Staupilot: Probefahrt im BMW 7er mit neuem Level-3-Assistenzsystem

Nicolas La Rocco
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Staupilot: Probefahrt im BMW 7er mit neuem Level-3-Assistenzsystem
Bild: BMW

BMW will den aktuellen 7er mit dem hochautomatisierten Fahren nach Level 3 anbieten. Im tschechischen Sokolov betreibt der Konzern ein neues Testgelände, auf dem erste Probefahrten möglich waren. Dabei zeigte sich, dass BMW analog zu Mercedes-Benz im Rahmen des rechtlich Möglichen agiert, das System teils aber anders umsetzt.

Beim hochautomatisierten Fahren nach Level 3 gibt es in Deutschland derzeit nur einen Hersteller mit Zulassung: Mercedes-Benz bietet den Drive Pilot (Test) in der S-Klasse und im EQS an. Zwar gibt es auch von Kia für den EV9 (Ersteindruck) eine entsprechende Ankündigung, direkt zum Marktstart im Oktober wird der „Highway Driving Pilot“ im Gegensatz zur benötigten Hardware aber noch nicht verfügbar sein. Ein späteres OTA-Update soll den Assistenten voraussichtlich im kommenden Jahr freischalten.

7er fährt nach Level 3 auf Testgelände

Bei BMW hat man jetzt den aktuellen 7er als erstes Fahrzeug für das Fahren nach Level 3 auserkoren, nachdem es zuerst der iX hätte werden sollen. Noch gibt es aber keinen konkreten Termin für das Angebot, auch der Preis wurde noch nicht kommuniziert. Selbst ein offizieller Name fehlt noch, wenngleich der Assistent auf dem Testgelände in Sokolov unter dem Projektnamen „Personal Pilot“ demonstriert wurde. Weitere Details sollen mit der vollständigen Ankündigung im Herbst folgen.

Level 3 erlaubt Nebenbeschäftigungen

Level 3 bedeutet, dass auch der 7er in Stausituationen dauerhaft freihändig fahren kann und vom Fahrer ganz legal nicht mehr auf das Verkehrsgeschehen geachtet werden muss, weil die Fahraufgabe vollständig an das Auto übergeben wird. Dadurch werden neue Nebenbeschäftigungen auf dem Infotainmentsystem möglich, etwa YouTube oder das In-Car-Gaming, wie es bereits jetzt für den neuen 5er im Stand angeboten wird.

Fahren mit Level 3 im BMW 7er
Fahren mit Level 3 im BMW 7er (Bild: BMW)

Der rechtliche Rahmen ist klar definiert

BMW agiert dabei ähnlich wie Mercedes-Benz im Rahmen des in Deutschland rechtlich Möglichen. Der Staupilot kann ausschließlich auf der Autobahn in Stausituationen bis maximal 60 km/h aktiviert werden und muss ein vorausfahrendes Fahrzeug erkannt haben, das das Stauende markiert. Während beim Drive Pilot das Level-3-Fahren jedoch nur tagsüber und bei gutem Wetter aktiviert werden kann, sieht BMW den Einsatz zumindest auch bei Dunkelheit vor. Baustellen, Regen und Minusgrade stehen jedoch auch bei BMW dem Einsatz im Weg. Grundsätzlich muss eben auch BMW absolut sicherstellen, ein stets die jeweils aktuelle Situation beherrschendes Assistenzsystem anzubieten, weshalb ganz bewusst gewisse Szenarien ausgeklammert werden.

Türkis signalisiert aktives Level 3

Sofern alle Vorgaben erfüllt werden, was in Sokolov durch einen künstlich produzierten Stau ausgelöst wurde, kann der Staupilot von BMW aktiviert werden. Der Fahrer erhält dafür einen entsprechenden akustischen Hinweis sowie eine Anzeige im digitalen Kombiinstrument. Die Aktivierung erfolgt über eine neue Taste auf der linken Speiche des Lenkrades, wo sich bereits bei heutigen Fahrzeugen des Herstellers die Tasten für den Driving Assistant Professional finden. Dass das System aktiv ist, signalisieren Anzeigen im Cockpit sowie zwei türkisfarbene LED-Streifen am Lenkrad, das gleichzeitig ein kleines Stück einfährt. Damit scheint sich Türkis zur Signalfarbe für entsprechende Assistenzsysteme zu entwickeln, denn auch Mercedes-Benz setzt für den Drive Pilot auf diese Farbe.

