EU-Parlament: Anscheinend Einigung bei der Chatkontrolle

Michael Schäfer
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EU-Parlament: Anscheinend Einigung bei der Chatkontrolle
Bild: ChequeredInk | gemeinfrei

Während bei den EU-Mitgliedsstaaten weiterhin nach einer Übereinkunft bei der Chatkontrolle gesucht wird, scheint sich im EU-Parlament ein Konsens abzuzeichnen. Dafür wurde der entsprechende Entwurf an vielen Stellen abgeschwächt.

Die Suche nach einer gemeinsamen Gangart beim Thema Chatkontrolle spaltet die Europäische Union somit weiterhin, zu weit liegen die Positionen nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Institutionen auseinander. Zumindest das EU-Parlament konnte sich gestern im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten nach langem Prozess auf eine gemeinsame Position zu dem höchst umstrittenen Thema einigen, die nun deutlich abgeschwächter als noch zuvor ausfällt. Das berichten unter anderem Netzpolitik.org und Euroactiv.

Anhaltende Kritik

Der nun vorgelegte Kompromissvorschlag präsentiert sich in vielen der umstrittenen Punkten deutlich abgeschwächt. Der ursprünglich ausgearbeitete Gesetzesentwurf stieß seinerzeit auf heftige Kritik, da er in seiner ursprünglichen Form die Justizbehörden ermächtigt hätte, Messenger- und E-Mail-Dienste dazu zu veranlassen, private Nachrichten ihrer Nutzer nach verdächtigen Inhalten zu überprüfen. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments wird das Dossier voraussichtlich am 13. November annehmen und damit den Weg für die letzte Phase des Gesetzgebungsverfahrens ebnen. Sollten sich dabei sowohl die EU-Kommission wie auch der EU-Rat als Vertretung der einzelnen Mitgliedsstaaten jeweils auf eine gemeinsame Position verständigen, könnte der Entwurf nach den letzten Trilog-Verhandlungen im Dezember beschlossen werden.

Ob es dazu kommen wird, ist derzeit fraglich. Bereits in den vergangenen Wochen wurde das Thema sowohl im EU-Parlament wie auch im EU-Rat vertagt, da sich deren Vertreter nicht auf einen finalen Entwurf einigen konnten. In den Debatten wurde zudem deutlich, dass die einzelnen Organe teils komplett unterschiedliche Standpunkte vertreten.

Keine anlasslose Überwachung

Jetzt deutet sich zumindest im EU-Parlament eine Einigung an, bei der der ursprüngliche Entwurf deutlich Federn lassen musste. So scheint zumindest im Parlament die generelle Überwachung aller Kommunikationssysteme vom Tisch zu sein, diese soll nur noch bestimmte Gruppen oder Nutzer betreffen – der Entwurf spricht hier von „Abonnenten eines bestimmten Kommunikationskanals“. Für eine Überwachung müsse dem Text nach zudem ein begründeter Verdacht für das Verteilen von Missbrauchsmaterial oder ein Zusammenhang zu sexuellem Kindesmissbrauch bestehen, der Kompromiss sieht bei einer entsprechenden Anordnung zudem einen Richtervorbehalt zwingend vor. Dieses Vorgehen entspräche der gängigen Praxis bei der Überwachung anderer Kommunikationswege.

Scannen von Inhalten auf Nutzergeräten soll verhindert werden

Auch mit dem Thema Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hat sich der Ausschuss befasst. So sprach man sich dafür aus, diese Kommunikationswege auszunehmen. Organisationen für digitale Rechte hatten bereits die ersten Entwürfe der neuen Gesetzgebung dahingehend kritisiert, dass das Vorhaben die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufbrechen und damit die Datensicherheit und das Recht auf Privatsphäre schwächen würde. Dieser Kritik haben sich die Mitglieder des Parlamentes nun angenommen. So dürfen dem jetzigen Entwurf nach Nutzer, die einen entsprechenden Dienst verwenden, nicht mehr überwacht werden. Damit soll das so genannte „Client-Side-Scanning“, also dem Scannen nach entsprechenden Inhalten direkt auf den Geräten der Nutzer, unterbunden werden. Gleichzeitig wurden die Arten der für eine Überwachung infrage kommenden Inhalte reduziert: In den ursprünglichen Entwürfen sollte die Kommunikation auf bekannte und neue Darstellungen von Missbrauch sowie auf Grooming untersucht werden, Letzteres soll nun nicht mehr Bestandteil der finalen Vereinbarung sein.

