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Raphael und der Titan – Rendezvous im Schatten der XBOX
1. Vorwort
Auch wenn das Projekt jetzt schon seit mehreren Monaten beendet ist, habe ich es erst jetzt geschafft, meinen ersten Leserartikel hier im Computerbase-Forum zu vollenden. Das Projekt - ein PC in einer XBOX - ist zwar grundsätzlich keine neue Erfindung mehr, so soll dieser Artikel dennoch als Anregung sowie Inspiration dienen. Ich möchte außerdem auch zeigen, dass eigentlich jeder und selbst handwerklich weniger Begabte ein solches Projekt verwirklichen können – und das oft mit einfachen und kostengünstigen Mitteln.
2. Es war einmal eine XBOX…
Für dieses Projekt musste keine funktionsfähige XBOX sterben! Als Basis diente eine defekte und innerlich nahezu vollständig durchrostete XBOX (Baujahr 2003). Diese wurde ausgeschlachtet und gereinigt. Der Inhalt musste entsorgt werden.
Mein Ziel bei diesem Projekt war es außerdem, das ästhetisch klassische Design der XBOX zu bewahren und nur notwendige Änderungen daran vorzunehmen. Auch habe ich Wert auf die Zukunftssicherheit der verbauten Anschlüsse gelegt und die zum Zeitpunkt des Projektstarts (Ende 2022) aktuellsten Standards gewählt, auch wenn heutige Mittelklasse-Mainboards diese noch gar nicht vollumfänglich unterstützen.
Als Hardware kommt folgendes zum Einsatz:
- MSI MPG B650I EDGE WIFI Mainboard
- AMD Ryzen 7700X CPU Sockel AM5 (Codename: Raphael) 8C/16T @ 75W PPT
- Patriot 32 GB (2x 16 GB) DDR5-4800 CL40 Arbeitsspeicher @ DDR5-6000 CL34 (Hynix M-Dies)
- Thermalright AXP90-X36 Kühler mit Noctua-Lüfter
- NVIDIA Titan Xp 12 GB mit Morpheus II Kühler und Noctua Lüftern @ 275W ⌀ 2,0 GHz
- Seasonic Prime Titanium 650W und FSP FlexGuru 250W
- Samsung 990 Pro 1 TB und Samsung 970 Pro 512 GB
- ADT-Link R43SG PCIe 4.0 M.2 Adapter
- VIZO Master Panel MTP-101 SATA III Version
Betriebssystem: Windows 10 Pro
3. AMDs Raphael auf dem Spielplatz des Wahnsinns
Nachdem die Füllung der XBOX von mir vollständig entfernt wurde, musste zuerst die Bodenfläche begradigt und alles nicht benötigte Plastik entfernt werden. Am schnellsten geht das mit einem Dremel und Mini-Sägeaufsatz. Das gleiche wurde auch mit dem überflüssigen Plastik im Deckel gemacht. Nur 4 „Säulen“ für die Verschraubung in jedem Eck wurden stehengelassen. Danach habe ich auf der Rückseite die Anschlüsse ausgesägt, passend zu meinen (Verlängerungs-)Kabeln.
So habe ich diese Anschlüsse mit entsprechenden kurzen Verlängerungskabeln realisiert:
- Netzstecker
- LAN Cat 5e
- 3x USB-A 10 Gbit/s
- USB-C 4.0 / Thunderbolt 4 mit 40 Gbit/s
- HDMI 2.1 mit 48 Gbit/s
Für die Belüftung kommt ein 70 x 15 mm Lüfter an die Stelle des originalen XBOX-Lüfters und noch drei 60 x 15 mm Lüfter an die Seite. Diese 3 Lüfter wurden auf Teile der zuvor abgesägten Plastikstücke geklebt und transportieren die warme Luft nach außen. Für die Befestigung des Mainboards wurden begradigte Abstandshalter auf die Bodenplatte eingeklebt.
Danach habe ich noch das Netzteil eingesetzt und dessen originalen 40 mm Lüfter gegen ein Modell von Noctua ausgetauscht.
All diese Teile wurden großzügig mit Heißkleber / Sekundenkleber eingeklebt und auf Stabilität getestet.
Zum Abschluss wurde noch alles schwarz lackiert.