Anschließend steuerte der 7er zielgerichtet über die Autobahnschleife auf dem Testgelände. Auf Veränderungen der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs wurde stets rechtzeitig reagiert, außerdem wurde die Spur permanent stabil ohne Schwimmen innerhalb der Begrenzungslinien gehalten. Schert ein anderes Fahrzeug von einer benachbarten Spur ein, entscheidet der Staupilot je nach Abstand selbst, ob abgebremst werden muss oder ob die Geschwindigkeit gehalten werden kann, was zur Probefahrt zuverlässig funktionierte, ohne dass es zu einer Gefahrensituation kam. Die wiederum musste BMW erst provozieren, indem absichtlich ein Gegenstand auf die Spur gelegt wurde, der vom Auto korrekt erkannt wurde, woraufhin rechtzeitig automatisch bis zum Stillstand gebremst wurde, um eine Kollision zu verhindern. Automatische Spurwechsel sind wie bei Mercedes-Benz nach aktuellem Stand noch nicht möglich.

Sensorik unter anderem um LiDAR ergänzt

Im 7er finden die Berechnungen des Assistenzsystems noch auf Hardware von Intel und Mobileye statt, erst mit der „Neuen Klasse“ beginnt ab 2025 die Kooperation zwischen BMW, Qualcomm und Arriver beim autonomen Fahren. Nachrüsten lassen bei bestehenden Fahrzeugen wird sich der Staupilot nicht, wie die weiteren Hardware-Anpassungen zeigen. In der Front sitzt ein neuer Solid-State-LiDAR von Innoviz, der 250 m und ein Sichtfeld von 120 Grad horizontal sowie 15 Grad vertikal bei einer Auflösung von 0,1 Grad abdecken soll. Für den Full-Range-Radar gibt BMW eine Sichtweite von 300 m sowie die Unterscheidung zwischen statischen und sich bewegenden Objekten an. In der Windschutzscheibe sitzt zudem eine neue 8-MP-Kamera, die Fahrzeuge und Personen erkennen kann. Zudem muss auch BMW genaueres GPS, ein Mikrofon für die Erkennung von Einsatzfahrzeugen und redundante Systeme etwa bei der Lenkung verbauen.

Schrittweise Warnhinweise zur manuellen Fahrt

Löst sich der Stau auf und kann wieder schneller als 60 km/h gefahren werden, beginnt der Staupilot mit einer schrittweisen Übergabe an den Fahrer. Die Übergabefrist beträgt auch bei BMW 10 Sekunden und geht mit gelben Warnhinweisen und einer Anzeige einher, dass jetzt wieder selbst gefahren werden muss. Kommt der Fahrer dieser Aufforderung nicht nach, warnt das System in Rot und fordert zur sofortigen Übernahme auf. Wird auch diese Anweisung ignoriert, reduziert das Fahrzeug die Geschwindigkeit und bleibt schließlich mit aktiviertem Warnblinker in der Spur stehen. Bei BMW gibt es zusätzlich noch blaue „Warnhinweise“ auf dem Lenkrad, wenn die Übernahme nicht zeitkritisch ist. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Temperaturen sinken oder Regen einsetzt. In Sokolov konnten diese Situationen aber nicht simuliert werden.

Zuverlässig auf dem Testgelände

Grundsätzlich muss für die erste Probefahrt mit dem Level-3-Staupilot angemerkt werden, dass es sich um vergleichsweise harmlose Standardsituationen auf einem abgesperrten Testgelände gehandelt hat. Die Redaktion kann dem System deshalb zwar für die von BMW demonstrierten Szenarien einen zuverlässigen Betrieb attestieren, jedoch abseits dieses Ersteindrucks noch keine weiteren Aussagen zum Assistenzsystem treffen. Interessant ist jedoch, dass bei der Aktivierung und bei den Signalfarben Einigkeit in der Branche zu herrschen scheint – zumindest bei den deutschen Herstellern.

ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von BMW im Rahmen einer Veranstaltung des Herstellers in Sokolov, Tschechien unter NDA erhalten. Die Kosten für Anreise, Abreise und zwei Hotelübernachtungen wurden von dem Unternehmen getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers auf die oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt.