Chatkontrolle: EU-Staaten weiterhin für verpflichtende Überprüfung
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Damit es in der weiterhin andauernden Debatte zur Chatkontrolle endlich zu einer Einigung zwischen den EU-Mitgliedstaaten kommt, wurde seitens Polen der Vorschlag eingebracht, diese nicht verpflichtend, sondern auf freiwilliger Basis einzuführen. Die Ablehnung folgte prompt.
Kein Fortschritt zu erkennen
Auch nach fast drei Jahren ist bei der Chatkontrolle kein Fortschritt zu verzeichnen. Selbst unter Polen als seitdem mittlerweile sechster Ratspräsidentschaft bleibt eine Einigung in dem umstrittenen Vorhaben der Europäischen Union, Inhalte von Nachrichtendiensten verpflichtend zu überprüfen, in weiter Ferne. In den vergangenen Jahren scheiterten mehrere Ratspräsidentschaften an dem Projekt – teils mit skurrilen Vorschlägen.
Polen, das der bisherigen Auslegung der Chatkontrolle kritisch gegenübersteht und eine Überwachung verschlüsselter Nachrichten weiterhin ablehnt, hat nun den Vorschlag eingebracht, die Chatkontrolle, die derzeit von den Anbietern nur freiwillig umgesetzt werden muss, auch weiterhin in diesem Status zu belassen und dauerhaft zu erlauben. Dies geht aus einem Verhandlungsprotokoll hervor, das nun von netzpolitik.org veröffentlicht wurde.
Da es laut EU-Gesetzen Anbietern von Online-Diensten untersagt ist, die Inhalte ihrer Nutzer „mitzuhören, abzuhören, zu speichern oder auf andere Arten abzufangen oder zu überwachen“, bedurfte es einer Sonderlösung, um eine Umsetzung nach den Vorgaben der Europäischen Union dennoch zu ermöglichen. Daher wurde die Chatkontrolle als freiwillige Maßnahme eingeführt, deren Legitimation regelmäßig verlängert wird – zuletzt im vergangenen Jahr bis April 2026. Doch auch diese Regelung wurde seit Beginn heftigst kritisiert.
Mehrheit der EU-Staaten nach wie vor für eine Kontrollpflicht
Dass die Chatkontrolle bislang nicht, wie von der EU-Kommission gewünscht, umgesetzt wurde, liegt auch daran, dass einige EU-Staaten von der Sperrminorität Gebrauch machen. Dabei können mindestens vier Mitglieder des Rates mit mehr als 35 beziehungsweise 45 Prozent Anteil an der EU-Bevölkerung die Umsetzung eines Vorhabens verhindern. Dies ist nun schon seit Längerem der Fall. Um Bewegung in die Debatte zu bringen, hat Polen nun den besagten Vorschlag eingebracht, der jedoch von 16 der 27 Mitgliedsstaaten umgehend abgelehnt wurde.
Die Meinungen über den Vorschlag gehen dabei weit auseinander: Italien sieht das ursprüngliche Ziel der Chatkontrolle dadurch als „komplett verfehlt“ an und fordert, dass Internetdienste zur Kontrolle verpflichtet und bei Nichteinhaltung sanktioniert werden. Bulgarien, das ebenfalls die Kontrolle befürwortet, warnt davor, dass „ohne Verpflichtung viele Provider nicht tätig werden“, wie aus dem Verhandlungsdokument hervorgeht. Irland geht noch weiter und befürchtet, „dass Anbieter, die derzeit freiwillig aufdecken, ermutigt würden, von freiwilligen Maßnahmen Abstand zu nehmen“. Auch Frankreich, das in dieser Sache bereits mehrfach seine Haltung änderte, lehnt die Abschaffung der Verpflichtung ab.
Gegenteilige Meinungen
Dass die Europäische Kommission dem Vorschlag nichts abgewinnen kann, überrascht wenig, da sie seit Beginn versucht, ihre Vorstellungen der Überwachung durchzusetzen. Für sie braucht es „klare und solide Verpflichtungen für Anbieter“, da ohne diese die Unternehmen ihre Anstrengungen reduzieren würden.
Dies wird von den Kritikern erwartungsgemäß anders gesehen. So stehen die Niederlande dem Vorschlag positiv gegenüber, ebenso Slowenien. Österreich geht sogar so weit, ihn als einen großen Schritt in Richtung einer endgültigen Einigung zu betrachten. Finnland befürwortet weitere Verhandlungen mit dem Vorschlag als Grundlage, auch Luxemburg sieht darin eine positive Entwicklung.
Ähnlich sieht es auch der juristische Dienst der EU-Staaten, der die verpflichtende Kontrolle stets als mit den EU-Gesetzen unvereinbar angesehen hat und auch weiterhin davon ausgeht, dass das Vorhaben spätestens vor den EU-Gerichten scheitern wird.
Damit fehlt weiterhin eine Übereinkunft, mit der der EU-Rat in die Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament gehen kann. Das Parlament hatte der allgemeinen Chatkontrolle bereits Mitte November 2023 eine Absage erteilt. Die EU-Staaten können noch bis zur nächsten Woche Anmerkungen zu dem Vorschlag einreichen, bevor die Verhandlungen am 11. März fortgesetzt werden.
Ausgang auch wegen anstehenden Wahlen ungewiss
Wie es mit der Chatkontrolle weitergeht, ist ungewiss. Die Machtverhältnisse hängen stark von vergangenen und zukünftigen Wahlen in den EU-Mitgliedstaaten ab. So hat die neue Regierung in Belgien vergangene Woche ihre Arbeit aufgenommen, sich zu dem Thema aber bisher noch nicht positioniert. Auch in Tschechien könnten die Regionalwahlen die Haltung zur Chatkontrolle noch einmal verändern. Österreich lehnt das Vorhaben zwar weiterhin ab, doch nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP und der damit wachsenden Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen ist diese Ausrichtung ebenfalls nicht gesichert. In Deutschland wird in der kommenden Woche eine neuer Bundestag gewählt und dann muss aus diesem erst eine neue Regierung gebildet werden, woraus folgt, dass deren zukünftige Haltung zur Chatkontrolle noch völlig unklar ist.
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