Fuchiii schrieb:
Dass das abschaffen der Haupt/Real/Gymnasium hin zu Gesamtschule bescheuert ist geb ich dir recht. Das hat aber nichts mit den Unterrichtszeiten zu tun.
Kannst du das etwas genauer erklären ... warum hältst du die Abschaffung des alten Systems für bescheuert?
Um dir die Antwort et6was zu erleichtern, mal die Meinung eines Pädagogen.
Das alte System zeichnete sich aus durch maximale Undurchlässigkeit nach oben (es war relativ viel komplizierter, von einer Realschule auf ein Gymnasium zu kommen, als andersrum). Und die "Sonderschulen" waren fester Bestandteil dieses Systems ... es gab also ein Abstellgleis für die, die den Rest angeblich beim weiterkommen behindert hätten. Das alte System hat die sozialen Ungleichheiten in unsere Gesellschaft betoniert.
Ich selbst war an einer Versuchsschule, welche in den 1980er und 90er Jahren bewiesen hat, dass auch eine Gesamtschule ohne Noten (bzw. nur die letzten drei Halbjahreszeugnisse, weil man die für Bewerbungen braucht) und mit inklusivem Konzept gut funktioniert.
In einigen Untersuchungen nach dem Modell der PISA Studien schnitt diese Schule weit über dem Bundesdurchschnitt ab und hat sogar bayerische Gymnasien übertroffen.
Die Schulform war eine gänztagige Gesamtschule.
Meine damaligen Schulzeiten:
"Grundschule" (Klassen "0", 1 und 2): 9:00 - 13:00 (keine feste Stundeneinteilung ... und keine festen Fächer -unterrichtet wurde in altersheterogenen Gruppen - je eine Klasse der 1, der zweiten UND der "Vorschulklasse" gemeinsam).
"Mittelstufe" (Klassen 3 - 10): 8:30 - 16:00 (dienstag nur bis 13:00 ... Zeitstunden ... Pausen von 10:30 - 11:00, 13:00 - 14:00)
Oberstufe (Klassen 11 - 14): 9:00 - 17:00 (Mittwochs nur bis 12:30 ... 90 Minuten-Blöcke mit Pausen von 10:30 - 11:00, 12:30 - 13:30 und 15:00 - 15:30).
Behinderung war an dieser Schule kein Thema ... es gab schwierige Kinder und es gab aber auch genügend andere, die diese "mitgezogen" haben ... für viele dort war die Erfahrung ganz neu ... denn an anderen Schulen wurden schwierigere Kinder oft genug einfach aussortiert (Abschulung - die Verweisung an eine niedrigere Schulform). An der Laborschule mussten sie sich tatsächlich mit diesen Kindern auseinandersetzen, weil sie eben nicht nach kurzer Zeit wieder weg waren.
Das wichtigste dabei:
Einige meiner Mitschülerinnen und -schüler wären von einem Gymnasium oder einer Realschule wohl konsequent abgeschult worden (eventuell bis zur Sonderschule) .... an der Laborschule hatten sie die Zeit, konnten sich auf die Mithilfe eines großen Teils der restlichen Klasse verlassen.
Heute arbeiten die als Anwälte, Bänker, sind im IT-Bereich erfolgreich ... die wenigsten von ihnen arbeiten auf Hilfsarbeiterjobs, die meisten haben ein Abitur gemacht und viele sogar noch ein Studium erfolgreich abngeschlossen.
Es gibt allerdings nicht nur die Sonnenseite.
Die hier beschriebene Schule hat mit zunehmendem Schulalter immer mehr Eigenverantwortung gefordert ... und das ausbleiben dieser Eigenverantwortung eben nicht ausreichend sanktioniert.
Also gab es auch die Gruppe von ehemaligen Mitschülern, bei denen das Konzept nicht aufgegangen ist ... das waren keine potenziellen Sonderschüler, aber eine etwas festere Führung hätte ihnen gut getan.
