Deus Ex: Mankind Divided im Test: Intelligenter Stealth-Shooter am Puls der Zeit

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Max Doll
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„Augs“ sind die neuen Fremden

Zwei Jahre nach den Ereignissen von Human Revolution findet Adam Jensen eine völlig andere Welt vor. Das neue Zeitalter, das in Detroit anzubrechen schien, ist einer neuen Realität gewichen. Die augmentierten Menschen der Zukunft sind nun die Feinde von heute und stehen unter Generalverdacht; wer auch nur ein künstliches Bein hat, gilt als potenzieller Terrorist und wird argwöhnisch beäugt. Inmitten dieses Klimas, das zahlreiche Parallelen zur gesellschaftlichen Restauration dieser Tage erlaubt, steckt der immerhin zu mehr als 50 Prozent aus Stahl bestehende Hauptdarsteller.

In Prag sorgt die Polizei für „Ordnung“
In Prag sorgt die Polizei für „Ordnung“

Ein bisschen wie Game of Thrones

Was in der Theorie vielversprechend klingt, landet ein wenig in der Falle von Game of Thrones, weil es sich wie die Buchreihe teils in epischen Ideen verliert. Terroranschläge, Spannungen zwischen „Augs“ und Menschen, ein finsteres Komplott und einfache Alltagsgeschichten machen sich die wertvolle „Screen Time“ zu oft streitig. Das gilt auch thematisch, denn Mankind Divided tut sich schwer, aus dem eigentlich beklemmenden Setting eine durchweg beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Spiel und Protagonisten bleiben oft kalt und fremd, der Titel schafft nur wenig Empathie für seine Welt. Daraus wird allerdings auf unerwartete Art und Weise eine Stärke.

Die Trennung von Menschen und künstlich verbesserten Menschen schließt zwar grundsätzlich sanft an die Gegenwart an, in der Biohacking bereits Anhänger gefunden hat, bleibt aber ein weitgehend fiktionales Szenario, das ein Freischein für beißende Kritik wäre, ohne unmittelbar weltanschaulich bedingte Reaktionen zu provozieren. Nicht, dass der Titel sich jeglichen Kommentars enthalten würde. Zumindest in der rahmenden Story ist das Setting jedoch fast schon sekundär lässt einen zynischen Blick, den Finger in der Wunde, vermissen. Neben der intelligenten und unaufdringlichen Reflexion von Hintergründen und Mechanismen weicht dieser Ansatz einem Spiel mit dem Spieler, der seine eigenen Erfahrungen sammeln darf.

Augmentierte Menschen werden systematisch ausgegrenzt
Augmentierte Menschen werden systematisch ausgegrenzt

Subtile Mechanismen bedrücken

Als Schaukasten funktioniert die Welt daher besser, auch wenn sie am Anfang ein wenig künstlich und noch fast zu freundlich wirkt. Nach der sanften Segregation, an der man sich schwerlich stören möchte, lässt der Titel den Hammer fallen. Nach dem Besuch des Ghettos „Golem“ wird die abstrakte „Rassentrennung“ mit Blick auf ihre tatsächlichen Folgen außerhalb des Sichtfelds in ein anderes Licht gerückt, in dem das Verdrängte oder Ignorierte aus dramatischer Nähe gezeigt wird. Die Auswirkungen und Repressivität des futuristischen Polizeistaates in Prag erschließen sich nur Stück für Stück und erst, nachdem sich Spieler mit der Situation arrangieren konnten.

Insbesondere trägt dazu die Perspektive des Spielers bei. Adam Jensen ist zwar augmentiert, aber mit Militär-Hardware vollgestopft und genießt als Interpol-Agent ohnehin alle Freiheiten. Er ist von Repressionen also weitgehend ausgenommen. Das lässt den Spieler mehr oder weniger als Unbeteiligten auf Verfolgung und Willkür einerseits, andererseits aufgrund der überlegenen Fähigkeiten auch verächtlich auf die Verfolger blicken. Beides ist für den Protagonisten von geringer Relevanz, zumal er die Zustände nicht ändern kann. Sie sind nicht Kern seines Auftrags, sondern technisch zumeist irrelevant, nicht einmal ein wesentlicher Stolperstein.

Diese Kühle erzeugt eine produktive Ambivalenz: Einerseits erzeugt sie Distanz zwischen der Welt und dem Spieler, der in Gestalt seines Alter Ego eigentlich nicht betroffen ist. Andererseits bringt sie Mechanismen der Akzeptanz hervor und eröffnet gerade damit einen Reflexionsraum: Man ertappt sich dabei, die Zustände nicht zu hinterfragen, sondern hinzunehmen, unpersönlich auf die Schicksale zu reagieren, mit der gleichen Emotionslosigkeit, die Adam Jensen (akustisch) an den Tag legt.

Gehorsam ist bequem

Das führt dazu, dass Spieler ohne Weiteres die sie prinzipiell grundlos benachteiligenden Regeln in Prag akzeptieren und man sich dabei ertappt, in der Metro den „richtigen“ Waggon zu benutzen, obwohl ein solches Verhalten den inakzeptablen Status quo zementiert. Der blinde Regelgehorsam ist nicht nur natürlich, er ist auch einfacher, weil er zeitraubende Ausweiskontrollen erspart. Prinzipien halten lediglich von zwölf bis Mittag: Bequemlichkeit siegt immer. Das lässt Deux Ex zu einer beeindruckend subtilen Lektion in den Mechanismen solcher Ausgrenzung werden.

Wer mag, kann sich die Spielwelt auch erklären lassen
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Solche Elemente sind allerdings vergleichsweise selten und werden nur punktuell eingesetzt. Polizisten mit dem Vorführen robotischer Fähigkeiten zu provozieren? Ist trotz Gewalt und Willkür nicht möglich. Vielleicht schützt der Interpol-Sonderstatus vor der Sonderbehandlung, was auch erklären würde, warum sich der Pokertisch eines Mafiabosses einfach leerräumen lässt, ohne dass die Anwesenden auch nur eine Augenbraue heben, und ein Adam Jensen, der sich das eine oder andere Mal tatsächlich an Ungerechtigkeiten stört, einfach klaut wie ein Rabe.

Ein wenig mehr Konsequenz fehlt der Welt letztlich. Solche Elemente, bei denen eine Reaktion der NSCs wünschenswert wäre, ja geradezu erwartet wird, sind ein seltsamer Kontrast zu einem Spiel, das als Ganzes glaubwürdig funktioniert und überall mit kleinen Details begeistert: Selbst das Austeilen von Erfahrungspunkten für abgeschlossene Missionen wird als „Getting things done“ bezeichnet.

Das Gegenbild zu Tomb Raider: Duschszene mit Mann
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