4. Die 8 Sterne der Erleuchtung
Eigentlich mag ich keine RGB-Disco-PCs, aber auf ein dezent leuchtendes XBOX-Logo habe ich dann doch Lust bekommen. Dazu löste ich das grün lackierte Plastik-Logo vorsichtig vom Rest des Deckels. Nachdem ich das Logo von den Kleberesten gereinigt habe, wurde die lackierte Seite mit feinkörnigem Schleifpapier bearbeitet. Damit lässt sich nicht nur die grüne Farbe rückstandslos entfernen, sondern es entsteht auch gleichzeitig eine leicht diffuse Milchglasoptik.
Dort wo das Logo eingeklebt war, habe ich mit einer Lochsäge ein Loch mit etwa 65 mm Durchmesser ausgesägt, damit das Logo (ca. 70 mm Durchmesser) noch problemlos auf den Lochrändern aufliegt. Auf der Lochunterseite im Deckel wurde von mir ein Stück durchsichtige grüne Folie eingeklebt.
Als Beleuchtung diente einer dieser XBOX Classic Modding-LED-Ringe, die selbst heute noch neu verkauft werden. Mit 8 kaltweißen LEDs ausgestattet, wurde der Ring mit Heißkleber um das ausgesägte Loch hinter die grüne Folie geklebt. Damit auch wirklich nur das Logo leuchtet und kein Licht sonst wo durchscheint, habe ich ein zurechtgeschnittenes Stück Karton innen mit Spiegelfolie ausgekleidet (für einen leichten 3D-Effekt) und dieses hinter den LED-Ring geklebt. Danach noch schwarz lackiert. Das XBOX-Logo habe ich dann nur noch mit einer dünnen Klebeschicht wieder eingeklebt und schon hat man eine intensive, aber gleichzeitig unaufdringliche Beleuchtung in klassischem XBOX-Grün.
5. Alte Front in neuer Funktion
Auch bei der Front der XBOX wurde versucht, möglichst den Originalzustand zu erhalten. Daher wurde auch die noch funktionsfähige Platine in der Front mitsamt der originalen Schalter und LEDs übernommen und leicht modifiziert. Dazu entfernte ich zuerst die einzelnen Kabel aus dem weißen Originalstecker. Für den Anschluss ans Mainboard benötigt man 3 der simplen 2-Pin Stecker, in die die einzelnen Kabel mit den Pins eingeklebt werden. Entsprechende Schaltpläne mit Kabelbeschriftungen findet man noch im Internet.
Ich habe somit den originalen großen EJECT-Button als ON-Schalter benutzt und den kleinen ON-Button als RESET-Schalter. Dazu die beiden grünen LEDs als POWER-LED.
Da das originale Kabel sehr kurz ist, habe ich noch entsprechende Verlängerungsstücke angebracht.
Des Weiteren wurden die vorderen Controller-Anschlüsse durch 4x USB-A 10 Gbit/s ersetzt. Dazu habe ich einfach die USB-Buchsen der Verlängerungskabel vorne angeklebt, auf Stabilität getestet und schwarz lackiert.
Alle Anschlüsse wurden dafür bewusst „falschherum“ eingeklebt, was in meinen Augen für eine stimmigere Optik sorgt und ganz nebenbei grelle USB-Betriebsleuchten unaufdringlicher wirken lässt.
6. Es grüßt… IDE
Sperrige Flachbandkabel, ratternde Festplatten und hochdrehende CD-ROM Laufwerke – der Albtraum eines jeden Computerfreundes wird wieder wahr. Nur noch selten benutzt aber noch lange nicht tot, ist der IDE-Anschluss auch im Jahr 2023 Pflicht an (m)einem PC.
Da es schon lange keine aktuellen Mainboards mit IDE-Schnittstelle mehr gibt, musste eine andere aber lang bewährte Lösung aus dem früheren PC herhalten: VIZO Master Panel MTP-101
Dieses eigentlich für den 5,25“ Slot gedachte Gerät bietet IDE, SATA III, eSATA und einen eigenen On/Off Schalter und wird intern an die SATA-Anschlüsse des Mainboards angeschlossen. Die kleine Platine wurde vom 5,25“ Panel abgeschraubt und in die vorher an der Seite der XBOX ausgesägte Aussparung über das Netzteil eingeklebt, mit begradigten Abstandshaltern zur Stabilisierung.
7. Ein Titan ohne Käfig
Kommen wir nun zur Grafikkarte. Vorweg, ich bin kein klassischer Gamer, höchstens ein Gelegenheitsspieler eher alter Titel oder Emulatoren mit 60 Hz Monitor. Raytracing und Co. brauche ich nicht.
