DDM_Reaper20 schrieb:
@ TsarGermany
Die Gänsefüßchen sollen keinen Sarkasmus ausdrücken, sondern lediglich betonen, worauf es ankommt. Da gibt's ja, wenn man die Ansichten von Rechtsgelehrten und Laien vergleicht, durchaus unterschiedliche Vorstellungen, wenn man z.B. sich den Fall mit demjenigen, der einen Angreifer in den Hals stach, vornimmt.
Edit: Wenn ich mich recht erinnere, bemängelten die Richter schlicht und ergreifend, dass er auf einen nicht-tödlichen Angriff oder zumindest die Vorbereitung darauf mit einem Messerstich in den Hals -- also einem potentiell sehr wohl tödlichen Angriff -- reagierte.
Richtig,
der Fall "Sven G." aus Muenchen hat einiges an Aufstehen erregt, vor allem deswegen, weil offensichtlich wurde, mit welcher Heftigkeit und Haeme Opfer von der Justiz zu Taetern erklaert werden.
Kurzabriss:
Student Sven G. und 3 Freunde kamen angetrunken von einer Geburtstagsfeier, sind auf dem Weg in ein Wirtshaus. In der Naehe einer U-Bahn-Stelle treffen sie auf eine Gruppe von 5 Serben, besoffen und hochgradig aggressiv, die kurz vorher wegen Anzetteln einer Schlaegerei aus einem Jugendhaus verwiesen wurden.
Mergim S. aus der Gruppe der Serben schlaegt einem Begleiter von Sven G. unvermittelt ins Gesicht , worauf dieser zu Boden stuerzt, geht darauf auf Sven G. los und schubst diesen. Sven G. hat ein kleines Halsband-Messer (Beispielhaft:
CLICK), zieht dieses und sticht Mergim S. in den Hals. Mergim S. verkennt seine lebensbedrohliche Verletzung, verstaerkt seine Drohgebaerden gegen Sven G., worauf dieser flieht.
Beurteilung:
Der Richter hat zwar eine Notwehrlage des Sven G. bejaht, ihm aber gleichzeitig attestiert, dass er ueber "das zulässige Maß weit hinausgegangen" sei, weil er (A) dem Angreifer koerperlich ueberlegen gewesen sei und (B) den Angreifer nicht gewarnt habe, bevor er mit dem Messer zugestochen habe. Den auch straffreien Notwehrexzess hat der Richter deswegen verneint, weil der Stich in den Hals "zielgerichtet" war und darum nicht zu jemandem passe, der laut eigener Aussage in "panischer Angst" gehandelt habe.
Problematisch ist diese Beurteilung (wenn auch in der Rspr. nicht unueblich) aus mehreren Gruenden:
(A) Weil es dem ordnungsstaatlichen Rechtsbewaehrungsprinzip und der daraus fuer das Notwehrrecht abgeleiteten Erkenntnis entspricht, dass ein Ausweichen (z.B. ein Wegrennen vor einem Angreifer) nicht zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dient und daher keine gesetzliche Einschraenkung fuer jemandem darstellen darf, der sich auf eine Notwehrbehandlung beruft.
(B) Weil es anerkannt ist, dass die "Erforderlichkeit" des §32 StGB jede Handlung erlaubt, die die sofortige Beendigung des Angriffs auf das Rechtsgut herbeifuehrt, d.h. kein Mensch ist gezwungen, sich mit einem anderen erfolgreich zu pruegeln, um dessen Angriff abzuwehren.
(C) Weil es anerkannt ist, dass man auch praeventiv handeln kann, um einer unmittelbar drohenden Gefahr zu begegnen (Beispielhaft Dominik Brunner, der zuerst zugeschlagen hat).
(D) Weil der Sachverhalt und die Schlussfolgerungen daraus durch die sachfremden Ueberlegungen des Richters schwer manipuliert wurden.
(
Beispielsweise die Behauptung, der Angeklagte sei dem Schlaeger koerperlich ueberlegen gewesen... wie bemisst man soetwas, wenn man einen fettleibigen IT-Studenten auf der einen Seite hat und einen drahtigen, aber gewaltkriminell veranlagten Leistungssportler auf der anderen Seite... Ist dann "der Dicke" automatisch ueberlegen, obwohl jede Lebens-Erfahrung genau das Gegenteil impliziert ???)
Dass ein aggressiv poebelnder Jugendlicher heutzutage kein "Bagatellfall" mehr ist, bei dem man einfach abwinken kann, das muss jedem klar sein, dem Richter war es das nicht.
