Noch vor der Bundestagswahl 2025: Vorratsdatenspeicherung durch Ampel-Aus auf dem Weg
Mit dem Ampel-Aus kommt nochmals Bewegung in die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung. Bislang verhinderten FDP und Grüne die Umsetzung. Da die FDP nicht mehr Teil der Bundesregierung ist, könnte die SPD trotz Minderheiten-Koalition mit den Grünen versuchen, bei der Vorratsdatenspeicherung mit der Union zu kooperieren.
Dass die Wahrscheinlichkeit für so einen Versuch steigt, berichtet die Tagesschau. Demnach hat sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit den Innenministern der Länder darauf verständigt, das im Bundesrat gescheiterte Sicherheitspaket um eine anlasslose Speicherung von IP-Adresse zu ergänzen. Umgesetzt werden soll es entweder über den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag. Alternativ könnte es aber auch ein Gesetzgebungsverfahren im Bundestag geben, das man noch vor der nächsten Bundestagswahl im Februar 2025 über die Bühne bringen will.
Im Bundestag bilden sich die Fronten
Einblicke in den Stand der Verhandlungen lieferte am Donnerstag eine Debatte im Bundestag, bei dem sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch die FDP jeweils einen Entwurf eingereicht haben. CDU/CSU wollen die IP-Vorratsdatenspeicherung, die FDP will den bis dato von der Bundesregierung verfolgten Quick-Freeze-Ansatz umsetzen. Als Nächstes befassen sich nun die Ausschüsse mit dem Thema.
Die Debatte an sich machte die Fronten bereits klar. Für die CDU sprach der hessische Ministerpräsident Boris Rhein. Für ihn ist die IP-Vorratsdatenspeicherung ein notwendiges Instrument im Kampf gegen Kinderpornografie, die fehlende Umsetzung seit 2022 ein „Offenbarungseid“ und Qick-Freeze ein „Etikettenschwindel“. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler unterstützt diese Position grundsätzlich.
Demgegenüber steht die FDP, der Abgeordnete Thorsten Lieb warnt vor einer voreiligen Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Ohnehin sei diese nur in eng umgrenzten Fällen einsetzbar, während Quick-Freeze die rechtssichere Alternative sei. Ähnlich äußern sich die Grünen, diese fordern insbesondere im Kampf gegen Kinderpornografie die Prävention und andere Ermittlungsinstrumente zu verbessern, anstatt allein auf die IP-Vorratsdatenspeicherung zu setzen.
Wagt die SPD den Sprung vor der Bundestagswahl?
Was an der Konstellation zunächst offensichtlich ist: Es ist die alte Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, die sich sehr einig ist. Die zentrale Frage ist nun, wie weit die SPD im Vorfeld der Wahl gehen will. Im Bericht der Tagesschau ist bereits von einer Belastungsprobe für die rot-grüne Minderheitsregierung die Rede. Denn für die SPD wäre so ein Gesetz lukrativ, um sich im Wahlkampf als Law-and-Order-Partei positionieren zu können.
Bundesinnenministerin Faeser will jetzt mit den Grünen sprechen, diese kündigten aber bereits an, für so ein Vorhaben nicht bereitzustehen. Ohnehin liege „kein verfassungskonformer Vorschlag vor, der tatsächlich beschlossen werden könnte", sagt der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dem ARD-Hauptstadtbüro. Und im Koalitionsvertrag habe man die Vorratsdatenspeicherung zudem explizit ausgeschlossen.
Die Chancen für Quick-Freeze stehen derweil schlecht. Bei diesem Verfahren werden Telekommunikationsdaten im Vergleich zur Vorratsdatenspeicherung nicht dauerhaft gespeichert. Stattdessen können Ermittler veranlassen, dass bei einem Tatverdacht bestimmte Daten gespeichert werden – also etwa Kommunikationsdaten im Umfeld des Tatorts oder die Verkehrsdaten von potenziellen Verdächtigen. Das Einfrieren dieser Daten als sogenannter Quick-Freeze hat deutlich niedrigere Hürden, soll aber verhindern, dass relevante Informationen bei den Telko-Anbietern vorzeitig gelöscht werden. Wenn Polizei und Sicherheitsbehörden im zweiten Schritt auf die Quick-Freeze-Daten zugreifen wollen, gelten wieder höhere Hürden. Nötig ist dann etwa ein konkreter Tatverdacht gegen eine Person.