Dennoch mehr Pflichten für Anbieter

Auf der anderen Seite wollen die Parlamentarier die Anbieter mehr in die Pflicht nehmen. So sollen Voreinstellungen in den Diensten ein Grooming verhindern oder zumindest erschweren. Der Entwurf sieht dabei unter anderem vor, dass Nutzer nicht mehr ungewollt Nachrichten von Unbekannten erhalten, außerdem soll die Weitergabe von persönlichen Informationen eingeschränkt werden. Weiter sollen einfach zu bedienende Funktionen bereitgestellt werden, mit denen andere Nutzer blockiert oder stummgeschaltet werden können sowie missbräuchliche Inhalte leicht gemeldet werden kann. Für Dienste, deren Angebot sich explizit an unter 13-Jährige richtet, sollen die Vorgaben verpflichtend und voreingestellt sein, ohne diese abändern zu können.

Alterskontrolle nur für bestimmte Dienste verpflichtend

Die ebenfalls stark kritisierte Altersverifikation will das EU-Parlament den Anbietern überlassen, diese wird damit nicht verpflichtend. Sollte der Dienst sie dennoch einführen, würden auch hier neue Regeln gelten: So dürften die Anbieter für den Altersabgleich keine biometrischen Daten verlangen und den Prozess betreffende Daten dürften zudem nicht dauerhaft gespeichert werden. Gleichzeitig müssten die Dienste anonyme Zugänge ermöglichen.

Schärfere Regeln sieht der Text allerdings für Anbieter von pornographischen Inhalten sowie bei Kommunikationsmöglichkeiten in Computerspielen vor: So soll für Erstere eine Altersverifikation verpflichtend sein, darüber hinaus müssen diese automatisch erkennen können, wenn Nutzer nach Missbrauchsmaterial suchen. Bei Chats in Spielen muss zudem eine leicht auffindbare Hilfe-Möglichkeit angezeigt werden, an die sich Betroffene wenden können.

Generell, so der Text, sollen die eingesetzten Technologien dem Text nach auf ihre Leistungsfähigkeit hin überprüft werden, unabhängig davon, ob sie von den Behörden bereitgestellt oder vom jeweiligen Anbieter selbst entwickelt wurden. Damit soll ein Agieren innerhalb der Gesetze garantiert werden, ohne den Betreibern eine bestimmte Technologie zur Umsetzung vorzuschreiben. Gleichzeitig müssen die Diensteanbieter den „eingebauten Datenschutz und die eingebaute Sicherheit“ der Technologien gewährleisten.

Auch Hosting-Dienste werden mehr in die Pflicht genommen: Diese müssen den Zugang zu entsprechenden Inhalten entfernen oder sperren, sobald sie eine entsprechende Anordnung erhalten. Meldungen von Strafverfolgungsbehörden können nun auf elektronischem Wege erfolgen, was wiederum die Zeiträume verkürzt. Gleiche Kommunikationswege können sich nun auch Nutzer bedienen, um entsprechende Inhalte zu melden. Damit wären auch anonyme Meldungen möglich.

Einigung ungewiss

Viele der jetzt überarbeiteten Punkte waren schon in den ersten Entwürfen zu finden, wurden von den Abgeordneten seinerzeit jedoch scharf kritisiert und als nicht bürgerrechtskonform bewertet. Auch der Bundesrat äußerte bereits im letzten Jahr gravierende grundrechtliche Bedenken. Nach Ansicht des juristischen Dienst des EU-Rats (CLS) würden die Regelungen gegen EU-Grundrechte verstoßen und die Verordnung den Juristen zufolge daher in ihrer ursprünglichen Form vor dem EuGH keinen Bestand haben. Bei der Vorratsdatenspeicherung reichte bereits das anlasslose Sammeln von Verkehrs- und Standortdaten aus, um dem Vorhaben einen rechtlichen Riegel vorzuschieben, bei der Chat-Kontrolle geht es sogar um ganze Kommunikationsinhalte, die einem noch stärkeren Schutz unterliegen. Diese Sichtweise ist insofern erstaunlich, als das sich gerade der EU-Rat sich von Anfang an für eine härtere Gangart ausgesprochen hat.

Am 13. November will der Ausschuss nun final über den Kompromiss abstimmen lassen, die für heute geplante Debatte wurde deshalb verschoben.