Chatkontrolle: Bundesinnen­ministerium unterstützt Pläne der EU

Update Andreas Frischholz
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Chatkontrolle: Bundesinnen­ministerium unterstützt Pläne der EU
Bild: LoboStudioHamburg | CC0 1.0

Koalitionsintern bahnt sich ein Streit um die Position der Bundesregierung zur Chatkontrolle an. Das Innenministerium unter Nancy Faeser (SPD) will die EU-Pläne unterstützen, wie aus einem internen Positionspapier hervorgeht. Im Koalitionsvertrag wurde die Chatkontrolle aber abgelehnt, FDP und Grüne bleiben bei der Position.

Von dem Positionspapier berichtet Netzpolitik.org, das Portal veröffentlicht das Schreiben im Volltext. Dieses ist technologisch wie gewohnt vage. So ist nicht direkt die Rede von „Client-Side-Scanning“, stattdessen erfolgt ein allgemeiner Verweis auf „mögliche Aufdeckungsanordnungen“. Bevor diese zum Einsatz kommen, seien zunächst „alle milderen Mittel (verpflichtend) auszuschöpfen“. Wiederholt heißt es zudem, die EU-Kommission müsse die Vorschläge konkretisieren.

Im Kern bedeutet dieses Positionspapier jedoch: Das Bundesinnenministerium will den Vorschlag der EU-Kommission grundsätzlich mittragen. Dieser steht aber im Widerspruch zum Koalitionsvertrag. Dort heißt es unter anderem, „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation“ werden abgelehnt. Eine Position, die zuletzt die FDP-geführten Ministerien in einem gemeinsamen Papier unterstrichen, das ebenfalls von Netzpolitik.org veröffentlicht wurde.

In diesem Schreiben formulierten das Justiz- sowie das Digital- und Verkehrsministerium rote Linien. Demnach müsse unter anderem das Client-Side-Scanning aus der EU-Verordnung verschwinden, zudem dürfe es keine Chatkontrolle geben. Ausschließen will man das, indem die EU-Verordnung nicht für interpersonelle Kommunikation gelte. Diese und weitere Forderungen müssten erfüllt sein, damit die Bundesregierung aus Sicht der FDP-Ministerien der Verordnung zustimmen könne.

Auch der Grünen-Digitalpolitiker Tobias B. Bacherle bezeichnet den Koalitionsvertrag laut Netzpolitik.org als eindeutig, die Chatkontrolle gehe zu weit. Selbst in den Reihen der SPD kritisierte man den Chatkontrollen-Vorstoß bislang. Die Frage ist nun aber, auf welche Position sich die Bundesregierung final verständigt. Im Brüssel hält sich Faeser als deutsche Vertreterin bislang bedeckt. Derzeit verhandeln dort das EU-Parlament und der Ministerrat – in dem die EU-Länder wie Deutschland vertreten sind – über den Vorschlag der EU-Kommission.

Umstrittene Vorschläge

Diese hatte die Verordnung im Frühjahr 2022 vorgestellt. Das Ziel ist unter anderem: Die Verbreitung von Inhalten eingrenzen, die sexuellen Kindesmissbrauch darstellen. Solche hätten laut der EU-Kommission in den letzten Jahren überhand genommen. Um das zu erreichen, sollen sowohl Hosting-Anbieter als auch Messenger-Dienste verpflichtet werden können, Technologien zu implementieren, die entsprechende Inhalte entdecken. So heißt es im Entwurf der Verordnung:

Anbieter von Hostingdiensten und Anbieter interpersoneller Kommunikationsdienste, die eine Aufdeckungsanordnung erhalten haben, führen diese durch die Installation und den Betrieb von Technologien aus, mit denen die Verbreitung von bekannten oder neuen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs oder die Kontaktaufnahme zu Kindern mithilfe der entsprechenden vom EU-Zentrum gemäß Artikel 46 bereitgestellten Indikatoren erkannt werden kann.

Artikel 10, Absatz 1

Realisieren lässt sich das über zwei Verfahren: Der Abgleich mit bekanntem Material soll über einen Hash-Wert-Vergleich erfolgen, während es automatisierte Erkennungsverfahren für Inhalte geben soll, die bis dato noch nicht erfasst worden sind.

Der Vorstoß steht massiv in der Kritik, Bürgerrechtler und Datenschützer lehnen diesen unisono ab. Zuletzt hieß es etwa in einer Stellungnahme vom Chaos Computer Club (CCC): „Anlasslose Massenüberwachung trägt nichts zur Sicherheit von Kindern bei, sondern gefährdet Kinder und Jugendliche und öffnet sperrangelweite Einfallstore für Missbrauch.“ Tatsächlich wirksam wären hingegen verbesserte Ermittlungskapazitäten und eine „ausreichende Ausstattung von Institutionen, die aktiven Kinderschutz betreiben“ – das bleibe beim Kommissionsvorschlag aber außen vor.

Ebenso wenig sei die Verordnung grundrechtsschonend, so wie die EU-Kommission und das Innenministerium argumentieren. Selbst wenn die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht direkt ausgehebelt werde, handele es sich um einen Eingriff, der die vertrauliche Kommunikation unterwandert. „Durch die Verordnung würde das eigene Gerät zum Überwachungswerkzeug, das jegliche Kommunikation schon vor Verschlüsselung und Versand auf verdächtige Inhalte prüft“, so der CCC.

Verwiesen wird dabei auf ein Paper von renommierten Sicherheitsforschern, die sich bereits 2021 mit den Risiken von Client-Side-Scanning befassten. Entstanden war diese Studie, als Apple ankündigte, Inhalte auf den Geräten der Nutzer scannen zu wollen. Umgesetzt wurde der Plan aber nicht. Und vor rund einer Woche hatte Apple verkündet, dass man diesen Ansatz auch nicht weiter verfolge. Stattdessen verstärkte Apple zuletzt die Verschlüsselungsverfahren.

Update

Heute reagierte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf die Berichte. Via Twitter erklärte er, die Bundesregierung verfolge eine einheitliche Linie, die Chatkontrolle werde abgelehnt. Dazu habe er ein gutes und konstruktives Gespräch mit Nancy Faeser geführt.

Spannend wird nun zu beobachten sein, wie sich das auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Brüssel auswirkt.

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