Und ich vermag auch kein "krasses Missverhaeltnis" zu erkennen, wenn jemand offensichtlich kurz davor ist, mich zu verpruegeln und ich nur ueber eine einzige SICHERE Verteidungsmassnahme verfuege, naemlich einen potentiell lebensgefaehrlichen Angriff mit einer Waffe.
Und was haette Sven G. in seiner Situation machen sollen ?
--- Warten, bis der Schlaeger auch ihn zu Boden schlaegt (seinen Bekannten hatte er ja schon umgelegt) ?
--- Haette er dann das Messer erst dann ziehen duerfen, wenn er laengst in der Gefahr ist, schwere Verletzungen zu erleiden oder sogar totgepruegelt zu werden ?
--- Oder haette er sich auch dann mit dem durchgedrehten Asi pruegeln muessen ?
--- Oder haette er in sicherer Erwartung des Fortganges, d.h. einer anstehenden Pruegelei nicht sein Recht auf praeventive Notwehr wahrnehmen duerfen und zu dem mildesten Mittel, das ihm zur Verfuegung stand, um den bevorstehenden Angriff zu beenden ?
Das Notwehrrecht war urspruenglich
EINDEUTIG ausgelegt, um Rechtssicherheit fuer alle zu schaffen, die in solche Situationen hineingeraten.
Diese Eindeutigkeit ist durch die Rspr. aufgeweicht und mit zahlreichen detailverliebten Einschraenkungen versehen worden, die dem Laien unmoeglich bewusst sein koennen. Es ist letzten Endes eine Frechheit, Leute abzuurteilen, die sich in SEKUNDENBRUCHTEILEN fuer einen Ausweg aus ihrer Verteidigungssituation entscheiden muessen.
Der Fall Sven G. hat eindrucksvoll gezeigt, welche fatalen Rechtsfolgen und welches Missbrauchspotential in der Aufweichung des Notwehrrechts stecken.
UEBRIGENS:
Der Fall "Salih C." in Koeln wurde genau andersherum beurteilt. Dort wurde dem Verteidigenden "Michael B." (20 Jahre) der toedliche Messerstich ins Herz von "Salih C." (17 jahre) zugebilligt, weil es eben seine einzige Moeglichkeit war, sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen, einziger Unterschied: Der Angreifer war bereits gegen ihn selber handgreiflich geworden.
Diese Wertung impliziert, dass der entscheidende Unterschied der Verteidigungs-Zeitpunkt war, d.h. Sven G. bei unmittelbar bevorstehendem Angriff, Michael B. erst bei Begehung des Angriffs, aber darauf hat der Muenchner Richter ja eben NICHT abgestellt.
Ergo : Notwehr ist Glueckssache, weil abhaengig davon, wo man wohnt. Koelner Staatsanwaelte und Richter haben anscheinend (Wunder oh Wunder?) einen anderen Zugang zur heutigen Realitaet.
@Doc Foster:
Ich benoetige keinerlei Belehrung, was das angeht.
Und sei so ehrlich und sage auch, WARUM eine Notwehr gegen bestimmte Personenkreise nur in ganz geringem Masse erlaubt ist: Nicht etwa, weil Betrunkene, Geisteskranke oder Kinder und Jugendliche so unglaublich ungefaehrliche Angreifer sind, sondern weil sie aufgrund ihrer Disposition die "Rechtsordnung nicht mittragen", d.h. gegen sie aufgrund der rechtsphilosophischen Herleitung des Unrechtsbegriffs keine Verteidigung der Rechtsordnung moeglich ist.
Welcher Laie soll denn SOWAS wissen ???
Wenn ein Geisteskranker mit ner Waffe auf dich zustuermt, ist das LETZTE, WORAN DU DENKST, die mangelnde Einsichtsfaehigkeit dieser Person.
Oh achja, Vollstreckungsbeamte kriegen uebrigens keine Probleme, wenn diese gegen diesen Personenkreis mit aller Haerte vorgehen, da wird die Justiz ploetzlich sehr grosszuegig und besinnt sich der alten Klarheit der Notwehrregelungen. LACHHAFT.
Übers deutsche Strafrecht wird viel gemeckert. Seid mal lieber froh, dass Ihr unter dem Schutz dieser Gesetze steht. In z.B. Mexiko sieht's gruselig aus, weil dort oft der Recht bekommt, der am besten schmiert.
Das nehm ich jetzt mal als Humor. Papier ist geduldig und ein Strafgesetz hat noch nie jemanden davor bewahrt, Opfer einer Person zu werden, die sich entschieden hat, entgegen der Strafgesetze zu handeln.