C:\B_retro\Ausgabe_34\: ICQ Instant Messenger
tl;dr: Im November 1996 gründeten vier israelische Studenten das Startup-Unternehmen Mirabilis und veröffentlichten den Instant Messenger ICQ, der bereits 1998 mehr als 100 Millionen Nutzer zählte und AOL über 400 Millionen US-Dollar wert war. Der Messenger-Dienst war um die Jahrtausendwende zeitweise konkurrenzlos.
Jeden Sonntag wirft diese Serie einen unterhaltsamen Blick zurück auf drei Jahrzehnte voller bewegter Geschichten und interessanten Entwicklungen der Computerszene. Mythen, Meilensteine und Meisterwerke: C:\B_retro\.
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ICQ Instant Messenger
Im Jahre 1996 erstmals veröffentlicht, entwickelte sich ICQ in nur zwei Jahren zum mit großem Abstand weltweit führenden Instant Messenger und wurde für insgesamt 407 Millionen US-Dollar an AOL verkauft.
Aber auch als Adware stand ICQ bereits früh in der Kritik, da das Programm dazu neigte, ganz ohne Einwilligung des Anwenders, Startseiten und Suchmaschinen zu manipulieren und ungefragt Browser-Erweiterungen zu installieren.
Im Jahre 2010 für 187,5 Millionen US-Dollar von AOL an die russische Mail.Ru Group verkauft, ist der Instant Messenger heute nur noch ein Schatten seiner Selbst und konnte nie wieder an seine erfolgreichen Zeiten anknüpfen.
Dennoch ist der ICQ Instant Messenger noch heute jedem ein Begriff, der die Anfänge der Kommerzialisierung des Internets zwischen 1996 und 2001 miterlebt hat. Den Signalton für eingehende Nachrichten oder das Login in ICQ haben noch heute viele Anwender jener Zeit im Ohr.
In einer Zeit, in der Handys gerade noch auf dem Vormarsch und Smartphones noch nicht am Horizont zu erkennen waren, war ICQ das, was heute für viele Anwender WhatsApp ist.
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Die Anfänge
Im November des Jahres 1996 gründeten die vier israelischen Studenten Yair Goldfinger, Arik Vardi, Sefi Vigiser und Amnon Amir das Startup Mirabilis und veröffentlichten kurz darauf die erste Version des ICQ-Messengers.
Das gesamte Vorhaben entstand mehr aus einer Not heraus, denn die vier Jungunternehmer waren zu diesem Zeitpunkt allesamt arbeitslos und suchten einen Ausweg aus dieser Miesere.
Wir hatten alle keinen Job. Was sollten wir tun? Warten, bis uns jemand einstellt, oder selbst etwas unternehmen?
Yair Goldfinger
ICQ, das heute als erster Internet-weiter Instant Messenger überhaupt gilt, verbreitete sich in rasender Geschwindigkeit, da es zwischen 1996 und 1998 schlicht und ergreifend keine vergleichbare Software am Markt gab.
Die Einstiegshürde wurde denkbar niedrig gehalten: Einen Internetzugang vorausgesetzt, war ICQ nur einen Download entfernt und im Anschluss kostenlos nutzbar. Auch technisch war der Instant Messenger anfangs seiner Zeit weit voraus.
Schon damals bot der Dienst zahlreiche Funktionen heutiger Nachrichtendienste und sozialer Netzwerke, so erlaubte ICQ beispielsweise mit mehreren Personen gleichzeitig zu chatten. Heute Standard, damals noch eine kleine technische Revolution.
In Zeiten sündhaft teurer Internettarife, waren Freunde und Bekannte nur kurze Zeit am Tag online und Anwender saßen oft gebannt vor dem ICQ-Fenster und hofften, dass sich die Blume neben dem Lieblingskontakt von Rot (offline) in Grün (online) färbte und der Online-Chat beginnen konnte.
Die Identifizierung der Nutzer fand anhand ihrer ICQ-Nummer, der sogenannten ICQ-UIN statt. Sechsstellige ICQ-Nummern aus den Anfangstagen von ICQ sind heute eine Seltenheit und wurden damals im Internet für Beträge von mehreren Hundert Euro verkauft.