Einige von denen haben noch heute eine Rechtschreibung, dass es einem grausen kann (nahe an der Legasthenie), haben oder hatten massive Drogenprobleme (da war alles dabei) und sind dementsprechend auch nicht besonders gut aufgestellt, wenn es um die Jobsuche geht.
Diese Fälle will ich nicht verschweigen ... aber es sind eben recht wenige.
Beim Rest ist genau das eingetreten, was der Schulgründer (Hartmut von Hentig) beabschtigt hatte ... eine wirklich gute Vorbereitung auf das Studium.
Ich hatte im Studium keine großen Probleme mit den Anforderungen an Eigenverantwortung umzugehen, denn die Prinzipien kannte ich bereits aus dem Abitur ... auch da musste ich Leistungsnachweise erbringen, um Scheine zu sammeln ... und am Ende musste ich eine Anzahl an Scheinen (Pflicht und Wahlpflicht) vorweisen, um mich zur Prüfung anmelden zu können. Ganz genau, wie es dann im Studium weiterging.
Ich war an Referate von mehr als 60 Minuten gewöhnt (davon hatte ich vorm Abi schon mindestens 50 gehalten) ... und spätestens das hat immer wieder für verwunderung gesorgt - warum haben die Gymnasiasten denn solchen Bammel vor einem Referat von gerademal 10 Minuten?
Auch wissenschaftliches Arbeiten habe ich nicht erst an der Uni gelernt ... das war fester Bestandteil der 2 Wahlfächer im Abitur ... für nicht ganz wenige der anderen, war es im Studium irgendwie eine ganz neue Herangehensweise.
Was ich damit sagen will:
Die neuen Konzepte können funktionieren, WENN sie durchdacht geplant und von gut geschulten Lehrkräften umgesetzt werden ... an Laborschule und Oberstufenkolleg war das damals der Fall ... allerdings nicht durchgängig ... und wenn man als Lehrer oder Schüler eben eine "Niete" vor sich hatte, dann hat man das auch gemerkt (als Lehrer UND als Schüler).
Ich hätte einiges aus meiner Schullaufbahn sicherlich nicht so gut behalten, wenn ich nicht zu denen gehört hätte, die auch immer wieder versucht haben, den Stoff anderen zu erklären ... dabei lernt man nämlich weit mehr, als durch stumpfes selber lernen.
Im Umgang mit Menschen, die etwas vielleicht erst beim dritten oder vierten Anlauf verstehen, kann man unglaublich viel selbst lernen ... denn jeder neue Erklärungsversuch ist auch eine Vertiefung des eigenen Wissens über den Lerngegenstand. Und vielleicht gibts ja mal was, das ich nicht kapiere ... und eventuell hilft dann ein anderer.
Im Studium hat mich dann nur eines wirklich geschockt ... Menschen von anderen Schulen (insbesondere Gymnasium) waren sehr viel bereiter, auch unfaire Mittel einzusetzen, um am ende nicht einfach eine befriedigende oder gute Leistung zu bringen, sondern um der Kurs-Beste zu sein. Bei einigen ging das sogar so weit, dass sie Lernmittel versteckt (einfach an einer anderen Systemstelle der Bib untergebracht) oder sogar mutwillig beschädigt haben (da fehlten dann eben die entsprechenden Seiten aus dem Standardwerk ... sogar bei Präsenzexemplaren).
Es mag ja sein, dass auch das in unserer Gesellschaft ein wichtiger Skill ist ... aber eigentlich ist es nur asozial und zeigt einen tiefen Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit bzw. an der Fäghigkeit, auch mal 2. oder 3. zu sein.
Menschen, die gerne mogeln, weil sie einfach nicht gelernt haben, auch mal zu verlieren.
Eigentlich ist das traurig ... aber im Studium war es vor allen Dingen störend.
G8 ist blödsinn ... und das wurde bereits vor Bologna von vielen Pädagogen so gesagt und begründet ... schade, dass man damals lieber auf die Ökonomen gehört hat.
Sorry für die wall of text - das Thema liegt mir nunmal am Herzen.