Daher kommt als GPU auch nur eine nach heutigen Maßstäben antiquierte, aber hochgezüchtete NVIDIA Titan Xp zum Einsatz. Da es natürlich physikalisch nicht möglich ist, das Teil in die XBOX einzubauen, musste eine andere Lösung gefunden werden.
Zum Einsatz kommt daher ein kleines Gerät namens „ADT-Link R43SG“ in der aktuellen PCIe 4.0 x4 Version. Damit wird die GPU mittels eines M.2 Adapters mit 4-Lanes mit dem M.2-Slot des Mainboards oder eines PCIe-Adapters verbunden. Die GPU kann dann neben dem Gehäuse platziert werden und wird z.B. mit einem normalen ATX-Netzteil mit Strom versorgt, in meinem Fall ist es ein SEASONIC Prime Titanium 650 Watt aus dem früheren PC.
Im Vergleich zu gängigen eGPU-Lösungen mit Thunderbolt 3/4 Schnittstelle, wird hiermit theoretisch eine etwas höhere Bandbreite erzielt.
8. Mit 4 Lanes durch den Flaschenhals?
Da die alte GPU nur PCIe 3.0 beherrscht ist klar, dass mit nur 4 PCIe-Lanes Leistung verloren geht. Allerdings hält sich der Leistungsverlust aufgrund der bescheidenen Leistung der GPU noch in Grenzen. Der Bandbreiten-Verlust ist eher messbar als tatsächlich im Alltag spürbar. Selbst im 3DMark TimeSpy-Benchmark ist der Unterschied von PCIe x16 zu x4 nur wenige Prozentpunkte groß (Graphicscore x16 = 11055 und x4 = 10884), aber dieser Benchmark misst ja auch mehr die Spieleleistung.
Bilder bearbeiten, hochauflösende Videos abspielen und sehr alte Spiele mit 4K+ Auflösung laufen eigentlich unverändert. Einzig bei der Videobearbeitung macht sich die niedrigere Bandbreite leicht (messbar) bemerkbar. Moderne AAA-Spiele besitze ich keine, aber dafür wäre die alte Titan sowieso nur noch bedingt geeignet.
Auch wenn die XBOX aktuell noch auf diese Grafikkarte angewiesen ist, so ist geplant, schon bald auf eine der zukünftigen AMD APUs zu setzten, damit diese Konstruktion ganz überflüssig wird.
9. Test, Benchmark und Fazit
Früher war die stärkste CPU gerade schnell genug und OC war Pflicht, heute sind schon die kleinen CPUs rasend schnell und ausreichend für nahezu alles.
Der AMD Ryzen 7700X wurde von mir auf ein maximales PPT-Limit von 75 Watt gesetzt, was für mich der beste Kompromiss aus Leistung und Wärmeentwicklung ist.
Die Temperatur liegt wie bei Zen 4 typisch im hohen, aber unkritischen Bereich, was wie ich finde für so ein kleines Gehäuse mit bescheidenen Kühlmöglichkeiten noch eine gute Leistung ist.
Als Benchmark nutze ich den älteren Cinebench R15 mit meinen vielen Vergleichswerten und OC-Ergebnissen. Obwohl der 7700X nur ein Mittelklasse-Chip ist und mit nur 75 Watt läuft, liefert er durchschnittlich im Multicore-Test über 2950 Punkte und im Singlecore-Test bis zu 325 Punkte.
Kabelmanagement aus der Hölle, Airflow wie in der Wüste und nicht vorhandene Schirmung - macht alles nichts, die Maschine läuft trotzdem und ich bin rundum zufrieden…
Funfact: Der originale XBOX Controller S läuft mittels des SuperJoyBox 9 Adapters und XBCD-Treibers auch unter Windows 10…
Das System jetzt schon seit März 2023 täglich mehrere Stunden in Betrieb und es gab bisher keine Auffälligkeiten.
Das Projekt war insgesamt ohne große Schwierigkeiten zu bewerkstelligen, denn am aufwendigsten ist eher die theoretische Planung vor der eigentlichen Arbeit.
Daher bin ich der Meinung: Mit etwas Zeit, Geduld und Grundkenntnissen im PC-Bau kann eigentlich jeder so ein Projekt verwirklichen – und das oft mit einfachen und kostengünstigen Mitteln…
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