder unterschiedliche Auffassungen bestehen. Daher ist es sinnvoller, auch diese Rechte schriftlich zu fixieren.
Ist also eine Rechtsbeugung am EUGH nicht verfolgbar, weil es keinen Artikel gibt, der sagt, dass dies möglich ist. Und sind die EUGH-Richter eigentlich nicht mehr dem jeweiligen Landessrecht unterworfen? Schließlich müssen sie sich dort als Richter verdient machen. Und warum scheint es so einfach zu sein, hier davon auszugehen?
Es ist nicht verfolgbar, weil es einen Artikel gibt, der eine Verfolgung explizit ausschließt. Protokoll Nr. 3:
Artikel 3
Die Richter sind keiner Gerichtsbarkeit unterworfen. Hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft
vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, steht
ihnen diese Befreiung auch nach Abschluss ihrer Amtstätigkeit zu.
Das ist klar und eindeutig. Und wenn in einer Rechtsnorm "keiner" steht, dann heißt das auch "keiner". Diese Richter sind also auch nicht den Gerichtsbarkeiten der Länder unterworfen.
Nach EU-Recht können diese Richter für nichts belangt werden. Für gerecht oder wünschenswert muß man sowas natürlich nicht halten.
Und ist es eigentlich fair einerseits das Ende des Landesrecht lautstark zu beklagen, dann aber das Fehlen eines Äquivalents zum Strafgesetzbuches zu bemängeln.
Das Landesrecht ist nicht sofort außer Kraft, kann aber durch EU-Recht verdrängt werden. Unser Strafgesetzbuch bleibt weiter gültig. Weil aber die EU Strafrechtskompetenzen bekommt, kann sie hieran Änderungen bewirken. Zum Beispiel wird es möglich, daß von Seiten der EU bestimmte Mindeststrafen für Filesharing vorgeschrieben werden.
Wenn es nach dir ginge dürften ja überhaupt keine EU-weiten Gesetze entstehen, wie soll man dann so etwas wie Rechtsbeugung auf EU-Ebene unter Strafe stellen.
Die Strafgesetzbücher der einzelnen Mitgliedsstaaten gelten ja weiter. Nur die Passage aus dem Protokoll Nr. 3 muß weg.
Zurück zum Rechtsstaatsbegriff: Wie schon gesagt, es hat irgendwas mit Recht zu tun. Als Rechtsstaat würde ich einen Staat ansehen, in dem das Recht zur Geltung kommt. Man will sich darauf verlassen können, daß Verwaltung und Gerichte ausschließlich nach Recht und Gesetz handeln. Das Gegenstück wäre ein Willkürstaat, in dem die Herrschenden nach Lust und Laune handeln, ohne an geltendes Recht gebunden zu sein.
Wir müssen also untersuchen, ob mit Inkrafttreten des Reformvertrags in der vorliegenden Form rechtsstaatliche Verhältnisse erhalten sein.
Die andere Sache ist, wie Du vielleicht schon gemerkt hast, Rechtsstaatlichkeit allein reicht für einen wünschenswerten Staat noch nicht aus. Deutschland ist nicht nur ein Rechtsstaat, sondern es kommen noch Dinge hinzu, die einen Staat erst akzeptabel machen.