Operation Rubikon: BND und CIA haben heimlich Staaten ausspioniert

Update Sven Bauduin
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Operation Rubikon: BND und CIA haben heimlich Staaten ausspioniert
Bild: ZDFmedia

Der Bundesnachrichtendienst und der Auslandsgeheimdienst der USA CIA haben über Jahrzehnte die verschlüsselte Kommunikation von mehr als 100 Staaten abgehört und dabei Menschenrechtsverletzungen verschwiegen. Zu diesem Ergebnis kommen gemeinsame Recherchen von ZDF, Washington Post und SRF.

Wie das ZDF in seinem Beitrag „Operation Rubikon: Wie BND und CIA alle täuschten“ schildert, belegen dies bisher unveröffentlichte Dokumente, die von führenden BND- und CIA-Mitarbeitern verfasst wurden.

Über 100 Staaten wurden abgehört

In den Akten, die dem ZDF, der Washington Post und dem Schweizer Fernsehen (SRF) vorliegen, wird wie folgt zitiert: „Diplomatische und militärische Verkehre vieler wichtiger Länder der Dritten Welt, aber auch europäischer Staaten (…)“ konnten „(...) flächendeckend mitgelesen werden.

In dem rund 280 Seiten starken Dokument mit dem Titel „Operation Rubikon“ wird diese nachrichtendienstliche Unternehmung von BND und CIA darüber hinaus als „eine der erfolgreichsten der Nachkriegszeit“ bezeichnet.

Crypto AG als Dreh- und Angelpunkt

Dem Bericht zufolge stand die Crypto AG mit Sitz in Steinhausen in der Schweiz im Mittelpunkt der Spionageangriffe. Das ehemals international im Bereich der Informationssicherheit tätige Unternehmen soll über einen Zeitraum von rund drei Jahrzehnten Verschlüsselungsgeräte manipuliert haben.

Die internen Dokumente des Bundesnachrichtendienstes und der CIA belegen, dass die beiden Geheimdienste bereits seit 1970 zu jeweils 50 Prozent Eigentümer der Crypto AG waren und somit die Manipulation der Verschlüsselungsgeräte bei ihrem eigenen Unternehmen in Auftrag gaben. Diese Verschlüsselungsgeräte wurden dann anschließend an die Staaten verkauft, die später damit ausgespäht wurden.

Professor Richard Aldrich von der Universität Warwick, welcher die Operation Rubikon untersuchte, kommt zu folgendem Schluss:

Die 'Operation Rubikon' war eine der kühnsten und auch skandalträchtigsten Operationen, denn über 100 Staaten zahlten Milliarden Dollar dafür, dass ihnen ihre Staatsgeheimnisse gestohlen wurden.

Professor Richard Aldrich von der Universität Warwick

Schweizer Bundesregierung reagiert auf Enthüllung

Der Schweizer Bundesrat Guy Parmelin hat umgehend die Generalausfuhrbewilligung für Verschlüsselungstechnik der Schweizer Firma gestoppt, nachdem die Berichte über die Operation Rubikon bekannt wurden, „bis die Sachlage und die offenen Fragen geklärt sind.

Der Bundesnachrichtendienst schweigt

Der Bundesnachrichtendienst teilte auf Anfrage des ZDF mit, „zu Angelegenheiten, welche die operative Arbeit betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung“ zu nehmen. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages, teilte dem ZDF auf eine Anfrage hin mit: „Ich habe kurzfristig für die nächste Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags einen Bericht der Bundesregierung beantragt. Von der Bundesregierung verlange ich Antworten bezüglich der durch den Bericht aufgeworfenen Fragen.“

Schwere Menschenrechtsverletzungen verschwiegen

Die Dokumente belegen erstmals, dass BND und CIA frühzeitig über den Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende im Jahr 1973 und die damit verbundenen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die chilenische Militärdiktatur informiert waren.

Darüber hinaus haben die vom BND und CIA entschlüsselten und an die Briten weitergeleiteten Funksprüche der argentinischen Marine maßgeblich dazu beigetragen, dass diese schlussendlich den Sieg im Falklandkrieg von 1982 davontragen konnten.

Weiter heißt es in den Dokumenten, dass der Iran und Saudi-Arabien jahrzehntelang die größten Abnehmer der manipulierten Verschlüsselungsgeräte waren, Deutsche und Amerikaner waren zu dieser Zeit immer in die geheime Regierungskommunikation dieser Regime informiert, auch während der Geiselnahme 1979 in der US-Botschaft in Teheran.