Keine realistische Chance mehr für Quick-Freeze
Dass Quick-Freeze noch eine realistische Option ist, bezweifelt aber Patrick Breyer, Bürgerrechtler und ehemaliger Abgeordneter für die Piraten im EU-Parlament, auf Anfrage von ComputerBase im Vorfeld der Bundestagsdebatte vom Donnerstag. „Dabei könnte man das Verfahren aus meiner Sicht sogar etwas praktikabler gestalten im Sinne eines Einfrierens auf Zuruf, also auch ohne richterlichen Beschluss“, so Breyer gegenüber ComputerBase.
Für erforderlich hält er es aber ohnehin nicht. Schon jetzt werde erfolgreich ermittelt, wie an den hohen Aufklärungsquoten erkennbar sei.
Deutsche Debatte als Vorbote für EU-Politik
Quick-Freeze gegenüber steht die IP-Vorratsdatenspeicherung. Laut dem Gesetzentwurf von CDU/CSU sollen IP-Adressen samt eventuell vergebener Port-Nummern für drei Monate gespeichert werden. Begrenzt wird der Abruf auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität sowie die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit. Über Jahre galt die Vorratsdatenspeicherung als tabu, sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof hatten entsprechende Gesetze mehrfach als europarechtswidrig eingestuft.
Spielraum gibt es nun, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2022 die Rechtsprechung ein Stück weit revidiert hat. Das allgemeine und anlasslose Speichern ist demnach zwar noch bei Verkehrs- oder Standortdaten untersagt, nicht aber bei IP-Adressen.
Verschärfte Vorratsdatenspeicherung auch für Autohersteller oder ChatGPT
Mit diesem Urteil öffneten die EuGH-Richter nicht nur die Debatte in Deutschland, sondern schufen auch eine neue Dynamik in der EU. Wie Netzpolitik.org Ende November berichtete, arbeitet eine EU-Arbeitsgruppe an mehreren Vorhaben, die neben der Vorratsdatenspeicherung auch ein Aushebeln von Verschlüsselungsdiensten umfassen. Datensammlungen bei verschiedenen Kategorien wie Bestandsdaten, IP-Adressen oder Standortdaten stehen ebenfalls hoch auf der Agenda, wobei sich die Speicherfristen jeweils unterscheiden.
Die EU-Arbeitsgruppe geht aber noch über den Status Quo hinaus. Neu wäre laut den Vorschlägen, dass sämtliche Anbieter solche Daten erfassen müssen. Wenn Messenger-Dienste wie Signal das nicht machen, sollen Sanktionen drohen – diese könnten von Netz- und App-Store-Sperren bis Haftstrafen für die Betreiber reichen. Wie Patrick Breyer gegenüber ComputerBase erklärt, sind für Messenger-Dienste zusätzlich noch Identifizierungspflichten geplant, eine anonyme Nutzung wäre so unmöglich. Vom Ausmaß neu wäre auch, dass die Vorratsdatenspeicherung auf weitere Dienste ausgeweitet wird, betroffen sein könnten künftig auch Autohersteller oder KI-Tools wie ChatGPT.
Die Frage ist, wie viel von den Vorschlägen so einer Arbeitsgruppe tatsächlich umgesetzt werden kann. Über Details der Regelungen dürfte – sofern diese auf das Tableau kommen – noch viel verhandelt werden. Zumindest mit neuen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung ist aber zu rechnen. „Die Wahrscheinlichkeit eines neuen EU-Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung ist hoch“, so Breyer zu ComputerBase.