Fünfstellige ICQ-Nummern besaßen nur die Entwickler von ICQ, sie wurden seinerzeit aber ebenfalls gelegentlich bei eBay für horrende Summen angeboten. Ganz besonders attraktive ICQ-Nummern wurden gar mit Brute-Force-Methoden und Phishing-Attacken erbeutet und später ebenfalls bei eBay angeboten.
Der Weltmarktführer
Bereits innerhalb der ersten zwei Jahren entwickelte sich ICQ zum Weltmarktführer der Instant-Messaging-Dienste, ein Umstand, der auch dem damaligen Internetgiganten AOL nicht verborgen blieb, der ICQ im Juni 1998 für insgesamt 407 Millionen US-Dollar kaufte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte des Instant Messenger bereits eine weltweite Nutzerschaft von deutlich mehr als 100 Millionen Anwendern und den Schritt zum Weltmarktführer bereits vollzogen und zog erste Nachahmer an.
Rund um die Jahrtausendwende zählte ICQ rund 200 Millionen aktive Nutzer und bekam mit AIM und MSN erstmals ernstzunehmende Konkurrenz. AOL versuchte seinerzeit mit bunten Farben, immer mehr Werbung und Mini-Spielen gegenzusteuern, doch alles vergebens. Jahr für Jahr verlor ICQ an Bedeutung und von den einst 470 Millionen registrierten Accounts, waren nur noch 10 Prozent aktiv.
Auch native Apps für Android und iOS sollten am Niedergang von ICQ nichts mehr ändern können und so folgte dem rasanten Aufstieg ein ebenso schneller Abstieg. AOL kalkulierte mit einem Erlös von 300 bis 400 Millionen US-Dollar beim Verkauf von ICQ.
Die Randnotiz
Nachdem 2010 nur noch rund 40 Millionen Nutzer in ICQ aktiv waren, entschloss sich AOL das Angebot der russischen Investorengruppe Digital Sky Technologies anzunehmen und die gesamte Plattform für 187,5 Millionen US-Dollar zu verkaufen.
Auch das russische Unternehmen, das heute unter dem Namen Mail.Ru Group firmiert, konnte den Abwärtstrend nicht stoppen. Durch den Siegeszug sozialer Netzwerke wie Facebook und nativen Chat-Apps für Smartphones wie WhatsApp war die Anzahl der aktiven ICQ-Nutzer weiter im freien Fall.
Allein zwischen 2010 und 2013 sanken die Nutzerzahlen von ICQ weltweit noch einmal von 42 auf 11 Millionen und pendelten sich in den folgenden Jahren auf einem niedrigen einstelligen Millionenwert ein. Bis in das Jahr 2016 sollte es ruhig um den einstiegen Weltmarktführer werden.
Der Reboot
Nachdem ICQ einzig im russischsprachigen Raum noch eine gewisse Verbreitung aufweisen konnte, entschloss sich die Mail.Ru Group dazu, einen Reboot durchzuführen und dem proprietären, von AOL offengelegten Netzwerkprotokoll OSCAR den Rücken zu kehren.
Am 17. März 2016 erschien die Version 10.0, die Umstellung auf ein neues Netzwerkprotokoll sollte sich aber bis in das Jahr 2018 hinziehen. Mit ICQ 10.0 hielten synchronisierte Chat-Verläufe, Gruppen- sowie Videochats und der Versand von Dateien mit einer Größe von bis zu 4 GB Einzug in den Messenger. Seit dem Reboot wird auch eine neue Web-Version von ICQ angeboten.
Nach einem erneuten Relaunch am 7. April 2020 ist „ICQ new“ mittlerweile für Windows, macOS und Linux verfügbar, konnte den Abwärtstrend aber nicht stoppen. Abseits des russischen Sprachraums spielt ICQ heute keine Rolle mehr.
Auch wenn ICQ in der heutigen Computerlandschaft keine Rolle mehr spielt, werden viele Nutzer das unnachahmliche Signalhorn nie vergessen, was beim Login in ICQ regelmäßig ertönte.
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2,3 SterneICQ war nach der Jahrtausendwende der erste und entsprechend weit verbreitete Instant-Messenger.
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