Verantwortliche Politiker beschwichtigen

Aus den Reihen der ehemals verantwortlichen Politiker meldete sich der frühere Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer (CDU) zu Wort und bestätigte die Geheimdienstoperation „Rubikon“, fand aber beschwichtigende Worte:

Die Aktion Rubikon hat sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist.

Bernd Schmidbauer (CDU), Kanzleramtsminister a.D.

Sonderberichterstattung in Deutschland, der Schweiz und den USA

ZDF, SRF und Washington Post planen eine breit angelegte Sonderberichterstattung zur Operation Rubikon: Frontal 21 berichtet im ZDF heute, am 11. Februar 2020 um 21 Uhr in einer Sondersendung über das Thema. Die Rundschau des Schweizer Fernsehens (SRF) zeigt am 12. Februar 2020 ein Extra und die Washington Post möchte sowohl heute als auch am 12. Februar 2020 in ihren Ausgaben über das Thema schreiben.

Die Sendung ist ab sofort auch in der ZDFMediathek on-demand verfügbar.

Die 60minütige TV-Dokumentation „Geheimoperation 'Rubikon'. Der größte Coup des BND“ läuft am 18. März 2020 um 20.15 Uhr auf ZDFinfo.

Update

Auch Siemens war an der Crypto AG beteiligt

Wie aus den Geheimdienstberichten hervorgeht, war auch die Siemens AG mit Sitz in München mit 5 Prozent an den Gewinnen der Crypto AG beteiligt. Der börsennotierte Technologiekonzern stellte zudem über fast zwei Jahrzehnte die volleingewiesenen geschäftsführenden Direktoren des Unternehmens, die neben wenigen weiteren hochrangigen Mitarbeitern in das Projekt eingeweiht waren.

130 Regierungen waren Kunden der Crypto AG

Neben den Ländern im Nahen und Mittleren Osten wie Saudi-Arabien, Iran, Irak, Syrien, Jordanien, Kuwait, Libanon, Oman, Katar und Vereinigte Arabische Emirate, zählten auch afrikanischen Staaten wie Ägypten, Algerien, Libyen, Marokko, Tunesien, Äthiopien, die Elfenbeinküste, Nigeria, Tansania und Südafrika zu den Kunden der Crypto AG.

In Südamerika wurden Argentinien, Chile, Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Peru, Uruguay und Venezuela überwacht. In Fernost spähten der BND und das CIA Indien, Pakistan, Bangladesch, Burma, Philippinen, Malaysia, Mauritius, Thailand, Japan, Südkorea und Indonesien aus.

Neben dem ehemaligen Jugoslawien wurden auch EU- und NATO-Staaten wie Irland, Spanien, Portugal, Italien und die Türkei von den beiden Geheimdiensten abgehört.

Bombenattentat auf Berliner Diskothek La Belle

Am 5. April 1986 explodierte in der Berliner Diskothek La Belle eine Bombe. Bei dem Anschlag starben drei Menschen, 200 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Nur einen Tag nach dem Anschlag machte der damalige US-Präsident Ronald Reagan Libyen für den Anschlag verantwortlich und sagte: „Unsere Beweise sind präzise und unwiderlegbar.

Der damalige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi war zu diesem Zeitpunkt ein Großkunde der Schweizer Crypto AG. Laut der „Rubikon“-Papiere konnten der BND und das CIA den Funkverkehr Libyens jederzeit abhören. Weiter heißt es darin, der BND „spielte eine wesentliche Rolle im Fall ‚La Belle‘ in Berlin“.

Die Erkenntnisse werfen Fragen auf: Gab es durch die kontinuierliche Überwachung vielleicht sogar ein Vorwissen über den geplanten Bombenanschlag? Hätte er verhindert werden können oder brauchte die US-Regierung einen Vorwand für die Angriffe auf die Städte Bengasi und Tripolis eine Woche später?

#Cryptoleaks: Wie BND und CIA alle täuschten, Frontal 21 (ZDF)

Weitere Einzelheiten wollen das ZDF, das Schweizer Fernsehen (SFR) und die Washington Post in den folgenden Tagen per Twitter unter #cryptoleaks bekanntgeben.

Mit dem manipulierten Chiffriergerät CX-52 konnten BND und CIA Staaten abhören
Mit dem manipulierten Chiffriergerät CX-52 konnten BND und CIA Staaten abhören (Bild: Wikipedia, CC BY-SA 2.0)
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